oder blauen Arztkitteln aus Satin ließ Dre seinem Vergnügen freien Lauf und das Publikum fuhr auf ihre Energie ab. „Die Frauen fühlten sich zu uns hingezogen“, erinnerte sich DJ Yella später.
Mit Lonzo am Steuer fing das smart herausgeputzte Quartett nun an, im ganzen Land aufzutreten und teilte sich die Bühne mit Funk- und R&B-Acts wie den Bar-Kays, Oran „Juice“ Jones und Rick James’ Protegées, den Mary Jane Girls. Sie ließen schon bald die Rollschuhbahnen hinter sich und traten bei einem frühen Hip-Hop-Event auf, dem Fresh Fest in der 12.000 Zuschauer fassenden Londoner Wembley Hall. 1986 ergatterte die Gruppe schließlich einen Plattenvertrag bei CBS, der ihnen 100.000 Dollar Vorschuss einbrachte.
Doch schon bald gab es auch Probleme, als Cli-N-Tel in der Buchhaltung der Gruppe auf Ungereimtheiten stieß. Das reichte aus, um der Cru noch vor dem nächsten Album, Rapped in Romance, das bei der CBS-Tochter Epic erschien, den Rücken zu kehren. Lonzo gestand, dass er es war, der den Löwenanteil der 100.000 Dollar in die eigene Tasche gesteckt hatte. Der neue BMW und das neue Haus waren wirklich nicht leicht zu übersehen. Er betonte aber, dass ihm das als Investor und Besitzer des Labels zustünde und er außerdem vernünftiger mit seinen Ressourcen umzugehen wusste.
Als Rapped in Romance 1986 floppte, schickte CBS die Gruppe in die Wüste. Die Lage war trist. Als sie mit ihrem auf eigene Faust veröffentlichten Song „Turn Off The Lights“ 1987 ihren größten Hit hatten, gab es die Gruppe schon nicht mehr. Dr. Dre hatte die Schnauze voll. Es war nicht nur eine Frage des Geldes. Er war auch das überkandidelte Image leid und der Ansicht, dass ihre glatten Kuppler-Balladen nicht mehr dem Zeitgeist entsprächen. Er wollte Musik mit Ecken und Kanten machen, so wie Run-DMC oder in der Art von Ice-Ts „6 in the Mornin’“. Aber Lonzo hatte keinen Bock darauf – Balladen waren ihr täglich Brot. „Sie wollten meine Songs nicht“, sagte Dre. „Sie sagten, meine Songs würden nie im Radio gespielt werden.“
Doch Dre wusste es besser. Run-DMC erschütterten das Eve After Dark bis in seine Grundfesten. Obwohl sie gerade einmal zehn Minuten auf der Bühne standen, hinterließ die Show bei Dre einen nachhaltigen Eindruck. Ihre taffen Reime und ihr kraftstrotzender Beat zeigten ihm, dass resoluter, megascharfer Hip-Hop sehr wohl das Publikum in seinen Bann ziehen konnte. Und er war sich sicher, dass er das auch drauf hätte.
California Shake
Eric Wright hatte 1986 mit einem seiner Drogen-Partner Streit. Einer von Erics VW-Käfern brannte direkt in der Einfahrt seiner Eltern völlig aus, woraufhin Eric im Gegenzug das Auto seines Kontrahenten in Flammen aufgehen ließ. Allerdings wusste keiner, warum sich die beiden eigentlich zofften. „Es ging entweder um Kohle oder Frauen“, sagte Mark Rucker. Aber die Situation war eskaliert. Nicht einmal seiner eigenen Crew konnte Eric trauen. Sein Bote J.D. bediente sich selbst bei der Ware, um sich zuzudröhnen. Er stahl sogar Erics Autoradio.
Eric fühlte sich zusehends frustriert. Die Goldmine, die ihm sein erschossener Cousin Horace Butler hinterlassen hatte, war versiegt und Eric musste sich nun wie jeder andere Dealer auch um seinen Nachschub kümmern. Was einst wie leicht gemachtes Geld gewirkt hatte, war nun zu einer stressigen Aufgabe geworden. Andere Dealer hatten ihn auf dem Kieker und waren scharf auf seine Position. „Es gab ständig Todesdrohungen gegen Eric“, sagt sein Freund Arnold White.
Nur wenige wussten von Erics großer Leidenschaft, von der er sich erhoffte, das Drogengeschäft hinter sich lassen zu können: Hip-Hop. Mit seinem Freund MC Ren kaufte er Platten auf dem Roadium Swap Meet. Dieser Markt fand auf dem Grundstück eines ehemaligen Autokinos in Torrance statt und bot seinen Kunden Stände so weit das Auge reichte. Dort konnte man alles vom Waschmittel bis zu Airbrush-Shirts kaufen. Eric und Ren suchten regelmäßig den Stand von Steve Yano auf, einem Psychologiestudenten japanischer Abstammung, der aber sein Studium geschmissen hatte, um Plattenverkäufer zu werden. Einst hatten er und seine Frau Susan Disco-Partys bei sich zu Hause veranstaltet, doch mittlerweile wurde ihre Marktbude von Kids auf der Suche nach den neuesten heißen Scheiben frequentiert. Die Lage ihres Verkaufsstandes war optimal, direkt gegenüber einer Snackbar, von seiner Markise hingen Plattencover wie Michael Jacksons Thriller und im Tapedeck liefen Cassetten, um die Kids zu ködern. Eric wusste es damals zwar nicht, aber ein paar der Tapes, die die Yanos spielten, stammten von einem gewissen Andre Young. Eric kannte Young flüchtig aus dem Viertel, hatte aber keine Ahnung von seinen Turntable-Skills oder davon, dass er die angesagtesten Rap-Hits von Acts wie den Fat Boys, King Tee oder Rob Base & DJ E-Z Rock auf 60-Minuten-Cassetten kompilierte und ihnen seine typischen Scratches hinzufügte. Im Gegenzug für diese Tapes deckten die Yanos Andre mit Breakbeat-Platten ein, die er für seine eigenen Songs samplen konnte.
