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Gemeinsames Gebet


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Gedanken und des Gedankens wiederum durch das Aussprechen.17 Der Leitgedanke dieser rational durchgebildeten und aufklärungstheologisch geläuterten Gebetslehre lässt sich als doppelter Widerstand fassen: Sie macht erstens Front gegen die magische Auffassung des Gebets. Beten soll gänzlich befreit vom Beeinflussen-Wollen Gottes als reiner Ausfluss der religiös erregten Seele gedacht werden. Schleiermacher bezieht zweitens Front gegen ein dogmatistisch und moralistisch enggeführtes Religionsverständnis, indem er mit dem Erleben des frommen Selbstbewusstseins auf eine eigene Provinz des Religiösen verweist. Mit eben dieser konsequenten Zuordnung zum darstellenden Handeln stößt Schleiermachers Gebetsverständnis aber auch an seine Grenzen.

      Michael Meyer-Blanck bringt die theologische und spirituelle (bzw. psychologische) Problematik von Schleiermachers Gebetsverständnis wie folgt auf den Punkt: |16|

      [D]as Gebet hat fast immer auch ein starkes wirksames Moment. Das gilt biblisch nicht nur im Hinblick auf das Bewusstsein von Gott, sondern auch im Hinblick auf das Handeln Gottes selbst.18

      Natürlich ist mit dieser Kritik nicht der Stab über Schleiermachers Gebetslehre gebrochen. So kann man, wie Meyer-Blanck feststellt, von Schleiermacher neu lernen, dass Beten ein mehrdimensionales Geschehen ist, in dem das Hören und Gewahrwerden eine hohe Bedeutung hat.19 Schleiermachers Konzeption einer Erhöhung des religiösen Selbstbewusstseins gibt auch ein gewichtiges Argument gegen den schlechten Stil belehrender Gebete an die Hand. Aber eine Grundproblematik der religionstheoretischen Argumentation lässt sich gleichwohl – auch und gerade in der Begründung berechtigter Anliegen – erkennen. Diese liegt darin, dass die Gottesdienstlehre sich nicht ohne Verluste auf eine Religionstheorie reduzieren lässt. Daran erinnert die liturgische Fundamentaltheologie. Die fundamentaltheologische Gottesdienstlehre achtet nämlich auf die Verschränkung von Dogmatik und Empirie.

      Sie ist eine der Praxis des Evangeliums, der Rede von Gott und der Feier Gottes nachdenkende Theorie, die vom bekennenden Reden und Feiern nicht getrennt werden kann und darum auch nicht ins Abstrakte verflüchtigt werden darf.20

      Meyer-Blanck benennt die Gefahr der «wechselseitigen Selbstisolation von Liturgik und Homiletik» und fordert eine verschränkte Reflexion in einem bestimmten Interpretationsrahmen. Sein Fokus ist das Verhältnis von Wort und Ritus. Problematisiert wird aus dieser Warte eine reduktionistische Interpretation der Torgauer Formel.

      Für Luther ist die Predigt – nahezu in Parallele zu gegenwärtigen rezeptionsästhetischen Überlegungen – das gemeinsame Werk von Prediger und Gemeinde. […] Das Wort Gottes tritt also durch Reden und Hören zugleich in Geltung. Schon von daher verbietet sich eine Aufteilung gottesdienstlichen Geschehens in das Reden Gottes durch die Predigt und das Reden der Gemeinde durch die Antwort in Liedern und Gebeten. Es ist komplizierter. Gottes Handeln und das Handeln der Menschen lassen sich nicht säuberlich voneinander unterscheiden.21 |17|

      Dem Auseinanderfallen der Perspektiven will Meyer-Blanck mit einer zeichentheoretisch inspirierten praktisch-theologischen Hermeneutik und Bildungslehre begegnen.22 Man könne der Schwäche von Schleiermachers Systems auch dadurch begegnen, «dass die religionstheoretische Kategorie des ‹stärker erregten religiösen Bewusstseins› durch den religiös gebrauchten biblischen Begriff des ‹Evangeliums› ersetzt wird».23

      1.4 Das Übergewicht des Expressiven

      Auf Meyer-Blancks bedenkenswerten Versuch, Gottesdienst- und Predigtlehre verschränkt zu reflektieren, gehen wir an dieser Stelle nicht weiter ein. Wir wollen einen anderen Weg beschreiten und das, was in der Tat «komplizierter» ist, im folgenden Abschnitt mit einer vertieften Reflexion liturgischer Bildung bedenken (2), hier aber, um den Argumentationsbogen abzuschließen, eine liturgiegeschichtliche Einordnung des Gesagten versuchen.

      Historisch betrachtet bildet die Zeit der Aufklärung einen wichtigem Meilenstein für das liturgische Bewusstsein, das wir als expressiv bezeichnen. Auch Schleiermachers Auffassung vom Beten baut auf diesem Fundament auf.24 Bekanntlich ist aber das Verdikt über die Liturgik der Aufklärung als einer Epoche, die den «Zerfall der Formen» zu verantworten hat, allzu einseitig.25 Was den einen als Zerfall erschien, sahen andere als Befreiung. Dass man nicht nur in der Predigt nach dem Zeitgeist fragt, sondern Liturgie als Ausdruck des Zeitgeschmacks begreift, ist eine moderne Erscheinung. Letztlich geht es bei der Anpassung nicht nur um das Modische, sondern um die viel grundlegendere Frage, wie einerseits dem biblischen Gebot, dem Herrn neue Lieder zu singen (Ps 99,1) und andererseits der Weisung, verständlich zu beten (1Kor 14), nachgelebt werden kann. In dieser biblisch-theologischen Zuspitzung wird deutlich, dass die evangelische Liturgik schon vor der Aufklärung und Schleiermacher in einer spiritualistischen Traditionslinie zu sehen ist.

