Ben Westhoff

Original Gangstas


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hatten, tat er sie nicht länger als „abgedroschen“ ab. Er überarbeitete „Supersonic“ und co-produzierte ihr gleichnamiges Debütalbum, das die Gruppe mit einer neuen Besetzung aufnahm. Eazy wollte Ruthless zwar als härtestes Label weit und breit etablieren, doch es war durchaus sinnvoll, zuerst einmal eine jugendfreie Gruppe zu veröffentlichen. „Jerry und Eric sagten: ‚Wir wollen wie ein seriöses Label wirken, also bringen wir zuerst die Mädels heraus‘“, berichtet MC J.B. Die Warner-Tochterfirma Atco Records verpflichtete sich, die Scheibe zu vertreiben. „Supersonic“ wurde 1988 im Windschatten von Salt-N-Peppas „Push It“ ein Riesenhit und heimste prompt eine goldene Schallplatte ein.

      J.J. Fad und N.W.A traten am Valentinstag 1988 bei einer Benefizveranstaltung für unterprivilegierte Kinder im Hotel L’Ermitage in Beverly Hills auf. Moderiert wurde die Sause vom Mädchenschwarm Scott Valentine, der im Film Familienbande Mallorys Freund mit Bad-Boy-Allüren spielte. N.W.A performten einen „kinderfreundlichen“ Song, an den sich keiner mehr genau zu erinnern scheint, doch die Hauptattraktion beim jungen Publikum waren J.J. Fad. „Supersonic“ wurde 1989 sogar als „Best Rap Performance“ für einen Grammy nominiert. Es war das erste Mal, dass in dieser Kategorie ein Preis verliehen wurde. J.J. Fad trugen zur Zeremonie maßgeschneiderte Smokings und Miniröcke. Da die Grammy-Verleihung jedoch nicht im Fernsehen gezeigt wurde, boykottierten andere Nominierte wie Salt-N-Peppa sowie die Gewinner DJ Jazzy Jeff & The Fresh Prince die Preisverleihung.

      Handwerk und Fachsprache

      Trotz des Erfolgs von J.J. Fad hatte weder Atco noch ein anderes Label Interesse an N.W.A, deren Sound und Image viel gewagter wirkten. Als nun die Zukunft der Gruppe in der Schwebe hing, begann Ice Cube nach seinem High-School-Abschluss 1987 andere Pläne zu schmieden. Er folgte dem Rat eines seiner Lehrer, bestieg einen Zug nach Arizona und studierte ein Jahr lang architektonisches Zeichnen, für das er ein Zertifikat des mittlerweile geschlossenen Phoenix Institute of Technology erhielt.

      Die anderen Mitglieder der Gruppe ließen weiterhin nicht locker, doch Cube zog es vor, seinem Plan B zu folgen. Er erinnert sich an einen zermürbenden Stundenplan und Arbeit, die intensive Konzentration voraussetzte. „Bei architektonischem Zeichnen geht es vor allem um Präzision und darum, das Handwerk und die Fachsprache zu lernen, damit du sie anwenden kannst“, erörtert er. „Die Zeichnungen wurden immer komplizierter, je länger das Jahr dauerte.“ Der Erfahrung verdankt er, wie er sagt, selbstständig leben gelernt zu haben. Er rappte nun mit der Crew seines Kumpels Phoenix Phil, doch dadurch ergab sich nichts Handfestes.

      Vielmehr vermisste er seine Freunde zu Hause. „Sie riefen mich an und erzählten, dass sie nach Chicago und Atlanta fliegen würden“, erzählte er. „Und ich hatte noch sechs Monate Schule vor mir! Das war das schlimmste Jahr meines Lebens. Meine Träume ließen mich im Stich.“

      In Cubes Abwesenheit trat MC Ren in den Vordergrund. Auch er war ein paar Jahre jünger als die anderen Mitglieder der Gruppe. Sein älterer Bruder war mit Eazy befreundet und die beiden Familien lebten in Compton nur zwei Block voneinander entfernt. Als Junge war Ren ein Jünger von DMC gewesen (und nicht von Run, wie die meisten anderen) und stand, wie Eazy auch, den Crips nahe. Er war sogar schon angeschossen worden. Während sich seine Rap-Skills entwickelten, schloss er sich mit einem Beatboxer namens Chip zum Duo Awesome Crew 2 zusammen. Den jugendlichen Künstlern gelang es schließlich, einen Gig im Roxy auf dem Sunset Strip zu ergattern. Als sie Ice-T im Publikum erkannten, schoss ihr Puls rasch in die Höhe. Immerhin war er gerade dabei, sein Label Rhyme Syndicate an den Start zu bringen, das später unter anderem Everlast und das Duo Low Profile veröffentlichte. Leider, so erinnert sich Ren, lief die ganze Sache schief. Der DJ gab an einer Stelle das falsche Tempo vor und brachte sie aus dem Rhythmus. „Wir mussten so schnell rappen, total abgefuckt“, erzählt er. „Als wir dann von der Bühne kamen, sagte Ice-T: ‚Nicht schlecht.‘“ Leider war das purer Sarkasmus.

      Ren wollte sich der Army anschließen, brachte es jedoch nicht übers Herz, dem Hip-Hop den Rücken zu kehren. Er verblüffte Eazy mit seinen Freestyle-Raps in dessen Stucco-Garage, die sich inzwischen zu einem gediegenen Proberaum samt Turntables, Drumcomputern und einem Asteroids-Videospielautomaten entwickelt hatte.

