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Gemeinsames Gebet


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Weise kann sowohl die Ambiguität des radikal-orthodoxen Theologiebegriffs vermieden als auch eine Auffassung des christlichen Grundmotivs, die der Gesamtheit «christlicher Reflexion» in Bezug auf «die Güte der Schöpfung» sowie in Bezug auf Inkarnation, Trinität und Sakramentalität gerecht wird, gefördert werden.51

      Smith hält eine Ergänzung der Philosophie Dooyeweerds durch Anregungen der Radical Orthodoxy für sinnvoll – nicht nur im Blick auf die Bestimmung des Inhalts, sondern auch bezüglich der Klärung der Frage, wie das christliche Grundmotiv zu einer für die ganze Lebens- und Denkhaltung eines Menschen prägenden Kraft werden kann. Vielversprechend erscheint ihm die Einsicht, dass |25| die Wahrnehmung, die Denkweise und das Verhalten eines Menschen durch gemeinschaftliche Praktiken geprägt werden, an denen er in seinem Umfeld – meist unbewusst – teilnimmt. In diesem Sinne spricht etwa Daniel Bell von den «technologies of desire», welche dafür sorgen, dass die Individuen einer bestimmten Gesellschaft – beispielsweise der kapitalistischen – ihre Ziele und Handlungsweise so bestimmen, dass die Existenz jener Gesellschaft perpetuiert wird.52 Wenn aber die Grundmotive, von denen Dooyeweerd spricht, mit einer Grundausrichtung menschlichen Daseins gleichzusetzen sind und wenn man mit Bell davon ausgeht, dass diese Grundausrichtung durch die Teilnahme an gemeinschaftlichen Praktiken ausgebildet wird, muss daraus gefolgert werden, dass auch die Annahme des christlichen Grundmotivs ihre Wurzeln in einer entsprechenden Praxis hat.

      2.3 Intentionalität, Verlangen und «imagination»

      Der Reflexion des Zusammenhangs von gemeinschaftlicher Praxis und (Charakter-)Bildung hat Smith bisher zwei Monografien gewidmet, welche die ersten beiden Teile eines auf insgesamt drei Bände angelegten Projekts darstellen.53 Im Blick auf die christliche Bildung möchte er die «Bildungsrelevanz des Gottesdienstes» (formative importance of worship) herausstellen.54 Damit distanziert er sich von einer in seinen Augen einseitigen Interpretation christlicher Bildung als Vermittlung einer «christlichen Weltanschauung» (Christian worldview).55 Die |26| Wichtigkeit der Entwicklung eines solchen, von der christlichen Botschaft geprägten Gesamtverständnisses der Wirklichkeit möchte er gar nicht in Frage stellen.56 Vielmehr macht er darauf aufmerksam, dass im Blick auf die Artikulierung eines vollständigen Programms christlicher Bildung auch eine Reflexion auf die formative Kraft liturgischer Praxis notwendig ist.57 Denn die an christlichen Hochschulen üblicherweise praktizierte Pädagogik setze eine reduktionistische Anthropologie voraus und verhindere deshalb die tatsächliche Entwicklung einer Christian worldview. Etliche Theoretiker der Christian worldview scheinen Smith nämlich einer modifizierten Form von Intellektualismus zu verfallen. Obwohl sie den cartesianischen Intellektualismus kritisieren und den Menschen nicht als «denkendes», sondern als «glaubendes Lebewesen» betrachten, resultiere daraus ein immer noch «sehr entkörperlichtes, individualistisches Menschenbild», welches wiederum die Entstehung einer auf die «zentrale Rolle von Verkörperung [embodiment] und Praxis» wenig bedachten Pädagogik bedingt.58 Eine solche Pädagogik vermag in den Augen Smiths höchstens zu «informieren», nicht aber zu «formen», weil sie die zentrale Rolle der Praxis im Prozess der Persönlichkeitsbildung ignoriert.59

      Eine wirklich formative Pädagogik kann Smith zufolge nur insofern entwickelt werden, als die Relevanz der Liturgie für die Bildung des Menschen wiederentdeckt wird. Smith geht – in Anschluss an die phänomenologische Tradition – erstens davon aus, dass der Mensch ein grundsätzlich «intentionales» Wesen sei.60 Dies bedeutet ganz allgemein, dass der Mensch immer in Beziehung zu etwas steht, das sich wegen der Beziehung, die der Mensch dazu herstellt, jeweils als Objekt seiner Erkenntnis, seines Verlangens, seines Handelns definiert. Je nachdem, ob etwas als Gegenstand von Handeln, Verlangen oder Erkenntnis intendiert wird, geschieht die Intention in einem jeweils anderen Modus. Zweitens hält Smith daran fest, dass der vorrangige Intentionsmodus des Menschen nicht kognitiver, sondern präkognitiver Natur sei. Der Mensch intendiert die Welt primär nicht als erkennendes oder beobachtendes Subjekt, sondern als involvierter Teilnehmer.61 |27| Der Mensch verhält sich somit zur Welt – wie bereits Augustinus erkannt hatte62 – primär im Modus der Liebe und des Verlangens. Drittens ist der Mensch, obwohl er die unterschiedlichsten Gegenstände zu intendieren vermag, in einem viel grundlegenderen Sinne immer auch auf etwas Letztgültiges ausgerichtet. Dieses Letztgültige ist das verborgene Ziel hinter all den kleinen Zielen, die er jeweils verfolgt. Es ist das, was der Mensch über alles und hinter allem liebt, das höchste Gut, nach dem er strebt, und der «Gott», den er anbetet.63 Der Mensch ist also nicht nur ein intentionales, liebendes Wesen, sondern hat immer auch eine Grundintention, die seine Gefühle, seine Denk- und Handlungsweise prägt und damit seine Identität ausmacht.64 Dabei ist – im Sinne der zweiten Prämisse – das, wonach er strebt, nicht sosehr eine Liste klar ausformulierter Propositionen, sondern vielmehr ein «Bild des guten Lebens».65

