David Fisher

Lebe Lang ... und was ich auf meinem Weg lernte


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ich mich am besten erinnern kann, wenn ich an den Abend zurückdenke? Die fehlende Angst. Ich hätte nervös sein müssen. Ich stand davor, auf die Bühne hinauszugehen, beinahe unvorbereitet und das auch noch vor einem vollen Haus in einem der prestigeträchtigsten Theater der Welt. Warum empfand ich keine Angst? Woher kam nur das Selbstvertrauen? Oder war ich vielleicht so naiv, dass ich es nicht besser wusste?

      Die Inszenierung war mir hinsichtlich der Details nicht geläufig, weshalb meine größte Sorge darin bestand, eventuell einen der Kollegen umzurennen. Andere Darsteller während einer Aufführung anzurempeln, wird als ganz schlimmer Fauxpas angesehen. Wenn ein Stück Premiere hat, „friert“ der Regisseur es ein, was bedeutet, dass die Schauspieler bei jeder einzelnen Darbietung von nun an die gleichen Bewegungen machen und dieselben Texte sprechen. Schon die kleinste Abweichung verursacht einen wellenförmig um sich greifenden Effekt, der die Kollegen dazu zwingt, darauf zu reagieren.

      Am Abend, an dem ich Christopher Plummer vertrat, war die Inszenierung recht simpel, da ich meine Rolle als Nebendarsteller kannte: Wenn sich Plummer hinsetzte, stand ich auf, wenn er aufstand, setzte ich mich hin.

      Der Auftritt wurde wunderschön und lief außergewöhnlich gut. Die anderen Schauspieler unterstützten mich, und ich spürte, wie ich dem Publikum ans Herz wuchs. Ich verpatzte weder Zeilen, noch missachtete ich ein Zeichen – bis zu einer der letzten Szenen. Als die französische Prinzessin hereinkam, schaute ich sie direkt an – und hatte eine Mattscheibe. Ich wusste, dass jetzt eine Zeile von mir kommen musste, hatte aber nicht den blassesten Schimmer, wie sie lautete. (Vielleicht: „Hi, Prinzessin, was geht so ab?“)

      Exakt in dem Moment wurde mir klar, dass „Ja“ vielleicht doch nicht die richtige Antwort gewesen war. Ich stand da und praktizierte edles Schweigen.

      Zum Ensemble gehörte auch der hervorragende junge Schauspieler Don Cherry, der meinen jüngeren Bruder verkörperte. Was in dem Moment am wichtigsten war? Don Cherry durfte sich eines fotografischen Gedächtnisses rühmen. Er kannte das gesamte Stück auswendig – Wort für Wort. Deshalb improvisierte ich eine abweichende Inszenierung. Ich ignorierte die französische Prinzessin, ging zu Don Cherry rüber, warf meinen Arm über seine Schulter und flüsterte: „Wie lautet die Zeile?“

      Don Cherry grinste verlegen, denn in dem Augenblick wusste er es auch nicht. Doch dann – wie aus heiterem Himmel – fiel mir die Zeile ein. Ich sprach sie mit einer Inbrunst, als hätte ich sie die ganze Zeit über parat gehabt. Nur die Kollegen wussten, was geschehen war. Und ich durfte mich der Standing Ovations und überschwänglicher Kritiken erfreuen. In vielerlei Hinsicht verwandelte ich mich in dieser Nacht von einem angehenden Darsteller zu einem Schauspieler. Es markierte den tatsächlichen Beginn meiner Karriere. In Stratford verpflichte man mich von nun an für größere Rollen, wodurch sich weitere Möglichkeiten eröffneten.

      Ich sagte „Ja“, und dadurch verlief mein Leben anders.

      Zugegebenermaßen gab es auch andere Situationen, bei denen ich meine Zustimmung signalisierte und die keinen guten Ausgang nahmen.

      Früher im Leben, ungefähr vor 50 Jahren, war ich Jäger. Die Vorstellung fällt mir nun schwer, wie ich damals das Töten von Tieren als Sport überhaupt praktizieren konnte, aber ich tat es. Ich gehörte nicht zu der Gruppe, die behauptet, sie müsse der Nahrung wegen jagen, denn zum Essen besuchte ich Restaurants. Für mich war es ein Sport. Heutzutage bin ich gegen das Jagen – aus philosophischen Beweggründen, sozialen, moralischen und empirischen. Doch zu der Zeit trat ich mehrmals in diesen Outdoor-Jagdshows auf, denn die Öffentlichkeitswirksamkeit wurde für einen Schauspieler als karrierefördernd angesehen.

