Erics schrottigem Ford, den sie „California Shake“ tauften, da die Kiste zu vibrieren begann, sobald sie schneller als 55 Stundenkilometer fuhr. Dre war ganz klar der Star, während Eric, der selbst ein wenig deejayen konnte, der Finanzier des Unternehmens war. Er kaufte die notwendige Ausrüstung und teilte die paar hundert Dollar auf, die die beiden pro Auftritt kassierten.
Nicht jeder wusste sich auf dieses Duo – hier der taffe Straßenjunge, dort der extravagante Entertainer – einen Reim zu machen. „Ich hielt ihn für schwul, weil er zwei Ohrringe trug“, sagte Mark Rucker über Dr. Dre. „Eric sagte, dass er cool wäre und sie zusammen dieses Musik-Ding durchziehen wollten.“
Als Eric Zwischenbilanz zog, kam er zu dem Schluss, dass er ziemliches Glück hatte. Anders als viele andere Dealer, war er noch am Leben und in Freiheit. Horace Butlers Schicksal belastete ihn schwer. „Ich begriff, dass es das nicht wirklich wert war, ich meine, mein Leben“, sagte Eric. „Mir wurde klar, dass ich zur Abwechslung auch mal was richtig machen könnte.“
Allerdings wollte er auch nicht unter der Fuchtel von irgendjemand stehen. Wie schon im Drogengeschäft zog er es vor, unabhängig zu arbeiten. „Wenn ich für mich selbst arbeitete, konnte ich meine eigenen verdammten Regeln aufstellen“, sagte er. Dre schlug ihm vor, gemeinsam ein Plattenlabel zu gründen. Eric mochte die Idee, aber sein Partner im Drogengeschäft dachte, er hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Was weißt du denn schon über Musik?“, fragte ihn Rucker. Das war ein berechtigter Einwand. Eric konnte definitiv nicht rappen. Doch die Skepsis verwandelte sich in Dankbarkeit, als Eric ihm ein paar Unzen Crack überließ. Er sollte sie verkaufen, denn Eric war fertig damit.
Es stand fest. Eric und Dr. Dre würden die Sache ernsthaft in Angriff nehmen. Allerdings waren sie noch immer nicht vollzählig. Erst mussten sie sich noch mit einem überaus selbstsicheren Jungen aus South Central verbünden, der immer noch jeden Tag mit dem Bus zur Schule fuhr.
O’Shea Jacksons aufreibender Schulweg vom eingeschossigen, ordentlichen Elternhaus in der Van Wick Street bis zu seiner High School im San Fernando Valley dauerte morgens eine Stunde oder länger und der Rückweg am Nachmittag ebenfalls. Wenn er nachhause kam, besuchte er regelmäßig seinen Freund Sir Jinx, der einen Block entfernt wohnte. O’Shea wusste, dass er willkommen war, wenn das kaputte Garagentor mittels eines Besenstiels offengehalten wurde.
Draußen tobte ein Bandenkrieg. Doch drinnen befand sich der Hip-Hop-Himmel. Sir Jinx – er hieß eigentlich Tony Wheaton – war ein aufstrebender junger Produzent mit einer übergroßen Brille. Er besaß Turntables, eine DJ-Kabine und einen Cassettenrecorder, der an Lautsprecher angeschlossen war. Im Werkunterricht hatte er sich eine sargförmige Box gebastelt, in der er sein Mischpult und seine Plattenspieler unterbrachte. Die Turntable-Akrobaten des Viertels lieferten sich Battles. Breakdancer verrenkten sich auf Linoleum mit Schachbrettmuster. Angehende Produzenten bastelten Beats auf Sir Jinxs Drumcomputer, obwohl das Ding nicht sehr raffiniert war. Kein Wunder, schließlich hatte er es von einem befreundeten Drogendealer, der es von einem Crackhead in Zahlung genommen hatte.
O’Shea und Jinx lebten in einem gemeindefreien Teil von L.A. County, zwischen South Central und Inglewood. Mitte der Achtzigerjahre gab es im ganzen Süden von Los Angeles solche inoffiziellen Einrichtungen wie Sir Jinxs Garage. Aus der Sicht von Eltern waren diese Hip-Hop-Garagen ideal. Einerseits waren sie nahe genug am Haus, um ein Auge auf die Kids werfen zu können, andererseits aber auch weit genug vom Elternschlafzimmer entfernt, um nachts seine Ruhe zu haben. Ein aufstrebender DJ namens Battlecat werkelte in seiner Garage im Westen von South Central. Nur wenige Blocks von O’Sheas Haus entfernt lebte sein zukünftiger Mitstreiter bei Westside Connection namens WC. WCs Bruder DJ Crazy Toones lud wiederum Kids in seine Garage ein. In der nahegelegenen Haas Avenue tummelten sich vielversprechende DJs mit Namen wie DJ Slip oder Rockin’ Tom in der Garage von DJ Fat Jack, ließen die Disco-Scheiben ihrer Eltern rotieren und sammelten Loops für zukünftige Tracks.
