Er wurde von einer alleinstehenden Mutter aufgezogen und behauptete stets, seinen Vater nicht gekannt zu haben. Doch die fehlenden Teilchen im Familienpuzzle faszinieren und erstaunen seine Tochter Helen und seinen Sohn Warren nach wie vor.
Aufgrund des Ruhms und Erfolgs von Led Zeppelin geriet auch ihr furchterregender Gigant von einem Manager ins Rampenlicht. Da keine harten Fakten zu Grants frühen Jahren vorlagen, nahm stattdessen eine alternative Vergangenheit Gestalt an, die durch Bücher, Zeitschriftenartikel und TV-Dokumentationen verfestigt wurde. Ein paar der Informationen entsprachen der Wahrheit, andere waren hingegen nichts als Spekulationen, und wieder andere waren komplett falsch.
Grant selbst trug zu dieser verwirrenden Vorgeschichte bei. Als sein Renommee immer größer wurde, gereichte es ihm zum Vorteil, dass die Leute glaubten, was sie wollten. Die Wahrheit wäre vielleicht zu profan gewesen oder hätte zu viel über den Menschen enthüllt, der er wirklich war. „Er war ein komplexer Mann“, sagt seine Tochter Helen. „Man konnte ihn gar nicht richtig kennen.“
So viel wissen wir jedoch: Peter Grant erblickte das Licht dieser Welt am 5. April 1935. Entgegen anders lautenden Gerüchten hatte er nie einen zweiten Vornamen. Sein Geburtshaus, Thurston House in der Birdhurst Road 11 in South Croydon, Surrey, steht immer noch an der Kreuzung zweier vorstädtischer Straßen.
Es ist ein denkmalgeschütztes viktorianisches Gebäude, das mittlerweile in unterschiedliche Wohnungen aufgeteilt ist. Ein Mauertürmchen ragt steil in den Himmel empor. 1935 beherbergte das Haus aber noch das Birdhurst Nursing Home, ein kleines Krankenhaus. Peters Mutter Dorothy Louise Grant war ledig und 42 Jahre alt, als sie ihr einziges Kind dort zur Welt brachte.
Dorothys Vater, Harry James Grant, war Beamter im öffentlichen Dienst und stammte ursprünglich aus Chesterton in der Nähe von Cambridge. Ihre Mutter, Catherine Anne Bradley kam aus Petersfield, Hampshire – einer Gegend, in der ihr Enkelsohn den Zweiten Weltkrieg verbringen sollte.
Als sich Harry und Catherine kennenlernten, lebten sie etwas südlich von London in Thornton Heath, Croydon, einem jener Vororte, die sich seit dem Aufkommen der Eisenbahn zu etablieren begonnen hatten. Das Paar heiratete 1892 in der lokalen Church of the Holy Saviour. Dorothy wurde im darauffolgenden Jahr in einem Haus in der Buxton Road in Thornton Heath geboren. Ihr Bruder Ernest kam sechs Jahre später, 1898, zur Welt.
Dorothy selbst blieb ihr Leben lang unverheiratet. Als sie mit Peter schwanger war, arbeitete sie als Privatsekretärin für das Church of England Pension Board in Westminster. 1934 war sie in ein kleines Reihenhaus in der Norhyrst Avenue 33 in Norwood, sechs Kilometer von Thornton Heath entfernt, gezogen. Dort wohnte sie mit Unterbrechungen in den nächsten vierzig Jahren, vermutlich zur Miete und mithilfe des Church Pensions Boards, wo man sich auch um die Unterbringung pensionierter Kirchenmänner kümmerte. Irgendwann kaufte ihr Peter schließlich das Haus.
Eine unverheiratete Frau in ihren Vierzigern sah sich im Vorkriegs-England mit großen Vorurteilen konfrontiert. „Dorothy war Christin, eine Kirchgängerin“, sagt Helen. „Also kann man sich ausmalen, wie das war, in diesem Alter ein uneheliches Baby zur Welt zu bringen.“
Das Birdhurst Nursing Home war vor allem bei alleinstehenden Müttern sehr beliebt. Es befand sich unweit der Mission of Hope in der Birdhurst Lodge, einer christlichen Organisation und Adoptionsagentur, deren Vertreter regelmäßig im Krankenhaus vorstellig wurden. Ihre Broschüren versprachen, sich um die Belange unverheirateter Mütter „von ansonsten gutem Charakter“ zu kümmern, bevor sie sie dazu ermutigten, ihre Babys „für Jesus“ aufzugeben.
Dorothy knickte nicht ein. Sie war gut doppelt so alt wie die meisten anderen Mütter dort und ging davon aus, dass sie wohl nicht noch eine Chance auf ein Baby haben würde. Sie verließ das Krankenhaus mit Peter und ließ seine Geburt eintragen, gab aber auf dem Zertifikat keinen Namen eines Vaters an.
„Der Nachname ‚Underwood‘ ist der einzige Hinweis, den wir haben – und was das angeht, sind wir uns auch nicht ganz sicher“, sagt Helen. Peters Ex-Frau Gloria deutete an, dass es sich bei seinem Vater um einen kanadischen Soldaten gehandelt haben könnte. „Meine Mum sagte, dass er vielleicht ein Soldat war“, erzählte er ihr mal.