      Ich jagte mit Pfeil und Bogen, war recht gut darin und stellte mich sogar einem Wettkampf im Cobo Center in Detroit. Doch dann lud man mich ein, Wildschweine auf Catalina Island zur Strecke zur bringen. Natürlich antwortete ich mit dem üblichen „Ja“. Im Rahmen der Show wollten wir das Tier nach dem Erlegen auch essen. Ich entdeckte also ein Wildschwein, ließ den Pfeil von der Sehne schnellen und traf es. Das verwundete Tier rannte in das dichte Unterholz, wodurch sich ein kleiner Tunnel bildete. Mich begleitete ein bewaffneter Wildhüter, da Wildschweine große und sehr gefährliche Tiere sind und sogar einen Menschen töten können. Mein Beschützer schlug vor: „Wir werden also Folgendes machen. Ich gehe in einem großen Bogen zum hinteren Ende des Gehölzes. Wenn ich Position bezogen habe, folgst du dem Schwein in den Tunnel und jagst es zur anderen Seite raus. Ich werde es dann erlegen.“

      Erneut kam es mir nicht in den Sinn, ganz einfach „Nein“ zu sagen. Das wurde hier ja alles gefilmt! Eigentlich hätte ich logischerweise den Vorschlag unterbreiten sollen: „Du kriechst in den Tunnel und jagst es raus, und ich warte auf der anderen Seite und werde es mit Pfeil und Bogen erlegen.“ Stattdessen sagte ich: „Ja.“ Mir kam es überhaupt nicht in den Sinn, eine andere Entscheidung zu treffen. Ich konnte mich lediglich weigern oder – falls mich das verwundete Schwein jagte – schnell den Rückzug antreten. Das Gestrüpp war so dicht, dass der Kameramann mir nicht folgen konnte. Oder vielleicht – wenn ich es aus der Retrospektive von mehreren Jahrzehnten betrachte – war er auch viel zu klug, um mir zu folgen. Auf jeden Fall begnügte er sich damit, Aufnahmen von sich bewegenden Büschen zu machen.

      „Bist du drin, Bill?“

      „Ich bin drin.“

      „Okay, gut. Geh weiter.“

      Ich machte das, was man mir aufgetragen hatte. Als ich ungefähr fünf oder sechs Meter im dichten Grün steckte, wurde mir plötzlich klar, gefangen zu sein. Ich steckte in einem Tunnel und kam nicht so schnell raus. Wenn das Wildschwein nun auf mich zustürmte – wie es verletzte Tiere häufig machen –, war ich völlig hilflos. Ich hatte zwar Pfeil und Bogen als Waffe, konnte mich aber wegen des dichten Gestrüpps nicht aufrichten.

      Glücklicherweise hatte ich das Tier tödlich verletzt, das in den Büschen verendet war.

      In meiner Erinnerung ist die Symbolträchtigkeit des Moments noch lebendig. Wie oft nahm ich an Shows teil, in denen ich mich gefangen fühlte, unfähig, da rauszukommen. Shows, bei denen das gesamte Ensemble sich darüber wunderte, was es dort eigentlich machte.

      Jeden Tag muss ich Entscheidungen fällen. Ich habe gelernt, nicht auf eine Art göttliche Inspiration zu warten, die mir plötzlich in den Sinn kommt und mir die richtige Antwort einflüstert, den richtigen Weg weist. Bislang ist das noch nie passiert. Stattdessen traf ich Entscheidungen, wonach ich alles in meiner Macht liegende unternahm, damit der Entschluss sich für mich als optimal herausstellte.

      Das Leben verläuft zyklisch. Ich habe gelernt, dass einige der Entscheidungen für mich richtig waren. Obwohl ich es nicht mit absoluter Bestimmtheit sagen kann, bin ich mir aber auch sicher, dass meine Lebensumstände manchmal hätten besser sein können, hätte ich eine andere Wahl getroffen.

      Schaue ich auf all die Jahre zurück, gibt es allerdings nicht viel, was ich ändern würde, wenn ich es könnte. Die in all den Jahrzehnten getroffenen Entscheidungen, die richtigen und die weniger richtigen, stellen sich in ihrer Gesamtheit und mit Blick auf ihre Auswirkungen nicht als grundsätzlich unterschiedlich dar. Mir war es wichtig, das Beste aus jeder Situation herauszuholen und nicht zurückzuschauen.

      Doch es gibt eben den einen bedeutenden Aspekt, der während meines Lebens einen wichtigen Unterschied markierte: Ich sage: „Ja!“

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