      Setzt nun aber das Streben des Menschen nach einem bestimmten Ziel nicht voraus, dass er dieses Ziel zuvor (geistig) erkannt hat? Wenn dem so wäre, schiene der angeblich präkognitiven Intentionalität, von der Smith spricht, doch ein kognitives Moment vorauszugehen.66 Auf diesen Einwand geht Smith in Imagining the Kingdom ausführlich ein. Dort gibt er zwar die Existenz einer tieferen Ebene zu, die die Intentionalität des Menschen beeinflusst, betrachtet diese tiefere Ebene aber nicht als eine Form von verstandesgemäßer Erkenntnis (intellection), sondern als «Vorstellungsvermögen» (imagination). Die imagination wird als «eine Art Vermögen» definiert, «dank dessen wir die Welt auf einer präkognitiven Ebene deuten»67 oder aber als «a kind of midlevel organizing or synthetizing faculty that constitutes the world for us in a primarily affective mode».68 Da Smith seine Theorie in stetem Dialog mit Maurice Merleau-Pontys «Phänomenologie der Wahrnehmung» entwirft, ist die große Ähnlichkeit zwischen Smiths Begriff der imagination und jenem der praktognosia, wie dieser bei Merleau-Ponty begegnet, wenig überraschend.69

      Wird die Welt primär in diesem präkognitiven, emotionalen Modus intendiert, so bedeutet dies für Smith jedoch nicht, dass praktognosia bzw. imagination bloß den «Rohstoff» für die spätere verstandesgemäße Erkenntnis der Dinge liefern würden. Vielmehr stellt die imagination einerseits eine bestimmte, von der |28| «objektiven» zu unterscheidende Form von «Erkenntnis» dar; andererseits bildet sie die Bedingung der Möglichkeit für die verstandesgemäße reflektierende Erkenntnis.70 Darüber hinaus hat die Qualität unserer «Wahrnehmung» der Welt auch ethische Implikationen. Denn unsere Handlungsweise ist in dieser Perspektive durch die Art und Weise bedingt, in der wir die Welt emotional intendieren (passional orientation to the world), wobei unsere Intentionalität wiederum unserer «Wahrnehmung» bzw. imagination entspricht.71

      2.4 Liturgien als formative Praktiken

      Die These Smiths lautet: Die Grundintention des Menschen – seine fundamentale Ausrichtung auf eine bestimmte Form von höchstem Gut – sowie die diese Grundintention bedingende «Wahrnehmung» der Welt sind nicht etwas, was sich augenblicklich ausbildet und ebenso augenblicklich verändert werden kann; vielmehr sind «Wahrnehmung» und Grundintention etwas Herangewachsenes. Sie machen unseren Charakter aus, welcher seinerseits aufgrund der Wiederholung bestimmter Handlungen eine ihnen entsprechende Form angenommen hat. Der Charakter bildet sich somit habituell aus. Wie der Habitus (diathesis) bei Aristoteles und die praktognosia bei Merleau-Ponty ist der Charakter des Menschen weder etwas Angeborenes noch ein Affekt, sondern er wächst allmählich in uns. Da der Modus der Grundintention bzw. imagination präkognitiv und emotional ist, wird deren Entstehung ferner nicht durch bewusste Erkenntnisprozesse bewirkt. Vielmehr hängt die Art und Weise, in der wir die Welt intendieren, damit zusammen, dass unsere «Wahrnehmung» durch bestimmte, für uns «paradigmatisch» gewordene Erzählungen (stories) beeinflusst und geprägt worden ist.72 Eine Erzählung wird insofern paradigmatisch, als wir uns in sie «hineinleben», sie absorbieren und Platz in ihr einnehmen, sodass diese Erzählung zum Schlüssel für die Interpretation unserer Existenz und das Verständnis unseres In-Der-Welt-Seins wird.73

      Wie bekommt aber eine story diese paradigmatische Funktion? Wie kommt es dazu, dass Menschen sich in eine Erzählung so hineinleben können, dass ihre «Wahrnehmung» durch sie bestimmt wird? Smith zufolge geschieht auch dies nicht durch einen bewussten geistigen Vorgang, sondern durch die – bewusste oder unbewusste – Teilnahme an formativen Praktiken, die er «Liturgien» nennt. Als Liturgien versteht Smith