      Ren war ein Spitter, der in der Lage war, den Beat zu dominieren und noch etwas Extra-Würze ins Spiel zu bringen. Eazy nahm ihn zunächst solo unter Vertrag, erkannte jedoch schon bald seine Vorzüge als Ghostwriter. Ren schrieb die Raps zu „Eazy-Duz-It“, „Radio“ sowie „Ruthless Villain“, die 1988 auf Eazys Solo-Album Eazy-Duz-It landeten. Doch „Ruthless Villain“ war zu rasant für Eazys bescheidene Rap-Skills. „Also sagte Dre: ‚Mann, lass Ren das machen!‘“, erinnert sich Ren. Bald schon wurde er eingeladen, sich N.W.A anzuschließen.

      Die erste N.W.A-Show fand am 11. März 1988 im Skateland statt. „Mein Homeboy Eazy-E und die ganze N.W.A-Posse sind am Start“, verkündete MC Ren und hinterlegte die Pausen zwischen den Strophen von „Boyz“ mit seinen Shout-outs. Viele der Texte waren abgeändert worden, um Schimpfwörter zu vermeiden. Die Gruppe trat schon bald auch auswärts auf und quetschte sich dafür in Eazys blauen Minivan, einen Ford Aerostar, und teilte sich billige Motelzimmer. Zuerst traten sie noch vor einer von Alonzo neu aufgestellten Formation der World Class Wreckin’ Cru auf, was in Anbetracht der unterschiedlichen Styles sowie der Tatsache, dass Dre und Yella ebendort ausgestiegen waren, eher unangenehm war. Aber ab 1988 teilten sich N.W.A schließlich die Bühne mit Acts wie Salt-N-Peppa, MC Hammer, Heavy D und UTFO. Mit ihren Jheri-Curl-Frisuren ernteten sie verwirrte Blicke. „Wer zum Geier seid ihr Niggas?“, wurden sie etwa gefragt. Als Cube im Laufe des Jahres 1988 zurückkehrte, blieb Ren der Gruppe erhalten.

      Ein letzter Strohhalm

      Obwohl N.W.A auf Tour Fuß fassten, halfen Jerry Heller seine Kontakte in der Musikbranche nicht viel weiter. Ende 1987 stand die Gruppe immer noch ohne Plattenvertrag da. Die Gründe dafür waren nicht allzu schwer zu verstehen. Zwar regierten schwarze Stars wie Michael Jackson und Prince die Charts, doch wurde von ihnen erwartet, dass sie sich artig verhielten. Die eine oder andere versteckte Anzüglichkeit wurde akzeptiert, doch N.W.A waren einfach zu brutal und zu real.

      Rap war noch nicht einmal vor einem Jahrzehnt im Mainstream angekommen und viele Labels hielten es immer noch für einen vorübergehenden Trend. Der Vorstandsvorsitzende von Capitol erklärte Heller, dass N.W.A nie Platten verkaufen würden. David Geffen hingegen störte, wie sich N.W.A über Schwule äußerten. (Die weiße Geffen-Band Guns N’ Roses sollte sich auf ihrem Track „One in a Million“ schon bald selbst homophober und rassistischer Ausdrücke bedienen.)

      Schließlich klammerte sich Heller an seinen letzten ihm verbliebenen Strohhalm und ließ sich im August 1988 auf ein Meeting mit Bryan Turner und Mark Cerami von Priority Records ein. Obwohl sie über einen tollen Vertrieb verfügten, war Priority nicht gerade eine Top-Adresse. Ihr größtes Zugpferd waren die California Raisins, getrocknete Weintrauben aus Knetmasse, mit denen regionale Rosinen beworben wurden. Wenn sie Motown-Klassiker und andere nostalgische Hits sangen, lieh ihnen Buddy Miles, der einst mit Jimi Hendrix gearbeitet hatte, seine Stimme. Der Look der Truppe variierte dabei zwischen einer Soul-Gruppe, im Trend liegenden B-Boys und einer Ansammlung von Scheißhaufen.

      Die Raisins sollten letztlich über drei Millionen Tonträger absetzen. Dabei war dieser Erfolg alles andere als ein Zufallsprodukt. Turner und Cerami hatten beide bei K-Tel Records gearbeitet, wo sie alte Hits in Genre-Compilations neu verpackten, die spätnachts im Fernsehen beworben wurden. Heller vertraute auf Prioritys Fähigkeit, Musik abseits des Radios zu vermarkten, wo N.W.A aufgrund ihrer Kraftausdrücke chancenlos waren. Und so trafen er und seine Crew sich schließlich in einem verrauchten Konferenzzimmer in Hollywood mit Vertretern von Priority Records. Eazy, dessen Pager in seinen Hosentaschen surrten, platzierte lässig seine Air Jordans auf dem Tisch, während Ren finster aus der Wäsche blickte. Irgendwann gesellte sich Dre dazu und legte ein Tape mit „Gangsta Gangsta“, dem aktuellsten und bis dahin wohl auch derbsten und fokussiertesten Track der Gruppe, ein. Drinkin’ straight out the eight bottle, rappt Ice Cube nach einem Polizeisirenen-Intro über einen Midtempo-Beat und ein funkiges Gitarrenriff, das man sich bei Steve Arrington geborgt hatte.

      Do I look like a muthafuckin role model?

      To a kid lookin’ up to me: Life ain’t nothin’