Obwohl sie ein paar von Dorothys Tagebüchern geerbt hat, fand Helen darin nie irgendwelche Informationen über die Identität ihres Großvaters. Allerdings gab Dorothy auf einem Anmeldeformular für die Schule den Beruf seines Vaters als „Bürovorsteher“ an. Dies war auch der Beruf ihres eigenen Vaters, aber das ist auch schon der einzige Hinweis.
„Wenn Dad irgendetwas wusste, dann hat er es nie gesagt“, versichert Helen. „Ich habe ihn einmal gefragt, ob er nicht neugierig sei, wer denn sein Vater ist. Er verneinte. Ich erklärte ihm, dass ich das schon wäre und fragte ihn weiterhin, bis er meinte, ich solle damit aufhören: ‚Helen, ich will nicht darüber sprechen‘.
Ich glaube, er fühlte sich zurückgewiesen. Das ist wohl auch der Grund, warum er nicht mit Zurückweisung umgehen konnte, weil es ihn an dieses Kapitel seiner Kindheit erinnerte. Vielleicht war das auch die Ursache für seine Wutanfälle – eine innere Stimme, die ihn dazu veranlasste, es an Leuten auszulassen.“
Der leider bereits verstorbene Musikmanager Malcolm McLaren verbrachte in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren etliche Jahre damit, zusammen mit Grant an einem Film über dessen Leben zu arbeiten. So sehr er sich auch bemühte, Grant wollte ihm nichts über seine Kindheit offenbaren. „Ich glaube, er wollte verhindern, dass ihm jemals wer damit auf die Nerven ging“, erzählte McLaren. „Ich denke, das ist die oberste Regel eines jeden Mafiapaten.“
Dennoch gelang es McLarens Rechercheur und Autor Mark Long in stundenlangen Interviews, Peter Grant ein paar Details zu entlocken. Laut Peter vertraute ihm seine Mutter an, dass sie wüsste, wer sein Vater wäre, er aber nicht in der Lage wäre, mit ihnen zusammen zu sein. „Es sollte noch ziemlich lange dauern, bis er begriff, dass sie es auch nicht wusste“, sagt Long. „Somit war er de facto nicht existent.“
Grant erbte seine Größe von Dorothy, die einen Meter zweiundachtzig groß war. Niemand ist sich sicher, von wem er die dunklen Haare und die stechenden Augen hatte. Grants alter Freund, der inzwischen verstorbene Musikproduzent Mickie Most, war sich sicher, dass Peter zur Hälfte Jude war. „Viele Leute dachten, dass er Jude wäre“, sagt Helen. „Aber niemand konnte es genau sagen. Wir hielten es für möglich, dass dies einen Teil seiner Abstammung ausmachen könnte. In seiner Blütezeit in den Siebzigerjahren wirkte er jedenfalls wie ein Roma.“
„Ich erinnere mich daran, dass Jimmy Page Peter fragte, ob er Jude wäre“, berichtet Led Zeppelins früherer Tourmanager Richard Cole. „Peter fragte, warum er das wissen wollte, gab ihm aber keine Antwort.“ In einem Geschäft mit so vielen jüdischen Managern, Rechtsanwälten und Agenten sah es Peter eventuell als Vorteil an, vorzugeben, selbst auch einer zu sein. Aber vielleicht wollte er die Leute auch nur im Unklaren lassen.
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 ließ die britische Regierung eine Volkszählung durchführen. In 65.000 Aktenordnern wurden ungefähr 40 Millionen Männer, Frauen und Kinder erfasst. Doch der vierjährige Peter Grant gehörte nicht dazu. Laut dieser offiziellen Erhebung arbeitete Dorothy immer noch als Sekretärin, die nun ohne ihren Sohn, aber dafür mit einem pensionierten Juristen, dessen Ehefrau und Dienstpersonal in einem Cottage in Haslemere, Surrey, lebte.
Grant vertraute Mickie Most an, dass er eine Zeitlang in einem Kinderheim gelebt hätte, weil seine Mutter zu arm gewesen wäre, sich um ihn zu kümmern. Helen Grant hatte eine ähnliche Geschichte gehört: „Da war mal die Rede von einem Waisenhaus.“
Grant ging ab Mai 1940 zur Schule und verbrachte die nächsten drei Jahre in Grayshott, einem Dorf in Hampshire. Im Sommer 1943 war er wieder zurück in Südlondon und besuchte fortan die St. Walter John School in Battersea, auf der er fünf Jahre bleiben sollte. Die Anmeldeformulare der Schule zeigen vier von Hand geschriebene Adressen, da Dorothy während des Krieges mehrfach in Grayshott und Hindhead in Surrey umzog. „Was machte sie da bloß – und wo war mein Dad?“, wunderte sich Helen.
In einem Interview mit dem Melody Maker, jener wichtigen wöchentlich erscheinenden britischen Musikzeitschrift, bezog sich Grant 1974 kurz auf diese Zeit.