hat uns nie jemand drauf angesprochen. Ich bin von so vielen Leuten verklagt worden, von irgendwelchen Arschlöchern, die Geld kassieren wollten, indem sie mich aufs Kreuz legten. Ich weiß nicht wieso, aber ich bin dankbar. Irgendjemandem schulde ich wirklich großen Dank. Wahrscheinlich gibt es eine Menge Leute, von denen ich das sagen könnte. Ich schulde vielen Leuten Dank, da bin ich sicher. Es gibt so vieles, an das ich mich nicht erinnern kann …
Also, wie gefällt dir der Laden? Feelgoods Rock Bar & Grill. Es gibt noch einen anderen, in West Palm Beach, Florida. Der heißt Dr. Feelgoods. Das war der erste, aber der Laden ist riesig, es ist mehr ein Club. Dort gibt es fünf Bars, aber da werden nur Kleinigkeiten serviert, Finger-Food und so. Hier hingegen gibt es eine richtige Küche. Guck dir mal die Speisekarte an. Du kannst dir bestellen, was du möchtest. Das Essen ist super hier. Die Tortilla-Chips zum Beispiel sind selbstgemacht. Ich habe schon welche bestellt. Die werden heiß serviert. Richtig klasse. Die meisten Gerichte habe ich vor der Eröffnung probiert.
Das hier soll das Flagschiff der ganzen Kette werden. Wir haben eine Menge Geld in die Einrichtung und das ganze Konzept investiert. Irgendwann einmal soll es 25 oder 40 solcher Läden in den USA geben. Die Vorbereitungen hier waren allerdings ganz schön aufwändig. Die Küche hat zum Beispiel schon drei Wochen vor der Eröffnung losgelegt. Die Handwerker haben hier ja noch gearbeitet, und die haben wir schon bei uns verpflegt. Das nennt man in unserem Business „Probemahlzeit“. Die Köche hatten so die Möglichkeit, ihre Gerichte zu perfektionieren und auch die Speisekarte zu testen. Guck mal hier, über dem Thunfisch-Toast, da steht „Pete-Teller“. Pete war mein Schwiegervater, Lias Vater, der kürzlich gestorben ist. Das hier war sein Lieblingsessen – zwei Hotdogs mit einem halben Liter Budweiser. Deswegen haben wir diese Zusammenstellung Pete-Teller genannt. Einen Vince-Teller gibt es auch. Das ist ein schlichter, guter Hamburger mit einer Spezialsoße – Thousand Island Dressing. Den machen die hier richtig toll, ganz phantastisch.
Wir werden hier hervorragend arbeiten können. Ich weiß, du hattest vorgeschlagen, dass wir die Interviews bei mir zu Hause machen, weil die Atmosphäre dort intimer wäre und so. Glaub mir, das stimmt gar nicht. Mein Haus, weißt du … jetzt ist zum Beispiel gerade meine Schwiegermutter zu Besuch. Das ist ja die Sache. Da sind meine Hunde, meine Schwiegermutter, meine Frau. Das wäre einfach … irgendwie alles zu viel. Und wenn wir uns ein Hotelzimmer nehmen würden – war das nicht auch im Gespräch? Ich glaube, jemand von 10th Street hatte vorgeschlagen, eine Suite zu mieten, vielleicht im Rio, in dem es auch ein Tattoo-Studio von Vince Neil Ink gibt. Aber wenn wir es in einer Umgebung versuchten, in der ich mich irgendwie eingeschlossen fühlen würde … weißt du, da hätte ich sofort das Bedürfnis, abzuhauen. Wenn man mich einengt, mich an einem Ort festnagelt … Ich weiß nicht. Darauf reagiere ich nicht sehr gut. Ich bin lieber hier … weißt du, was ich meine? Wenn das hier nicht klappt, können wir immer noch ins Studio gehen, da gibt es im oberen Stockwerk auch ein paar Zimmer. Heute Nachmittag muss ich sowieso dorthin. Bei der Platte müssen wir nämlich richtig einen Zahn zulegen. Wir haben nur zwei Wochen Zeit. Du kommst nachher mit ins Studio, okay? In den nächsten Tagen habe ich ganz schön viel zu tun. Du weißt, dass wir nächsten Mittwoch und Donnerstag auch das Video drehen, oder? Das wird cool. Wir werden uns einfach Mühe geben müssen, zwischendurch Zeit zum Reden zu finden.
Ich liebe diesen Laden. Wie schon gesagt, wir haben uns sehr viel Gedanken über alles gemacht. Hier steckt viel Sorgfalt drin. Es ist purer Rock’n’Roll – rote Lichter, Leopardenfellbezüge, lila Samt, Spinnenweben aus Metall und Ledersofas mit Knopfpolstern. Die Kellnerinnen sind heiße kleine Rock-Bräute in kessen Punk-Outfits mit kurzen Röcken und viel Eyeliner. Die Bühne ist absolut toll. Sie bietet eine großartige, intime Atmosphäre und einen perfekten Sound. Aber wir ziehen auch ein ganz ordentliches Publikum. Inzwischen kommen landesweit bekannte Acts, und das ist ziemlich cool. An einem Abend in der Woche macht mein Sohn hier den DJ. Er heißt Neil Wharton, aber alle nennen ihn Neil Neil. Den größten Teil seines Lebens ist er bei meinen Eltern aufgewachsen. Wir lernen uns jetzt erst ganz allmählich kennen. Er singt in einer Mötley-Crüe-Coverband und ist erst vor kurzem nach Las Vegas umgezogen. Ich habe ihm einen Job bei unserer Modelinie vermittelt.