O’Shea war besessen von Hip-Hop. In seiner Vorpubertät hatte ihn 1979 der erste große Genre-Hit, „Rapper’s Delight“ von der Sugarhill Gang, hypnotisiert. What you hear is not a test / I’m rappin’ to the beat. Später diskutierte O’Shea mit einem Mitschüler namens Terry „Kiddo“ Hayward während des Schreibmaschinenkurses der neunten Klasse an der Parkman Middle School über Hip-Hop.
„Hast du schon mal versucht, einen Rap zu schreiben?“, fragte ihn Kiddo.
O’Shea schüttelte den Kopf.
„Lass uns versuchen, einen zu schreiben“, sagte Kiddo. „Du schreibst einen und ich schreib einen – und dann schauen wir, welcher am besten ist.“
O’Shea dachte eine Minute lang nach und legte los: My name is Ice Cube and I want you to know/ I’m not Run-DMC or Kurtis Blow. Es war die erste Zeile, die er je gerappt hatte.
Seinen Spitznamen verdankte er seinem neun Jahre älteren Bruder Clyde, der ihn beschützte. Dieser zog seinen kleinen Bruder auf, weil er versuchte mit Clydes Freundinnen zu flirten, wenn diese anriefen. „Als er das herausfand“, so O’Shea, „fing er an, mich im Scherz Ice Cube zu nennen, weil er fand, dass ich versuchte, zu cool rüberzukommen.“
Doch wenn es ums Rappen ging, war O’Shea nicht gerade zimperlich. In einer Abwandlung der Freestyle-Circles in New York, wo MCs im Kreis standen und nacheinander Reime improvisierten, übten sie ihre Rhymes und rappten jeweils vier bis acht Takte lang. Wenn einer fertig war, gab er das Mikro an den nächsten weiter. Dabei ging es darum, einen smoothen Übergang hinzulegen und den Beat zu halten.
Die Garagenwände waren mit Graffiti geschmückt. Es war der Versuch der Jungs, Beat Street nachzuahmen, einen New Yorker Hip-Hop-Film aus dem Jahr 1984. O’Shea und seine Freunde waren besessen von New Yorker Acts wie den Beastie Boys, Slick Rick und Run-DMC, was sich auch in ihren Outfits widerspiegelte: große Brillen, Kangol-Kappen, Adidas-Pullis, Armeejacken und Goldketten. Ihr Treffpunkt war frei von Drogen, Alkohol und jeglichen Gang-Wahnsinns. O’Shea rügte persönlich all jene, die er beim Kiffen erwischte. Wen kümmerte es da schon, wenn der Geruch von Scheiße in der Luft lag? Jinxs heißgeliebte Hündin Princess legte gerne mal ein Ei in die Garage und die Jungs fanden sich des Öfteren inmitten eines Minenfeldes wieder. Es mochte zwar alles ein wenig heruntergekommen wirken, doch unter dem kaputten Garagentor duckte sich eine Reihe heißer Talente hindurch, so auch Candyman, der es 1990 mit seinem Hit „Knockin’ Boots“ in die Billboard-Top-10 schaffte.
O’Shea entwickelte schon bald jene Skills, die ihn zu Ice Cube machen sollten, einen fulminanten MC, der eine Strophe in ihre Einzelteile zerlegen und wieder zusammenfügen konnte.
„Es lag ihm einfach im Blut“, so sein Freund Cli-N-Tel von der World Class Wreckin’ Cru. „Damals knurrte er noch nicht, das kam erst später. Aber er hatte diesen Drive, diese Bereitschaft, alles zu tun, um besser zu werden.“
„Er war ein echt guter Geschichtenerzähler“, weiß Doug Young, der Promoter von N.W.A. „Bei ihm gab es Subjekte. Und Prädikate. Wenn man Ice Cube rappen hört, siehst du die Geschichte in deinem Kopf. Er malt ein Bild.“
Obwohl Ice Cube viele Stunden in Sir Jinxs Garage verbrachte, bezog er seine Inspiration für seine Raps immer mehr aus der explosiven Welt, die sich außerhalb dieser vier Wände befand.
Die Worte „South Central“ lösen bei manchen Leuten Angst aus. Doch es lassen sich nur schwer allgemein zutreffende Wahrheiten über diesen 130 Quadratkilometer großen Distrikt von Los Angeles formulieren, da die Bevölkerung und die Landschaft einfach zu mannigfaltig sind. Der nordwestliche Part umfasst das historische Viertel West Adams sowie die vornehmen Baldwin Hills, die auch „das schwarze Beverly Hills“ genannt werden. Die Central Avenue beheimatete in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Jazz-Szene von Weltruf und Leimert Park kann mit afrozentrischen Läden und kreativen Nonprofit-Organisationen aufwarten. Außerdem befand sich dort einst das Good Life Café, wo die Open-Mic-Nights des Labels Project Blowed gediegene (aber dennoch hammermäßige) Acts wie Freestyle Fellowship und Jurassic 5 anlockten.
Sozialbausiedlungen