Группа авторов

Reformierte Theologie weltweit


Скачать книгу

mit Jesus Christus» nicht nur alle Beiträge des Nieselschen Sam­melbandes als «Gesamtthema» durchklinge95, sondern als die theologische Grundorientierung des reformierten Theologen Niesel zu gelten habe. Durch seine zahlreichen Studien zur Theologiegeschichte der Reformier­ten vorbereitet, verfasste Niesel ein Lehrbuch der Symbolik nach seinen Vorlesungen an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal.96 Das erste Kapi­tel über die Kirchen der Reformation stellt er unter die Überschrift «Ge­meinschaft mit Christus» und nennt diese «[d]as grundlegende Bekennt­nis der Reformierten».97 Niesel sieht hier – wie auch an anderen Stellen – Calvin und den Heidelberger Katechismus ganz einig. Jesus Christus hat nicht allein durch sein Leiden und Sterben gewirkt, sondern wirkt auch heute noch als der Herr dieser Welt. Er ist den Seinen nahe und gewährt seine Gemeinschaft. Damit können keine «frommen Dreistigkeiten»98 eines Gerhard Tersteegen und anderer Mystiker gemeint sein. Vielmehr müssten alle gegenwärtigen Gnadengaben als Christi Werk verstanden werden, wodurch die Glaubenden mit ihm Gemeinschaft haben. Nicht zuletzt für die Abendmahlslehre ist dies entscheidend. Christus selbst ist Gabe und Geber des Abendmahls; seine – wie auch immer genau zu fas­sende – reale Gegenwart konstituiert das Abendmahl als Sakrament. |96|

      Die communio cum Christo blieb für Niesel ein ihn lebenslang beglei­tendes Theologume­non. Theologisch gediegen und überaus willig zur geforderten Welt(um)gestaltung führte er angesichts der Stimmungslage gerade auch in der Ökumene am Ende seiner kirchenpolitischen Karriere beinahe verzweifelt aus:

      «Die Gemeinschaft mit Christus ist Quell für alles, was heute [sc. 1970] die Gemüter so stark bewegt und begehren lässt: Freiheit, Gerechtig­keit und Frieden, Wandlung der Verhältnisse zu einem menschen­würdigen Dasein aller. Die Aktivität hierfür müsste wirklich radikal sein, von der guten Wurzel herkommen, dem neuen Menschen Jesus Christus und unserer Gemeinschaft mit ihm! Eine blosse Veränderung von Strukturen99 vermag unsere Welt nicht heil zu machen, weil da­durch die Menschen nicht von innen her anders werden.»100

      Ist dies jedoch geschehen, wird es keinen anderen Weg mehr als den des «Glaubensgehorsams» geben können.

      4.2.2 Wichtiger als ein theologisches Prinzip: die Person Jesu Christi

      Sowohl in seiner Symbolik als auch im Aufsatz zum Jubiläum des Hei­delberger Katechismus im Jahr 1963 findet sich eine Kritik bzw. eine Re­lativierung der Rechtfertigungslehre durch Wilhelm Niesel. Diese Lehre ist natürlich grundlegend wichtig, darf aber nicht als theologisches Prin­zip |97| verstanden werden. Anders als Luthers Kleiner Katechismus behan­delt gerade auch der Heidelberger Katechismus «die Grundlehre der Re­formation von der Rechtfertigung des Sünders aus lauter Gnaden».

      «Aber er versteift sich nicht darauf. Das ist in der reformatorischen Theologie mitunter geschehen. Wo die Rechtfertigungslehre als das ein und alles der Christenheit proklamiert wurde, übersah man, dass sie nur Ausdruck der Christusbotschaft des Neuen Testaments ist. Chris­tus ist unser ein und alles; und er ist reicher für uns als eine einzelne derartige Lehre es zu umschreiben vermag.»101

      Wer die Rechtfertigungslehre als alleiniges theologisches Prinzip versteht, gelangt notwendig zu einem eingeschränkten Verständnis des Bekennt­nisses, nämlich zur irrigen Ansicht, dass Bekennen darin bestünde, the­o­logische Richtigkeiten zu benennen – das war die Gefahr des Luther­tums spätestens seit 1580. Tatsächlich geht es aber im christlichen Glauben um eine lebendige Person: Jesus Christus.102 Das hat Konsequen­zen für den Glaubens- und Lebensstil. Nicht allein theologische Positio­nen müssen Jesus Christus entsprechen, sondern das ganze Leben. Eine Rechtferti­gung des Faktischen kann es dann nicht geben, das, was ist, muss nicht vernünftig sein. Niesel und seine Weggefährten hegten auch deshalb Skepsis gegenüber Schöpfungsordnungen, die ja durch die be­grenzte und getrübte Erkenntnisfähigkeit des Menschen ohnehin unklar bleiben. Aber auch ein quietistischer Lebensstil ist nicht möglich. Die Reformier­ten prä­fe­rieren das Prophetische. |98|

