liebte ihn wirklich“, erklärt Johnson. „Er war jemand, zu dem ich aufblickte, weil er eine Vision hatte. Ich sah, wie er sich um seine Musik, die er machen wollte, bemühte, und ich glaubte an diesen Typen. Ich glaubte alles, was er mir sagte.“
„Er rackerte sich ab, Geld für die Kids aufzutreiben – aber keiner von uns hatte Kohle“, sagt Cli-N-Tel, das vierte Mitglied der World Class Wreckin’ Cru. „Es gab einen Punkt, an dem es nicht so aussah, als würden wir es mit der Musik schaffen.“
In ihren Memoiren beschuldigte Andres Mutter Johnson, mitunter eine verantwortungslose Mutter gewesen zu sein und außerdem „Geschichten zu erfinden“, damit Andre ihr Beachtung schenkte.
Drei weitere Frauen sollten Andre später vorwerfen, von ihm geschlagen worden zu sein, darunter auch eine Mutter eines seiner anderen Kinder.
Chirurgische Präzision
Die Musik bewahrte Andre davor, dass das Chaos in seinem Leben Überhand nahm. Doch obwohl er Hip-Hop liebte, war unklar, ob er auch davon würde leben können. Die Szene in L.A. befand sich immer noch in der Anfangsphase und es gingen noch keine Stars aus ihr hervor wie an der Ostküste. „Die Leute im Osten wussten nicht viel von dem, was im Westen abging“, sagte The Glove. „Damals war ihr Spitzname für Los Angeles ‚Southern‘.“
1983 holte Lonzo Run-DMC ins Eve After Dark und Dr. Dre war sehr inspiriert von ihrem Auftritt. Doch die New Yorker Gruppe in ihren Lederoutfits konnte mit dem lokalen Morris-Day-Style nicht viel anfangen. „Sie sahen uns an, als wären wir ein Haufen Schwuchteln“, sagte Lonzo.
„Ein paar Leute von der Ostküste hatten damals für niemanden Respekt übrig“, gesteht Afrika Bambaataa. Er hingegen respektierte die Westküste, wie er sagt. Und dieses Gefühl basierte auf Gegenseitigkeit. Die World Class Wreckin’ Cru bediente sich etwa bei ihrem Track „Planet“ ganz offensichtlich bei „Planet Rock“. We are the pilots of your shuttle, transporters of love, intonierten sie begleitet von außerirdisch anmutenden Synth-Effekten.
Die Besetzung der Gruppe stabilisierte sich schließlich und bestand nur noch aus vier Mitgliedern. Alle vier waren DJs, die bis zu einem gewissen Grad auch rappen konnten. Lonzo war zum Beispiel durch sein Lispeln eingeschränkt, und da Dr. Dre LL Cool J zu imitieren schien, wurde ihm der Spitznamen „LL Cool Dre“ verpasst. Ihre Songs nahmen sich einer breiten Palette von Themen an. „(Horney) Computer“ war zum Beispiel inspiriert von der cyber-erotischen Fixiertheit der damaligen Zeit, wohingegen „Gang Bang You’re Dead“ sich wiederum mit der aufsteigenden Gang-Kultur beschäftigte:
You wear red rags, blue rags, and big shoelaces
You drink 40 ounce brews by the cases
You dress so tacky ’til you look like a slob
And you wonder why you can’t get a job?
Cli-N-Tel hatte die Idee zu dem Song, nachdem ein Freund der Bandengewalt zum Opfer gefallen war. Auch Lonzo und Dre trugen zum Song bei und es war einer der ersten Tracks, auf denen Dre rappte. Mit „Surgery“ lief er zur Hochform auf. Begleitet von Hauchlauten, heftigem Scratching und einem Synth-Lauf, der wie ein Herzmonitor piept, präsentierte er sich im Schürzenjäger-Modus: The nurses say I’m cute, they say I’m fine / So you better beware because I’ll blow your mind. Schrittweise legte er seine Fesseln ab und wurde immer vertrauter im Umgang mit dem Mikro. Allerdings hasste er den – wie er fand – entmannenden Song „Lovers“, der sich an LL Cool Js „I Need Love“ orientierte. Darin nahm die Sängerin Mona Lisa verbal jedes Mitglied der Gruppe der Reihe nach auseinander. Als der Song jedoch zu ihrem größten frühen Hit wurde, konnte er nur schwer dagegen argumentieren. „Dre und DJ Yella wollten anfangs keine langsamen Platten machen“, sagt Cli-N-Tel. „Lonzo und ich überzeugten sie, dass das eine gute Sache wäre. Doch als sie sahen, dass die Girls dazu komplett durchdrehten, waren sie ganz Feuer und Flamme.“
Feiner Zwirn
Wer den Namen des aus West Compton stammenden Antoine Carraby hört, denkt unweigerlich sofort an seine Turntable-Skills. Ursprünglich trat der introvertierte, eher hellhäutige Carraby unter dem Namen Bric Hard auf, bis er sich auf Anregung des ehemaligen Cru-Mitglieds Unknown DJ und in Anlehnung an den gleichnamigen New-Wave-Song der Gruppe Mr. Yellow aus dem Jahr 1981 in Yella umbenannte. Der obsessive Prince-Fan trug mit Vorliebe Paisleymuster und war für seine Moves bekannt, die er direkt aus Purple Rain übernommen zu haben schien. Er war entspannt, sorgte nicht für Stunk und gab sich unbeschwert.
