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Gemeinsames Gebet


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«verkörpertes» (embodied) Wesen involvieren und ihm jene Vorstellung des höchsten Gutes (jene Vorstellung «Gottes») einprägen, die von der jeweiligen Liturgie implizit kolportiert wird. Liturgien sind für Smith also alle «rituellen Praktiken, welche als Pädagogik des letztgültigen Verlangens wirken»;76 Liturgien «formen und konstituieren unsere Identität dadurch, dass sie unsere fundamentalen Verlangen und unsere Einstellung zur Welt bestimmen».77

      2.5 Christliche Liturgie vs. säkulare Liturgien

      Vor diesem Hintergrund kann der Mensch berechtigterweise als homo liturgicus definiert werden, nämlich als ein Wesen, dessen Haltung und Charakter durch die «Liturgien» bestimmt werden, an denen er – bewusst oder unbewusst – partizipiert.78

      Die «Liturgizität» des Menschen ist strukturell gegeben, weil sie ein wesentliches Merkmal seines Mensch-Seins darstellt. Diese Struktur kann jedoch auf ganz unterschiedliche, gar antithetische Weisen aktualisiert werden. Entsprechend der Unterscheidung zwischen Struktur und Ausrichtung der Schöpfung79 gilt auch für den Menschen als homo liturgicus, dass er diese Grundstruktur seines Daseins entweder christlich oder apostatisch aktualisieren kann, je nachdem, ob er den dreieinigen Gott oder einen Götzen – ein zum «Gott» gemachtes Geschöpf – anbetet. Aufgrund der Gefallenheit der Schöpfung ist nun die apostatische Orientierung des homo liturgicus der Normalfall. Diese wird von einer Vielzahl an säkularen Liturgien etabliert und gefördert.

      «Säkular» werden diese Liturgien deshalb genannt, weil sie eine gegenüber der christlichen Liturgie alternative Formung menschlicher Intentionalität und imagination begünstigen. Die Tatsache, dass solche Praktiken jedoch bewusst als «Liturgien» bezeichnet werden, weist darauf hin, dass sie den Menschen eine «bestimmte, normative Vision menschlichen Gedeihens – ein implizites Verständnis des Letztgültigen» einprägen.80

      Die Aufgabe der christlichen Liturgie besteht deshalb darin, der apostatischen Formung des Menschen durch die säkularen Liturgien entgegenzuwirken und eine ihnen antithetische, christliche Formung zu fördern. Im christlichen Gottesdienst |30| geschieht insofern eine «counter-formation»,81 als in ihm und durch ihn eine «dispositional deflection» bewirkt wird.82 Die gefallene Kreatur Mensch wird reorientiert, neu ausgerichtet auf denjenigen, dem allein Anbetung gebührt: den dreieinigen Gott, der sich in Christus offenbart. Im christlichen Gottesdienst geschieht also nichts weniger als jene Formung des Charakters, die den homo liturgicus lapsus zum homo liturgicus christianus macht.

      The [Christian] liturgy is a «hearts and minds» strategy, a pedagogy that trains us as disciples precisely by putting our bodies through a regimen of repeated practices that get hold of our heart and «aim» our love toward the kingdom of God.83

      Durch die Teilnahme an der christlichen liturgischen Praxis werden Menschen als Gemeinde von Jüngerinnen und Jüngern konstituiert, deren imagination durch die christliche Erzählung (story) geprägt und deren desire auf Gottes Reich ausgerichtet ist. Als solche zum Dienst an Gott «im Alltag der Welt» ermächtigte begnadigte Sünder werden sie in alle Welt gesandt, damit sie «als Träger des Ebenbildes Gottes» ihren «Auftrag, die Stadt zu reformieren, wahrnehmen».84 Der christliche Gottesdienst hat somit sowohl einen zentripetalen als auch einen zentrifugalen Aspekt, wobei der letztere abgesehen vom ersteren nicht zu denken ist. Die zentripetale Teilnahme an der Liturgie als jener Praxis, durch die sich Menschen der transformativen Wirkung des Heiligen Geistes aussetzen, stellt die Bedingung der Möglichkeit für die zentrifulgale Sendung in die Welt dar.85

      2.6 Christliche Liturgie als Ort des heiligenden Handeln Gottes

      Die Aufgabe der christlichen Liturgie besteht somit darin, «eine Begegnung mit Gott zu fördern, die unser Vorstellungsvermögen [imagination] transformiert und mithin unsere Wahrnehmung [perception] heiligt».86 Hier kommen beide Dimensionen des christlich verstandenen liturgischen Geschehens in ihrer Verschränkung und Irreduzibilität prägnant zur Sprache. |31|