      Ganz überraschend findet diese Kategorie der Gemeinschaft mit Christus eine aktuelle Erwähnung: «Christliche Ethik hat ihre Identität in Christusgemeinschaft und der Nachfolge Christi, um in ihr ‹die bessere Gerechtigkeit› (Mt 5,20) sichtbar werden zu lassen, aber sie findet ihre Relevanz in den Problemen und Nöten ihrer Zeit.»103 Ein zweites Mal stossen wir überraschend auf eine Berührung Niesels mit Jürgen Moltmann – überraschend deshalb, weil der ältere für ein konfessionell-konservatives Reformiertentum steht, der jüngere dagegen für ein inno­vatives Format dieser protestantischen Spielart. Auch Moltmann kann eine sich selbst genügende Rechtfertigungslehre kritisieren, da «Recht­fertigung» allein auf den Täter blickt und auf dessen Zurechtbringung in einer jenseitigen Welt. Gemeinschaft mit Christus bedeutet aber weiter zurück und weiter nach vorn zu schauen, als alleine den Vorgang der Rechtfertigung eines Individuums zu fokussieren, nämlich Christus als den alleinigen Grund zu sehen und im Glaubensgehorsam bereits hier das Leben zu gestalten, mit Christus auf der Seite der Opfer zu stehen, weil Christus selbst Opfer wurde.104 Es kann deshalb auch nicht verwun­dern, dass die Reformierten bei den Aufgeregtheiten im Zusammenhang mit dem Rechtfertigungskonsens zwischen Rom und «Wittenberg» kurz vor der Jahrtausendwende kaum vernehmbar waren. Gewiss sind sie treue Anhänger paulinisch-augustinischer Theologie, aber gerade deshalb sind sie mit dieser Theologie auch weiter fortgeschritten und verstehen die Rechtfertigung nicht absolut, sondern in einem vitalen Verhältnis zum Leben und also zur Heiligung und Weltgestaltung.105 |99|

      5. Niesels Name und der Name, der über alle Namen ist

      Wilhelm Niesel gehört heute nicht zu den bekannten Personen der jünge­ren Theologie- und Kirchengeschichte Deutschlands. Weder ein bedeut­sames noch ein einheitliches Werk hat Niesel hinterlassen, so dass sein theologisches Œuvre nicht wirklich überragend ist, auch wenn eine um­fangreiche Bibliographie vorliegt.106 Er hat keine «Schule» gebildet, es gibt keine Theologen von Rang, die sich unmittelbar als seine Schüler ver­stünden. In der Kirche wurde ihm zu Lebzeiten keine herzliche Sympa­thie entgegengebracht, eher Respekt und manchmal wohl auch Furcht, weil er derart unnachgiebig war: intransigent in der vom ihm vertretenen Glaubenslehre, unnachgiebig im von ihm geforderten Glaubensgehorsam. Die Zeitläufte haben ihn aber an vordere kirchen- und konfessionspoliti­sche Plätze getragen. Diese Einschätzung soll weder seine Begabungen noch seine Leistungen mindern, ihn aber doch historisch kontex­­tua­lisieren und relativieren.

      Es war hier Aufgabe, an Wilhelm Niesel zu erinnern und ihn in seiner Bedeutung für die reformierte Identität im 20. Jahrhundert auch in glo­balen Bezügen vorzustellen. Bei ihm hatten Theologie und Kirchenpolitik – beides Funktionen der Kirche – einen Grund, eine Ausrichtung und ein Ziel. Der christliche Glaube als Glaube an Jesus Christus kann nicht an­ders als bei allem, was im Glauben getan wird, «Zeugnis» zu sein und zu geben (vgl. 1Kor 9,16). In der reformierten Tradition entdeckte Niesel dafür gute Grundlagen, in der für ihn zeitgenössischen Theologie Karl Barths sah er das entscheidende Interpretationsformat und im Kirchen­kampf machte er die prägenden Erfahrungen seines Lebens. Wenn es nach Wilhelm Niesels zu vermutendem eigenen Willen ginge, dann wird er für seinen Namen und seine Person wohl nur ernsthaft eine Bedeutung |100| erhofft haben, nämlich dass sein Lebenszeugnis Hinweis sein darf für den einen Namen, der über alle Namen ist: Jesus Christus.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек,