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Reformierte Theologie weltweit


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anders als Barth, da er ein anderes Verständnis des Wortes Gottes hat. Das Wort hat bei Barth – so Noordmans᾿ Sicht – zu wenig Zeitbin­dung. Barth sieht seiner Meinung zu wenig das Dynamische und Beweg­liche von Gottes Wort, das Möglichkeiten bietet, im Leben einen Weg zu finden. Noordmans sucht also die Wirkung dieses Wortes in allen Din­gen. Die Dynamik des Wortes macht gegenwärtig, was in der Kultur ver­drängt wird. Es gibt in jenem Wort immer etwas Schöpferisches, etwas vom «Es werde …» von Genesis 1. Es wird Raum für das geschaffen, was noch nicht ist. Diesen Akzent vermisst Noordmans bei Barth. Noordmans will das Wort nicht als ein «Geschehen» sehen, sondern als «Medium» von «göttlicher Offenbarung», die eine «geistliche Kontinuität» impliziert (VW 2, 188). Er ist der Meinung, dass Barth in seiner Auffassung vom Wort zu lutherisch geblieben ist und zu wenig vom reformierten Be­wusstsein zeigt, dass das Wort «weitergehende Wahrheit» (VW 3, 643) ist, die sich in sehr verschiedenen Formen in der menschlichen Existenz zeigen kann. |58|

      c. Noordmans und die Konfession

      Mit meinen Bemerkungen zur Dynamik des Wortes, das zur schöpferi­schen Kraft im Menschenleben wird, habe ich schon auf eine wichtige Innovation aufmerksam gemacht, die Noordmans in seiner Auslegung des niederländischen Glaubensbekenntnisses (Confessio Belgica, 1561) entfaltet. Das Ziel des göttlichen Wortes in der Welt ist, dass das Bild Gottes vom Menschen an den Tag kommt. Das Evangelium ebnet dafür den Weg, indem es den Erstgeborenen der neuen Schöpfung, Jesus Christus, zeigt. Noordmans korrigiert das traditionelle Denken über die Ordnung von Schöpfung und Vorsehung, indem er geltend macht, dass unsere Erkenntnis ihre Kraft erst von der Aufmerksamkeit für den Ge­kreuzigten her entfalten kann. Dort, in seiner Nähe, formt sich ein neues Bild vom Menschsein. Und darum heisst Schöpfung bei Noordmans «ein Lichtfleck um das Kreuz herum» (VW 2, 245). In meinem letzten Para­graph komme ich auf diesen innovativsten Punkt in Noordmans᾿ Theolo­gie zurück. |60|

      4.3 Offenheit für säkulare Einsichten

      Auch der dritte Punkt der reformierten Geisteshaltung, Offenheit für Weisheit und Einsicht ausserhalb der Welt von Glauben und Theologie, war Noordmans nicht fremd. Philosophie und Weltliteratur waren in seiner Bibliothek in reichem Masse vertreten. Seit dem Anfang seiner theologischen Entwicklung schrieb er über Philosophen wie Descartes, Pascal und Heidegger. Sein Gesamtwerk ist voll von Hinweisen auf grosse Literatur. Charaktere aus der Literatur kommen in seinen Werken auf zwanglose und spielerische Art und Weise vor. Sie dienen nicht dazu, der theologischen Arbeit eine kulturelle Farbe zu geben, sondern sollen die Einsicht vertiefen. Besonders Autoren wie Goethe, Cervantes, Dickens und Dostojewski werden angeführt. Ich nenne hier als Beispiel Dosto­jewski, von dessem Literatur sich Noord­mans in seiner Theologie beleh­ren lässt. Ich wähle ihn, da Noordmans bei Dostojewski die beste Illustra­tion für die Theologie von Karl Barth fand. Noordmans schreibt: «Die Charaktere in Dostojewskis Romanen sind, abgesehen von einigen Aus­nahmen, alle doppelt. Sie sind nicht Sünder oder Heilige wie bei Dickens, sondern Sünder und Heilige zugleich.» Dostojewski kennt die dunkelsten Ecken des Lebens, «aber er kennt sie zweimal, und aus dem Finstern ruft er sie auf nach ihrer ewigen Bedeutung» (VW 3, 590). Der folgende Ab­schnitt zeigt Noordmans᾿ Vertrautheit mit den Kerneinsichten aus Dos­tojewskis Romanen und macht anschaulich, wie er in jenem Licht die Theologie von Karl Barth belauscht.

      «Er [Dostojewski, A.vdK.] geht ganz tief auf das Seelenleben seiner Per­­sonen ein. Er wirft das Ganze über den Haufen. Und doch zeigt er uns keine stetige Charakterentfaltung. Sie haben nicht einen Kern in ihrem Leben, einen guten oder bösen, der sich entwickelt, so dass ihre Per­sönlichkeit zu etwas Gutem oder Bösem heranwächst und sie Gott oder dem Teufel gleichförmig werden. Sie werden nicht logisch be­handelt. Nicht stetig weitergedacht. Ihr Leben ist nicht stetig.