Andre und Yella liebten es nicht nur, gemeinsam Frauen aufzugabeln, sie passten auch musikalisch hervorragend zusammen. Nach einer Show von Kurtis Blow unterwies dessen DJ, Davy DMX, Yella in der Scratch-Kunst, woraufhin der wiederum Dr. Dre Starthilfe gab. Das war eine große Sache: Nicht viele Leute an der Westküste scratchten damals – und Dre ließ von Anfang an nichts anbrennen. „Dre war schneller an den Turntables als Yella“, erinnert sich Cli-N-Tel. „Yella vermischte eher Tracks miteinander, während Dre lieber scratchte.“
Das Hauptquartier der Gruppe war Alonzo Williams Eigenheim in South Central, wo die Jungs aufnahmen, abhingen und ihre Dance-Moves übten. „Wir beobachteten uns im Fenster und sahen uns gegenseitig beim Üben zu“, erzählte mir Lonzo im Juli 2014. Wir unterhielten uns in seinem Studio, einem freistehenden Bungalow hinter besagtem Haus, in dem er immer noch lebt. Der Vorbesitzer war kein Geringerer als der berühmte Bandleader Johnny Otis. Lonzo hatte große Pläne und veröffentlichte ihre Debüt-LP World Class 1985 auf seinem eigenen Label Kru-Cut. Außerdem feilte er an ihrem Image. Das Coverfoto wurde in einem improvisierten Studio in den Büros von Macola Records fotografiert. Das Label war auch für die Pressung des Albums zuständig. Andres Mutter Verna und ein mit Lonzo befreundeter Schneider halfen dabei, ihre Klamotten anzufertigen. Für das Foto-Shooting trug Williams eine schwarze paillettenbesetzte Jacke und sternenförmige Ohrringe. Cli-N-Tel schlüpfte in ein lilafarbenes Smoking-Jackett aus Samt mit schwarzen Pailletten. Dazu trug er ein weißes Anzughemd, das er fast bis zum Nabel aufgeknöpft hatte. Yella trug eine ähnliche Jacke mit Schulterpolstern und seine Hände steckten in weißen Handschuhen. Als Grundlage für Dr. Dres mit weißen Pailletten besetztes, figurbetontes Outfit hatte ein Chirurgenkittel aus einem Laden für medizinisches Zubehör gedient. Um seinen Hals baumelte sogar ein Stethoskop. Make-up war für jede tanzbare Gruppe dieser Ära, die etwas auf sich hielt, quasi Pflicht – ganz zu schweigen von den Hair-Metal-Bands, die damals den Sunset Strip unsicher machten. Der World Class Wreckin’ Cru stand kein professioneller Maskenbildner zur Seite, weshalb sich die Managerin der Gruppe, Shirley Dixon, die Tochter der Blues-Legende Willie Dixon, ins Zeug legen musste. Sie puderte ihre Gesichter und fettete ihre Lippen ein, damit diese schön glänzten. Dre wurde mit etwas Rouge präpariert und zu guter Letzt wurden er und DJ Yella noch mit einem Hauch Eyeliner aufgepeppt. Hier war auch der Einfluss von Prince spürbar. „The Purple One“ hatte die allgemeine Vorstellung von Männlichkeit in der Popmusik drastisch verändert. Abgesehen davon scheuten sich auch Acts wie Afrika Bambaataas Soulsonic Force oder Dres Idole Parliament-Funkadelic nicht, farbenfrohe Outfits zu tragen und sich wild-dramatisch zu präsentieren. „Das waren die Achtziger!“, betont Lonzo. „Da hat man eben ein bisschen Make-up getragen.“
Die Cru begutachtete sich im Spiegel, wurde von Shirley abgesegnet und war startklar. Sie posierten für die Fotos, badeten im lila Licht und die Nebelanlage legte eine Doppelschicht ein. Ein paar der Shots waren absolute Volltreffer – andere weniger. Dr. Dre, zu Späßen aufgelegt, alberte herum. Er hatte ja keine Ahnung, dass diese Fotos ihn eines Tages noch verfolgen sollten. „Ich sag euch was, zumindest hatte ich nichts aus Spitze an – das war Yella“, murrte Dr. Dre später.
Dr. Dres Production-Skills verbesserten sich rasant. Er und Cli-N-Tel richteten sich tagelang im Studio ein und schickten die anderen los, um ihnen Essen und frische Klamotten zu holen.
Die erste Show der Cru fand stand, als die Gruppe vor New Edition an der Fremont High School auftrat. Die Jungs fingen schon bald an, immer mehr Leute anzuziehen, die schwüle Dancefloor-Nummern und sexy Slow-Jams geboten bekamen. Als das Eve After Dark 1985 schloss, begann Lonzo, Partys im Dooto’s in Compton zu veranstalten. Die Cru trat dort ebenso auf wie auf der angrenzenden Rollschuhbahn, wo die Leute immer noch gerne langsam tanzten. Lonzo spielte