Dennis Dunaway

Schlangen, Guillotinen und ein elektrischer Stuhl


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hole Tatum“, meinte Glen. „Kann aber was dauern. Ich muss ihn nämlich von der heißen Tänzerin losreißen.“

      Tatum kam gerade aus der Garderobe und steckte sich den Pullover unter den Gürtel. In dem schwarzen Outfit wirkte er schnittig. Er lächelte das Lächeln eines Mannes, der gerade verdammt viel Glück gehabt hatte.

      Vince meinte: „Lasst uns die Charaktere verinnerlichen. Wir sind die Birdies!“

      Das Theater zählte zu den modernen Gebäuden mit mittiger Bühne, die damals im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden schossen. Vince führte uns über Rampe 4, einem hölzernen Bühnenaufgang, und wir betraten die Bühne unter großem Applaus. Conrad, dargestellt von Tom Hasson, deutete auf Speer, der den Song einzählte. Wir begannen die Nummer und verabreichten den Theaterbesuchern eine zünftige Dosis Rock’n’Roll.

      Schmalzig? Ja, aber es war immer noch ein Riesenerlebnis, als Conrad auf einige Mädels zeigte, die alle schrien und in Ohnmacht fielen. Als er mit seinem Hintern lustvolle Drehbewegungen machte und dabei „leidend“ zischte, schrien alle verbleibenden Mädels wieder und fielen zu Boden.

      Kommentar: „Yeah.“ Was soll man sonst noch sagen? „Yeah!“

      Für uns war es ein kurzes Intermezzo, doch wir empfanden die erste Begegnung mit der Theaterwelt als durchdringend und machtvoll. Wir absorbierten das Erlebnis, saugten es förmlich auf, erlebten Zankereien zwischen den Darstellern – was ein ganz besonders Theater darstellte – und hatten unsere erste Begegnung mit schönen, halbbekleideten Tänzerinnen.

      Nach jeder Birdie-Aufführung hetzte die Band zum Spät-Gig ins VIP, wo wir einige der neu gelernten Show-Liedchen wie „Honestly Sincere“ und „One Last Kiss“ ins Programm warfen. Nun pulsierte der Theater-Virus in unseren Adern. Wir, und nur wir, beherrschten die Bühne mit eigenen Gesetzen und fühlten uns stolzer und härter als noch vor wenigen Monaten. Die Band hatte sich nun bewiesen, sich quasi legitimiert.

      Der Vampir des Theaters hatte uns gebissen, und – um es in lyrischen Worten auszudrücken, die jeder versteht – sein ewiger Geist labte sich nun an den Flüssen unserer Seelen.

      Tja, und dann ging es wieder ins Elternhaus, wo wir in unseren Jugendzimmern schliefen.

      Die Blonde? Ja, die sah ich wieder. Es war bei der Konzertmuschel im Encanto Park, der bekanntesten Grünfläche von Phoenix. Wir sahen uns die erste Gruppe namens Holy Grail an, und ich erkannte den schlaksigen Drummer mit dem sonnengebleichtem Haar. Es war der „Wipe Out“-König Neal Smith! Ganz im Gegensatz zu seiner nett lächelnden Surf-Band, den Laser Beats, wirkte die Musik von Holy Grail packender, erwachsener und aggressiver. Sie schienen keine Angst davor zu haben, den ausgelatschten Pfad zu verlassen.

      Während die Band „Shake Your Money Maker“ spielte, ein Publikumsliebling der Paul Butterfield Blues Band, versammelten sich einige Cops mit versteinerten Gesichtern an den Bühnenseiten. Offensichtlich hatten die ein Problem mit einem Becken von Neal, auf dem ein riesiges FUCK in roter Farbe stand. Als die Beamten die Bühne betraten, überraschte sie Neal, indem er sein Schlagzeug in tausend Stücke zerlegte.

      Neal wurde abgeführt, und ich erspähte seine liebliche Schwester in der Menschenmenge. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und ging auf sie zu. „Würdest du meinen Hut halten, wenn ich auf der Bühne bin?“, fragte ich sie.

      „Ich glaube schon“, erwiderte sie mit einem verblüfften Gesichtsausdruck.

      Als wir uns hinter der Konzertmuschel versammelten, verklickerte ich den Jungs, dass wir unbedingt ein Finale bringen müssten, das jenes von Holy Grail in den Schatten stelle.

      Man tauschte einige Ideen aus und entschied sich schließlich zu einer inszenierten Prügelei, die jeden davon überzeugen sollte, dass sich die Spiders auflösten. Ich gab zu bedenken, dass es nur funktioniere, wenn alle ernst und verbissen aussähen.

      Mit direktem Blick in die Sonne rockten wir vor einer begeisterten Menge. Beim letzten Song angekommen, begannen sich John und Vince anzuschreien. Daraufhin rannte John an den vorderen Bühnenrand und schnappte sich Vince beim Kragen. Innerhalb einer Sekunde hingen sie wie ein Wollknäuel zusammen, schlugen sich und zerrten an allen Glied­maßen. Dann stürmten die beiden in entgegengesetzten Richtungen von der Bühne, während wir nur mit den Achseln zuckten, den Song beendeten und mit melodramatischen und besorgten Mienen die Bühne verließen.

      Abseits der Bühne erkundigte sich ein besorgtes Pärchen bei Glen nach Details. Mit ernster Miene erzählte er ihnen: „John hat Vince umgebracht, doch sie reanimierten ihn im Krankenhaus. John hat ihm daraufhin ein Gänseblümchen-Bouquet geschenkt, und nun sind sie verheiratet.“

      So lief es. Der vorgetäuschte Kampf erzielte seine Wirkung. Wir übertrumpften Holy Grail.

      Neals Schwester näherte sich mir mit einem wohlwissenden spöttischen Lächeln. „Ihr habt das doch nur gemacht, um die Aufmerksamkeit auf euch zu ziehen“, sagte sie, dabei den Hut aus der Tasche fischend. „Du kippst doch jetzt nicht um, oder?“

      Ihr überwältigendes Aussehen machte mich sprachlos, und ich kämpfte um jede Silbe. Mit einem tiefen Griff in die Schatulle der kultivierten Konversation, meinte ich: „Heute ist es aber heiß!“

      Ihrer sympathischen Mimik entwichen jegliche Emotionen, und sie entschwebte in der Ferne.

      Im Sommer 1966 fällte John Tatum eine Entscheidung, an die er sich in den folgenden Jahren mit einer gehörigen Portion Wut erinnerte – er stieg aus. Er fühlte sich von einer anderen Band angezogen, die sogar wusste, wie man „Shotgun“ spielt, und „nahm“ die schönen langen Haare und die Rhythmus-Akkorde mit. Als ich ihn bei einer Show mit ihnen sah, musste ich zugeben, dass sie die Nummer perfekt spielten. Glen, der Tatum bislang für einen guten Freund gehalten hatte, war sauer.

      Verzweifelt suchten wir nach Ersatz. Vince, Glen und ich erinnerten uns an eine Gruppe, die wir bei einem Bandwettbewerb in einer Shopping-Mall gesehen hatten. Sie nannten sich die Trolls und sahen wie Football-Verteidiger aus, die die Beatles imitierten. Glen spottete, dass sie nur „Mädchen-Songs“ spielten, doch ich schätzte den perfekten, mehrstimmigen Harmoniegesang. Ihr Gitarrist und Sänger hinterließ bei mir einen starken Eindruck, und ich hatte mir sogar seinen Namen notiert: Michael Bruce.

      Wie die anderen Bandmitglieder bevorzugte Michael eine große, orange lackierte Gitarre.

      Ich rief ihn an und verabredete mich mit ihm. Um zu beweisen, dass zwischen uns keine üble Stimmung herrschte, begleiteten mich Tatum, Glen und Vince bei der Aufklärungsmission.

      Die Bruce’ bewohnten ein nettes Haus. Mrs. Bruce führte uns zu seinem Zimmer, wo wir einen breitschultrigen Michael antrafen, umgeben von einer Football-Ausrüstung und dicken Hanteln. Nicht zu vergessen den Football-Hodenschutz. Zumindest besaß er noch einige Kisten mit Schallplatten.

      Frei heraus erklärte uns Michael seine Skepsis hinsichtlich eines Einstiegs bei den Spiders. Seine Erklärung lässt sich auf die Aussage kürzen, uns fehle ein schnittiges und schickes Image.

      Ich wies auf den Status als Hausband des VIP hin. „Und wir werden sogar bezahlt.“

      „Und wir spielen auch keine Mädchen-Lieder“, musste Glen unbedingt loswerden.

      Falls uns noch Zweifel geplagt hätten, wurden sie schnell vom Winde verweht, als er uns sein Tonbandgerät zeigte sowie den draußen geparkten Equipment-Transporter.

      Während der Verhandlungen übersprang Vince einen Schritt und erklärte Michael, dass er Tatums Nadelstreifenhosen kaufen müsse.

      „Das ist doch dämlich“, erwiderte dieser.

      „Das musst du gerade sagen“, warf ich ein. „Deine Band spielt mit orangenen Gitarren!“

      „Ist das hier eine Band, oder wollt ihr mich ausnehmen?“ Er fischte drei Fünfer aus der Geldbörse und reichte sie Tatum.

      „Probe morgen um drei Uhr“, verabredete Vince. „Im VIP.“

      Als wir den Gehweg erreichten, brach Tatum