      Aber wenn Dostojewski sie gelockert hat, wie man ein Stück Land mit einem Pflug lockert, wenn man gut gesehen hat, dass es Menschen sind und nicht mehr, wenn er ihr Herz, und ich sollte fast sagen, ihr Fleisch aufgerissen hat, dann lässt er manchmal etwas geschehen, wo­rin wir mit Überraschung entdecken, dass der Mensch einen Schöpfer als Gegenüber hat, dass der Sünder einem heiligen Gott gegenüber steht und der Verlorene einem Erlöser. So beschreibt Dostojewski die |61| Menschen nicht, um sie zu vergöttlichen, sondern um Gottes Offenba­rung an ihrem Leben zu zeigen. Das ist die dialektische Methode. Wir können mit unserem Denken und Entwirren, Analysieren, nur Fragen stellen, die Wahrheit muss aus dem Jenseits kommen. Sie führt nicht vom Menschen zu Gott, sondern sie macht den Menschen erst recht zum Menschen. Sie erklärt all das Göttliche, das er in sich selbst zu ha­ben meint, für falsche Münze, sie macht alle Menschen in jeder Hin­sicht gleich, um den Grund für Gottes Offenbarung zu schaffen, für die Wirkung seines Geistes. Durch dieses Beispiel von Dostojewski ist uns jetzt wohl auch deutlich, dass die Dialektische Theologie, obschon sie selbst lebhaft argumentiert, keine Argumentier-Theologie sein will. Dialektik ist immer mehr als das ordentliche Logische, auf die Wirklich­keit gerichtet. Kierkegaard nannte es ‹existenzielles› Denken. Existenz­denken. Denn die Personen von Dostojewski werden nicht ausgedacht, auch nicht zu Ende gedacht […], sondern das Geheimnis ihrer Existenz wird so tief wie möglich ausgeschöpft. Dort irgendwo auf dem Boden der Wirklichkeit hat man dann eine Chance, etwas von Gottes Offen­barung zu sehen. Ungefähr so will auch Barth theologisieren […].» (VW 3, 620)

      4.4 Praktische Ausrichtung

      Der niederländische Theologe Gerrit Neven hat in seiner Dissertation über Noordmans dessen Theologisieren als «scientia practica» typisiert, was dem vierten von Gerrish genannten Punkt entspricht.22 Gerrish be­hauptete, dass der reformierte Theologe nicht nur Gedanken produziert, sondern auch «wohldurchdachte Handlungen». Alle theologische Arbeit von Noord­mans᾿ ist darauf ausgerichtet, Orientierung für Probleme des Gemeindelebens und für Situationen, in denen Christen sich befinden, zu geben. Er schreibt gleichsam mittels eines Umweges über historische Un­tersuchungen auf die kirchlichen und sozialen Verhältnissen hin. Diese auf das konkrete Leben gerichtete Arbeitsweise ist tief in seiner pneu­ma­tologischen Sichtweise verankert. Das Evangelium bleibt toter Buchstabe, bis es ins Leben aufgenommen ist und dort wirkt. Es geht darum, dass Menschen einen Weg gezeigt bekommen, wie sie im Leben Anschluss an Weg und Werk des Heiligen Geistes bekommen. Das gibt der Arbeit von Noord­mans einen stark pädogogischen Einschlag. So lie­fert er zum |62| Beispiel eine Sicht des Lebens als «Teilen» in einer Bespre­chung des Buches «Terre des Hommes» des Autors und Piloten Antoine de Saint-Exupéry. Dieser erzählt von seiner Rettung nach einer Notlan­dung in der Wüste, die ihm wegen Wassermangels beinahe das Leben gekostet hätte. In dieser Situation lernt der Autor, dass Leben Teilen bedeutet. Noord­mans notiert dazu:

      «Das Leben ist ein Symposion, ein Konvivium, das mit viel leichteren Tönen gespielt werden muss. Selbst das Wasser in der Wüste – so der Autor – ist es nicht selbst. Denn warum sollten wir es dann mit so viel Freude teilen? ‹Le plaisir véritable est le plaisir de convive.› Das Lä­cheln, womit die Retter es herantragen! Dabei fühlte der Autor sich glücklich!» (VW 4, 487)

      4.5 Diener des Wortes: «Reden wie aus Gott»

      Bei diesem letzten Punkt scheint das Wesentlichste der reformierten Identität angesprochen, nämlich, dass man jemand ist, der für Gott in der Welt spricht. Und das, weil er oder sie nicht anders kann. Hier steht die gan­ze Existenz der Person auf dem Spiel. Von den Bemerkungen von Gerrish ausgehend, fällt mir Noordmans᾿ Typierung der Existenz des Pas­­to­ren/Theologen ein: die Existenz einer homuncio quispiam (VW 5, 379; 6,20), ein aus dem Staub gezogener Mensch, der etwas von Gott zu er­zählen hat. Und der dies kann wegen der Erfahrung der Freiheit in seiner durch Christus gerechtfertigten Existenz. Dies sind Worte, die Noord­mans von Calvin entlehnt. Es geht in dieser Zeichnung der Exis­tenz um Echtheit. Um einen Menschen, der so spricht, dass aller Schein verschwun­­den ist. Es ist ein Reden, in dem – mit einem Lieblingsaus­druck von Noord­mans gesprochen – Gott die Grenze ist. Es geht nicht darum, der Welt Informationen über Gott zu geben. Es geht darum, für Gott in der Welt zu leben und zu reden; mit Gott und dank Gott.

      Gerrish verweist im Zusammenhang mit dem fünften Punkt auf Jer 20,9. Noordmans führt den Text in einer Predigt