„Er sagte zu Steve: ‚Das hier wird ein Hit, diese Platten musst du pushen‘“, erzählt Susan Yano. „Und er lag immer richtig.“ Irgendwann fingen die Yanos an, seine Tapes mit Titeln wie ’86 in the Mix für zehn Dollar zu verkaufen, woraufhin diese Cassetten selbst zu gefragten Produkten wurden. Es war zwar nicht wirklich legal, Musik zu verticken, an denen sie eigentlich keine Rechte besaßen, aber wie hätten sie es sonst geschafft, die Kids zu erreichen? Hip-Hop kam größtenteils aus New York und fast niemand sonst verkaufte ihn in Los Angeles. Die Tapes wurden schließlich so populär, dass Rapper wie Tone Loc und Young MC fragten, ob Dre sie nicht auch in seinen Mixtapes berücksichtigen könnte. Dre fügte auch seine eigenen Songs hinzu, was Eric besonders beeindruckte. „Was ist das?“, fragte er eines Tages, als er einen neuen Track hörte. Als Steve Yano ihn aufklärte, dämmerte es ihm: Es war die Musik seines Nachbarn! Er kaufte umgehend all seine Musik, die Yano auf Lager hatte, auf – und bezahlte mit einem Geldbündel, das er aus seinem Socken zog.
„Richte Andre aus, dass ich mich gerne mit ihm treffen möchte“, sagte Eric und erkundigte sich gleich auch nach dessen Nummer. Yano willigte ein, telefonisch ein Treffen der beiden zu arrangieren. „Als nächstes“, erzählte Yano später, „unterhielten wir uns zu dritt um zwei Uhr nachts am Telefon. Eric wollte einen Plattenladen eröffnen. Ich sagte ihm, dass er das besser lassen solle, weil es kein gutes Geschäft sei. Ich könnte ihm zeigen, wie es ginge, riet ihm aber, die Finger davon zu lassen. „Yano riet ihnen stattdessen, ein Plattenlabel zu gründen. Eric ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. In der Zwischenzeit suchte Andre einen neuen Sponsor. Er hatte ein paar neue Acts getroffen, brauchte aber Geld, um sie im Studio aufnehmen zu können. Er kannte zwei Leute, die ihm vielleicht unter die Arme greifen würden. Einer war ein lokaler Drogendealer namens Laylaw, der mit ihm an ein paar frühen Songs gearbeitet hatte, zum Beispiel 1985 an einem Halloween-Track mit dem Titel „Monster Rapping“, den Dre und Lonzo produzierten, während Laylaw mit seiner gruseligsten Bela Lugosi-Stimme darauf rappte.
Der andere Typ war Eric. Und genau ihn rief er nun an.
High Powered Crew
Nachdem Lonzo sich den BMW gegönnt hatte, überließ er Dr. Dre seinen alten Mazda RX-7. Es war ein auffälliger Wagen und Andre häufte eine ganze Latte von Verkehrsdelikten an, bis schließlich sogar ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde und er hinter Gittern landete.
Als Eric davon erfuhr, rief er Lonzo an. „Dre sitzt im Knast“, sagte er. „Gib mir Geld, damit ich ihn rausholen kann.“ Lonzo hatte Dre schon in der Vergangenheit immer wieder ausgelöst. Aber nun war er gerade knapp bei Kasse und zog es vor, seinen BMW abzubezahlen. Dre sollte für seine Rücksichtlosigkeit im Gefängnis schmoren. Eric beschloss, selbst für die Kaution aufzukommen, wodurch sich ihre Bindung weiter vertiefte. Dre schlug Eric vor, einen Teil seiner Gewinne aus dem Drogengeschäft in ein musikalisches Projekt zu investieren. Außerdem wollte er mit ihm Songs machen, die härter und mehr „aus dem Bauch heraus“ wären. Dre und Eric, beide nun Anfang zwanzig, begannen, in einem improvisierten Studio in Erics Garage Tapes zu bespielen und rappten dabei zu populären Instrumentalstücken. Unter ihren Kollaboratoren war auch DJ Pooh, der 1995 als Co-Autor des Films Friday Berühmtheit erlangte. „Wir wollten nicht einfach nur Mixtapes machen, sondern Musik, die es auf anderer Leute Mixtapes schaffte“, erklärte DJ Pooh. Und Erics Mutter kümmerte sich darum, dass ihnen das Kool-Aid nicht ausging. Dre und Eric begannen, bei Haus- und Poolpartys sowie Schulbällen als mobiles DJ-Team High Powered Crew aufzutreten. „Wir entschieden uns für diesen Namen, weil wir immer Geld in unseren Taschen hatten“, erklärt Horace „Mr. Sheen“ Taylor, Erics Cousin, weshalb sie diesen Begriff aus der Geldwirtschaft wählten.