Da sie das Studio bereits gebucht hatten, waren sich Dre und Eric nicht ganz sicher, was sie nun machen sollten. Dre schlug vor, dass Eric den Song rappen sollte. Immerhin hatte er sich Cubes Version akribisch eingeprägt. Außerdem beschrieb der Track am ehesten sein Leben. Schließlich war er ja ein Typ von der Straße, warum sollte er da nicht auch auf Platte einen mimen? Doch Eric zögerte. „Setz deine Brille auf, dreh das Licht runter“, sagte Dre und holte Erics Sonnenbrille. „Mach es einfach.“ Eric willigte ein, wusste aber ganz offensichtlich nicht, was er da tat. Seine Vorstellung war holprig, seine Kadenz und sein Timing eine Katastrophe. Aber Dre war geduldig und nahm sich für jede Zeile Zeit. Er ließ Eric eine kurze Passage rappen, Cruising down the street in my ’64, spulte dann das Tape zurück und ließ Eric noch einmal ran, bevor er die jeweils besten Takes aneinanderheftete. Dieser Prozess dauerte acht, neun Stunden, doch die Warterei zahlte sich aus. Dres Genie lag darin, zu erkennen, dass Eric trotz all seiner Schwächen das Zeug dazu hatte, ein bemerkenswerter Rapper mit einer einzigartigen Stimme zu sein. Tatsächlich hatte Erics piepsiges Organ einen sowohl verstörenden als auch beruhigenden Effekt. Seine Stimme wirkte fremdartig und man erkannte sie sofort wieder.
„Ich sah Dre total perplex an, als hätte ich sagen wollen: ‚Du hast aus diesem Typen einen Rapper gemacht‘“, erzählte Cube später.
„Boyz“ war jedoch nicht auf Anhieb erfolgreich. Die Jungs waren sich nicht sicher, wie sie es vermarkten sollten. Es gab Zweifel, ob das überhaupt gelingen würde. Ein Rapper namens MC Chip, der in ihren Kreisen verkehrte, erinnerte sich an seinen Schock, als er den Song zum ersten Mal hörte: „Du dachtest, verdammt, wie will er damit im Radio gespielt werden?“
Darüber sollten sie sich erst später den Kopf zerbrechen. Erst einmal benötigte Eric, da er nun ein Rapper war, einen passenden Künstlernamen. Der Ursprung von „Eazy-E“ ist nicht ganz klar, aber zu dieser Zeit fing er an, sich erstmals so zu nennen. Laut Cube entstand er im Studio: „Es klang cool und beschrieb ihn gut.“ Bigg A, Eazys Freund aus Kindertagen, sagt, dass zwei Brüder aus der Musikbranche, an deren Namen er sich nicht mehr erinnere, damit angefangen hätten: „Er saß bei ihnen im Büro und sie sagten, dass er doch alles easy nehmen würde und er selbst auch richtig easy wäre.“ J-Dee von Da Lench Mob vermutet, dass Eazy sich vom Whodini-Song „Big Mouth“ von 1984 inspirieren ließ. Eazy war ein großer Fan dieses Tracks, in dem es um ein Gerücht geht, das sich in der ganzen Stadt verbreitet:
Pam was overheard talkin’ to her man
Pam told Cookie what she thought she heard
And somehow Eazy-E had got the word.
Was auch immer stimmen mochte, bereits mit seinem ersten Versuch schrieb Eazy Rap-Geschichte. „Die Zeile ‚Cruising down the street in my ’64‘ war der Ursprung des Gangsta-Rap“, behauptete Terrence „Punch“ Henderson, der Präsident des Labels, das für Kendrick Lamars Erfolg verantwortlich war.
Macola
„Ich war sehr blauäugig“, gestand Don Macmillan. „Ich vertraute jedem.“ Möglicherweise hieß er deswegen 1986 einen Drogendealer aus Compton bei Macola, seinem Plattenpresswerk, willkommen. Als erstes fiel Macmillan, der damals bereits über 50 war, an dem drei Jahrzehnte jüngeren Eazy-E auf, wie klein dieser doch war. Dann nahm er Notiz davon, dass sich der Raum geleert hatte. Die anderen Musiker, die Geschäftliches besprechen wollten, waren plötzlich verschwunden. „Er ist gefährlich“, klärte ihn später jemand auf. „Du willst eigentlich gar nicht mit ihm sprechen“, teilte ihm ein anderer mit. „Der Typ wird dich umnieten, sobald er dich sieht!“
Don fand Eazy jedoch überaus angenehm. Außerdem war sein Anliegen durchaus legitim. Er wollte „The Boyz-N-The-Hood“ pressen lassen.