      Auf diesem Hintergrund lässt sich der Gewinn und der Verlust einer expressiven Grundlegung der Liturgie prägnanter konturieren. Sie erlaubt es, der Liturgie eine Funktion für den Fluss der Gefühle zuzuordnen und das Religiöse von magischen, gesetzlichen, metaphysischen und moralischen Voraussetzungen zu befreien. Aber eine in dieser Weise religionszentrierte Theologie des Gottesdienstes ist |18| zugleich – wie eingangs schon betont – zu voraussetzungsreich. Sie setzt voraus, dass der Gottesdienst der Kirche auf der Bibel basiert, sich am Bekenntnis orientiert und nach der Agende richtet, weil Gott zuerst gesprochen hat. So behält die Unterscheidung von Gottes Wort und menschlicher Antwort in der Torgauer Formel ihr unbedingtes Recht! «Gott hat das erste Wort» und der Gottesdienst ist insgesamt Antwortgeschehen, wie er insgesamt Wort ist. Denn er «ruft uns fort und fort»26. Die von Meyer-Blanck geforderte Verschränkung leitet zu einer gottesdiensttheologischen Unterscheidung. Unterschieden wird der Vorrang des Wortes Gottes vor aller Liturgie vom Vorgang des Wortes Gottes in der Liturgie. Wenn aber die Unterscheidung von Gott und Mensch aus der Theoriebildung fällt, verliert die Liturgik ihren kritischen Rückhalt, um der Verflüssigung der Religion ins Religiöse etwas entgegenhalten zu können. Es steigt das Risiko, dass sich die Zeichen des Glaubens in «Schall und Rauch» (Goethe) auflösen. Denn mit welchem Recht und unter Berufung auf welche Autorität kann Liturgik auf einen Gottesdienst der Kirche verweisen, wenn die Symbole zu Hüllen für das Eigentliche werden?

      Für uns liegt es auf der Hand, dass der ganze theoretische Aufwand, der seit der «anthropologischen Wende» in der Liturgik getrieben wurde, um Liturgie symbol-, ritual-, kommunikations-, spiel- und zeichentheoretisch zu erklären, das Reden über den Gottesdienst bereichert und erweitert hat.27 Aber dieser Aufwand kann die theologische Aufgabe, den Gottesdienst der Kirche im Licht der Rede von Gott zu klären, nicht ersetzen. Wir wollen nicht zurück zu alten Fronten und falschen Alternativen. Man muss kein Verächter einer humanwissenschaftlich orientierten Liturgik sein, um unsere Einwände nachvollziehen zu können. Uns geht es darum, die Grenzen einer Gottesdiensttheorie hervorzuheben, die einer religionszentrierten Theologie folgt, und mit unserer Kritik auf eine aussichtsreichere Alternative zu verweisen. Programmatisch gewendet: Liturgik muss (auch) sagen, was die Feiergestalt des Glaubens mit den Menschen tut, und nicht nur, was Menschen mit ihren Feiern tun. Wenn Gottesdiensttheologie Rede von Gott ist und nicht nur Rede über das Reden von Gott, muss sie sagen können, was Gott in der Liturgie seiner Kirche geschehen lässt. Vor allem aber sollte es durch eine Ausdifferenzierung der liturgischen Anthropologie möglich werden, das Wirksame der Liturgie als heilsame Bildung und Prägung des Menschen besser zu verstehen.

      Wird nämlich zu vehement nur die menschlich-subjektive Seite betont, bleibt vom innersten Kern der Feier nur noch ein Gespür für das Transzendente übrig. |19| Liturgie wird dann zum Gerüst und die Gestalt zu dem, was Konvention noch zulässt. Ist man einmal so weit, kann man die heiligen Dinge selbst nur noch negativ bestimmen. Flüssiges wird flüchtig. Aus Gott wird ein Geist mit gespenstischen Zügen und Gott ein Symbol, mit dem wir etwas zum Ausdruck bringen. Dann bekleiden und verhüllen die Gesten, Klänge und Formen der liturgischen Sprache letztlich etwas Numinoses und Unbekanntes. Aus dem Geheimnis wird etwas (Un-)Heimliches und aus Gott ein Geist, weil der Geist Gottes nicht mehr fassbar ist. Was aber nur für eine bestimmte Zeit Gültigkeit und Stimmigkeit beanspruchen kann, kann nicht mehr der Gottesdienst der Kirche und darum keine Referenz für den Gottesdienst der Gemeinde sein.

      Halten wir deshalb noch einmal fest: Wird der Gottesdienst expressiv aufgefasst, stellt er ein Geschehen dar, dessen primäres Subjekt der Mensch als kulturell Handelnder