      Auf der einen Seite feiern Menschen Gottesdienst. Dies bedeutet, dass sie im Blick darauf Verantwortung tragen, dass die Liturgie die Begegnung mit dem dreieinigen Gott fördert. Gefördert wird diese Begegnung wiederum, wenn die Liturgie so beschaffen ist, dass durch sie «die story von der erlösenden Liebe Gottes in unseren imaginativen Hintergrund herabsinken» kann.87 Zu diesem Zweck ist die Form der Liturgie genau so wichtig wie ihr Inhalt, denn Form und Inhalt sind – entgegen einer verbreiteten Meinung – nicht voneinander zu trennen. «Formen sind nicht neutral», sondern an sich schon immer «ausgerichtet [aimed] und geladen»: «They carry their own teleological orientation and come loaded with a complex of rituals and practices that carry a vision of the good life.»88 Deshalb wäre es fatal zu denken, dass liturgische Formen einfach untereinander austauschbar wären, ohne dass der Formtausch einen Einfluss auf den durch sie vermittelten Inhalt ausübte. Eine erneute Wahrnehmung der formativen Kraft der Liturgie auf dem Hintergrund der von Smith entwickelten «liturgischen Anthropologie» sollte vielmehr bei reformierten Liturgen sowohl ein erhöhtes Formbewusstsein als auch eine größere Sorgfalt bei der Planung bzw. Revision von Liturgien fördern.89

      Tragen die Menschen Verantwortung dafür, dass die Liturgie so beschaffen ist, dass sich der christliche Gott ihrer bedienen mag, so geht das tatsächliche Stattfinden der formativen Begegnung mit ihm in der und durch die Liturgie allein auf das Handeln Gottes zurück. In der christlichen Liturgie handeln in diesem Sinne primär nicht Menschen; vielmehr handelt Gott der Heilige Geist an den Menschen. Der Gottesdienst stellt daher ein pneumatisches Geschehen dar, bei dem «der Geist durch und in solchen […] Praktiken uns begegnet, nährt, transformiert und ermächtigt».90 |32|

      The material practices of Christian worship are not exercises in spiritual self-management but rather the creational means that our gracious God deigns to inhabit for our sanctification. […] Christian worship is primarily a site of divine action.91

      Smiths Gottesdienstverständnis weist damit beide Merkmale eines im engeren Sinn formativen Gottesdienstverständnisses auf. Einerseits wird christliche Liturgie als konstitutiv wirksam definiert, weil sie immer eine formative Wirkung auf die an ihr teilnehmenden Menschen freisetzt. Andererseits wird diese Wirkung als eine solche betrachtet, die weder aus den Menschen noch aus der Handlung als solcher hervorgeht, sondern aus Gott, dem primären Subjekt liturgischen Handelns. Gott wirkt formativ auf Menschen in Handlungen, die Menschen vollziehen. Zugleich wird auch die Distanz zwischen Smiths Ansatz und jeglichem expressivistischen Gottesdienstverständnis – bei dem der Gottesdienst in erster Linie als Ausdruckshandeln und der Mensch als dessen primäres Subjekt betrachtet werden – deutlich. Diese Distanz bringt Smith unmissverständlich zur Sprache:

      Wide swaths of contemporary Christianity tend to think of worship as only an «upward» act of the people of God who gather to offer up their sacrifice of praise, expressing their gratitude and devotion […]. [S]uch expressivist understandings of worship feed into (and off of) some of the worst aspects of modernity. Worship-as-expression is easily hijacked by the swirling eddy of individualism. In that case, even gathered worship is more like a collection of individual, private encounters with God in which worshipers express an «interior» devotion.92

      2.7 Zusammenfassung

      Anlass zur Entwicklung seines dezidiert formativen Gottesdienstverständnisses war bei Smith die Reflexion auf die Frage nach dem Ursprung bzw. der Herausbildung des christlichen Grundmotivs, von dem Dooyeweerd sprach. Dieses intepretiert Smith auf dem Hintergrund einer augustinisch geprägten Anthropologie als eine mögliche Bestimmung der Intentionalität des Menschen. Anregungen aus dem Umfeld der Radical Orthodoxy rezipierend, gelangt Smith ferner zur Erkenntnis der fundamentalen Rolle der Praxis – und speziell der gemeinschaftlichen Praktiken – für die Ausbildung des menschlichen Charakters. Unter den gemeinschaftlichen Praktiken kommt aber nur jenen, die das «letztgültige Verlangen» des |33| Menschen beeinflussen, ein spezifisch «liturgischer» Charakter zu. Denn Liturgien sind in den Augen Smiths genau das: Pädagogik des Verlangens. Der christliche Gottesdienst erscheint somit als jene Liturgie, in der Gott der Heilige Geist wirkt, um die imagination und die Grundintention des Menschen in einem spezifisch christlichen – und somit gegenüber den vielen «säkularen» Liturgien,