Mit dem Feelgoods ist es schon komisch, weil die meisten Bands, die hier spielen, zeitgleich mit uns groß geworden sind. Wir hatten die L.A. Guns hier, Ratt und kürzlich auch die BulletBoys. Silvester treten Slaughter auf – das sind die Jungs, die sonst zur Vince Neil Band gehören: Jeff Blando, Dana Strum, Zoltan Chaney. Die wirst du nachher im Studio kennen lernen. Mein Partner hat da in der Gegend auch seine Werkstatt, Count’s Kustoms. In einem der Lagerhäuser hat er seine ganzen restaurierten Autos abgestellt. Das ist das reinste Museum. Mein 32er Ford steht da auch – das ist der ultimative heiße Ofen, der Motor ist komplett verchromt, die Seiten sind mit Flammenzungen bemalt. Und wo wir gerade beim Thema sind – heute ist im Feelgoods Motorrad- und Hot-Rod-Abend. Da steht der ganze Parkplatz voller Maschinen, und es wird richtig voll. Mittwochs, donnerstags, freitags und samstags müssen wir morgens um sechs die letzten Gäste rauswerfen. Wir sind in Vegas, weißt du? Die Leute hier wissen, wie man Partys macht.
Und ich habe nichts weiter zu tun als gelegentlich einen Scheck abzuholen. Ich kann hier für alles unterschreiben, was ich will.
Ist doch klasse, oder?
Was mir aber auch an dem Laden gefällt, sind die ganzen Erinnerungsstücke. Wenn man reinkommt, hängt da unter Glas gleich mein feuerfester Rennanzug aus der Zeit, als ich Formel Eins gefahren bin, und natürlich auch Fotos von mir und meinem Auto. Außerdem mein Outfit vom Crüe Fest 1, jede Menge Gold- und Platinplatten und solches Zeug. Meine Frau hat schon Witze darüber gemacht, dass ich allmählich eine Lagerhalle für meinen ganzen Kram brauche. Ich sage dann immer: Hab ich doch schon – meine Garage! Da lagern tonnenweise alte Klamotten und Souvenirs von den Auftritten. Und auch jede Menge Gitarren, die ich dauernd geschickt bekomme. Was soll ich denn machen – das alles auf den Müll werfen? Ich bin normalerweise gar nicht sentimental, was irgendwelche Gegenstände angeht. Überhaupt nicht. Es ist bloß irgendwie so, wegschmeißen kann ich das alles auch nicht. Manchmal kaufen die Leute vom Hard Rock Café einem etwas von diesem alten Kram ab, dann bekommt man sogar noch etwas Geld dafür. Was glaubst du denn, wo die das ganze Zeug her haben? Der Scheiß lag vorher irgendwo in einer Garage. Die rufen einen an und fragen manchmal nach einem ganz bestimmten Outfit, vielleicht nach irgendwas von einem historischen Konzert oder so. In dem neuen Hard Rock Café, das hier auf dem Strip kürzlich eröffnet hat, hängt jetzt in einer großen Glasvitrine ein ziemlich cooler Anzug von mir – mit dieser langen Jacke, die ich anhatte, als wir mit Aerosmith auf Tour waren. Da kommen jede Menge Erinnerungen wieder hoch. Wenn meine Hosen doch nur reden könnten. Die könnten sich vielleicht an ein paar Geschichten erinnern, die mir schon entfallen sind. (Zum Beispiel diese Lederhosen, die ich auf dem Cover von Shout At The Devil getragen habe – die könnten allein ein ganzes Kapitel bestreiten.)
Dann werden wir uns jetzt also jeden Tag mittags treffen. Zumindest mal bis auf weiteres. Nur, wenn es sich negativ auf meine Stimme auswirkt, müssen wir uns das vielleicht noch mal überlegen. Das habe ich über die Jahre jedenfalls gemerkt: Singen belastet die Stimme gar nicht mal so sehr, aber Sprechen. Wir werden mal sehen, wie das so geht. Vielleicht müssen wir den Zeitplan einfach umstellen, sodass ich dann tagsüber probe und aufnehme, und du dann später am Abend ins Studio kommst. Oder wir reden zwischen den Sessions. Das Studio ist ganz in der Nähe. Nur fünf Minuten von hier, in den Lagerhallen gleich hinter dem Strip. Ich könnte ein paar Stunden arbeiten, und dann kommst du rum und wir reden. Wie auch immer. Das kriegen wir schon hin.
Mir gefällt es aber auch, dass wir uns im Feelgoods treffen, weil ich das Gefühl habe, dass ich jetzt, wo wir dieses Buch schreiben, ein ganz anderer Mensch bin als der junge Typ, der vor 30 Jahren seine Karriere begann. Ich bin nicht mehr einfach nur ein Frontmann oder Sänger. Heute bin ich genauso sehr Geschäftsmann. Und das gefällt mir. Business ist eine tolle Sache, weil man da nichts weiter tun muss, als Entscheidungen zu treffen. Ich meine, man muss nichts Schweres tragen. Man muss keine Gräben ausheben. Man muss sich noch nicht einmal Textzeilen merken. Stattdessen arbeitet dein Geld für dich, während du auf deinem Hintern sitzt. Das ist wesentlich weniger anstrengend, als 90 Minuten pro Abend über eine Bühne zu rennen.