Macmillans Rolle als Hip-Hop-Förderer war ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Er war in Victoria im kanadischen British Columbia geboren worden. Später hatte er mit einem Schleppkahn Ölschuten entlang der Pazifikküste gezogen, um Holzfällerlager und Dörfer mit Brennstoff zu versorgen. 1960 war er schließlich in L.A. gelandet. Als Eazy-E an seine Tür klopfte, war er bereits ein weißhaariger Familienmensch, der im suburbanen Palos Verdes wohnte und gerne Golf spielte. Don hatte schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren, als er in einem Presswerk namens Cadet in der South Normandie Avenue arbeitete, Kontakte zur schwarzen Musikszene geknüpft. Cadet presste in South Central Platten von Ike & Tina Turner, Ella Fitzgerald oder B.B. King. Als das Presswerk 1983 schloss, erstand Macmillan Macola im Rahmen eines Notverkaufs und brachte eine Reihe alter Mitarbeiter und Kunden mit. Obwohl die CD kurz vor dem Durchbruch stand, sollten auch Vinylplatten und Cassetten noch nicht gleich von der Bildfläche verschwinden – und so bedienten seine Angestellten und er die Vinylpressen und Einschweißmaschinen in der kleinen, spartanischen Fabrik auf einem zwielichtigen Abschnitt des Santa Monica Boulevard in Hollywood, den sie sich mit Gangs und Strichern teilten.
In der unaufgeräumten Fabrik lagen überall Aschenbecher und Kartons herum. Platten wurden verpackt und verschickt. In Slacks und Poloshirt und mit einer Zigarette auf den Lippen räumte Don den Acts eine gewisse Frist ein, um ihre Platten, die sich nicht verkauft hatten, abzuholen. Wenn sie das nicht taten, drehte er die Platten durch den Wolf und presste andere daraus.
Mitte der Achtzigerjahre lief das Geschäft für Macola dank der engagierten schwarzen Musiker, die südlich der Stadtmitte lebten, großartig. Macola war perfekt für sie, weil die Firma Presswerk, Plattenfirma und Vertrieb in einem war. Warum sollte man darauf warten, von einem Label entdeckt zu werden, wenn man sich für wenig Geld sein eigenes, professionell aussehendes Album pressen lassen konnte? Für 1.000 Dollar bekam man 500 Platten und Macmillan schöpfte im Gegenzug für den Vertrieb noch einen Prozentsatz von den Verkäufen ab. Es war ein fairer Deal, denn Macmillan hatte Verbindungen zu Vertrieben im ganzen Land – etwa auch zu Select-O-Hits in Memphis, dessen Miteigentümer Johnny Phillips der Neffe von Sam Phillips war, dem Entdecker von Elvis. Ein Rapper konnte somit seine Musik vorbeibringen und schon kurze Zeit später einen Hit landen. „Macolas Tür stand allen offen“, erklärte der Macola-Promoter Ray Kennedy. „Es kamen viele Leute vorbei, denen sonst keiner eine Chance gab.“
Macmillans etwas unorthodoxes Geschäftsmodell erwies sich im Fall des DJs Egyptian Lover von Uncle Jamm’s Army, jener populären DJ-Crew aus L.A., die mit „Dial-A-Freak“ schon selbst ein Macola-Kunde war, als wahrer Goldesel. Egyptian Lover alias Greg Broussard ließ sich 1984 zuerst 500 Exemplare seiner Platte „Egypt, Egypt“ als Maxi-Single pressen. Bald brauchte er weitere 500 Stück. Und dann noch mal 500. Er verkaufte sie selbst aus dem Kofferraum seines Wagens heraus, auf Straßenmärkten, einfach überall – und Don Macmillan bat ihn darum, sich beteiligen zu dürfen, wofür er auf seine Vertriebskanäle zurückgriff. Für das Cover von Egyptian Lovers LP On the Nile kostümierte Macmillan Broussard und beschaffte Berichten zufolge die notwendigen ägyptischen Requisiten.
Macmillan ging bald noch einen Schritt weiter und nahm die 2 Live Crew unter Vertrag, ein Trio aus Riverside, das aus Air-Force-Reservisten bestand, die auf der Electro-Welle ritten. Ihre Macola-Single „The Revelation/ 2 Live“ fand Anklang in Südflorida. Auf Einladung eines DJs namens Luke Campbell traten sie daraufhin in Miami auf und zogen schließlich auch dorthin. Nachdem sich Campbell selbst der Gruppe anschloss und ihr Image auf schlüpfrig umkrempelte, gelang ihnen landesweit der Durchbruch. In der Folge definierte sie den Southern-Rap-Sound und diktierte den Soundtrack unzähliger Hot-Tub-Partys.
Macola veröffentlichte des Weiteren das Who’s who bedeutender kalifornischer Acts wie MC Hammer, Too $hort, Ice-T und Digital Underground. Der R&B-Electro-Gruppe Timex Social Club gelang mit dem Song „Rumors“ sogar der Einstieg in die Billboard-Top-10. Und die ganze Zeit hatte Don nicht den blassesten Schimmer von der lokalen Hip-Hop-Szene. Er konnte eine gute Platte nicht von einer schlechten unterscheiden, zumindest wenn es um Rap ging“, erinnert sich Macmillans Anwalt Gerald Weiner. Sein Talent war das richtige Timing – und er war clever genug, auf seine Vertriebsleute und Verkäufer zu hören, wenn sie ihm sagten, was er pushen sollte.
Dennoch fanden manche seine Machenschaften unseriös. Egyptian Lover, Arabian Prince, Rodger Clayton und andere unterstellten ihm, Bootlegs anzufertigen, indem er zusätzliche Kopien pressen ließ und diese heimlich