erschien zur nächsten Probe, die orangene Gitarre und einen netten Fender-Verstärker im Schlepptau. Schon beim ersten Jam stellte sich heraus, dass er und Glen hervorragend zusammenarbeiteten. Beide konnten sowohl Lead- als auch Rhythmus-Gitarre spielen, und dank Michael hatten wir einen weiteren starken Sänger. Was das Ganze noch krönte: Er lernte Songs von der einen zur anderen Sekunde.
Die Band begann zu wachsen und an Stärke zu gewinnen. Damals regte Michael bei uns den Willen und die Entschlossenheit an, eigene Songs zu schreiben. Wir fuhren nach Tucson, um nahe einer Universität vorzuspielen. Bei der Rückfahrt vertrieben wir uns die Langeweile mit Vorschlägen neuer möglicher Coverversionen. Mike schüttelte den Kopf: „Nee, lasst uns doch stattdessen eigene Songs schreiben.“ Er redete so lange auf uns ein, bis allen klar war, dass man sich auf den Hosenboden setzen und eigene Stücke schreiben muss.
Als wir Phoenix erreichten, war Vince und mir ein Song mit dem Titel „Don’t Blow Your Mind“ eingefallen. Er gefiel allen. (Glen wollte ihn – wer hätte etwas anderes vermutet – „Don’t Blow Your Wad“ [slg.: Samen] nennen.) Die Nummer schien für eine Studio-Session gut genug zu sein.
In den Sixties ähnelten Studios gebrauchten Autos – man wusste nie, was einen erwartet. Meist lagen die am besten klingenden Aufnahmemöglichkeiten in den großen Städten, doch auch in der „Steppe“ gab es einige coole Studios wie die von Sun Records in Memphis oder Muscle Shoals in Alabama. Als wir in das Cooper State Recording Studio trotteten, hatte niemand den blassesten Schimmer, was uns dort erwartet.
Der Besitzer, ein gewisser Forster S. Cayce, fungierte als Produzent. Sein Assistent war ein Typ namens Frank, der nach jeder Anweisung von Cayce „Achtung!“ rief. Sie führten uns in den dunklen schalldichten Raum, wo man uns ihrer speziellen Aufnahmemethode aussetzte, die man mit „Es dauert, dauert, dauert …“ umschreiben kann.
Gelegentlich hört man von diesen legendären Rhythm’n’Blues-Acts, die schon fünf Alben vor dem Mittagessen eingespielt haben. Die Spiders hatten nicht so ein Glück. Wir verbrachten Tage damit, Cayce auf der Suche nach dem optimalen Sound beim Verrücken des Equipments zu beobachten. Dann gingen wir zu Denny’s und kauften für Cayce eine weitere Ladung getoasteter Käse-Sandwiches und Cokes. Nachts schliefen alle auf dem kalten Studioboden.
Die Tage zogen an den Musikern vorbei, nur vom Kauf getoasteter Käse-Sandwiches und zahlreichen „Achtungs!“ unterbrochen. Einmal kamen wir gerade ins Studio, wo sich unser „Produzent“ zum aus den Monitoren kommenden Fortunes-Song „You’ve Got Your Troubles (I’ve Got Mine)“ wiegte.
„Hört euch doch nur die Bläser an!“, brüllte Cayce. „Was sagen die uns, Jungs?“
Vince und ich hatten keine Ahnung. Cayce lächelte nur: „Sie drücken aus, dass ihnen alles scheißegal ist, dass sie frei heraus spielen! Spürt ihr dieses ‚Mir ist es doch scheißegal?‘“
Wir näherten uns exakt mit dieser Einstellung an „Don’t Blow Your Mind“ an.
Glen murmelte, dass ihm bald alles wirklich scheißegal sei, wenn er noch eine Nacht auf dem verdammten Fußboden schlafen müsse.
„Das ist ein toller Song“, sagte Michael, „doch überhaupt nicht unser Stil.“
In der Mittagspause ging er zum Plattenladen um die Ecke und legte sich die neue Beatles-Single „Strawberry Fields Forever“ zu. Er legte sie auf Cayces Plattenspieler.
Statt sich im Takt zu wiegen, stand Cayce wie angewurzelt da und hörte sich den ganzen Song konzentriert an, bis zum mysteriösen Fade-Out. Bewusstseinserweiterung? Keine Spur!
„Viel zu dünn“, meckerte er und ging aus der Regie.
Im Laufe der nächsten Woche nahmen wir laaaangsam einige Takes auf und achteten dabei auf zweistimmige Harmonien, nicht zu vergessen Glens verzerrte Gitarrenlinien, mit denen er Vince’ nach einer Garagen-Band klingenden Gesang unterstützte.
„Hört sich nicht schlecht an“, meinte Glen beim Vorspielen des Endresultats. Vielleicht war Cayce doch ein passabler Produzent.
Santa Cruz Records veröffentlichten die Single und bemusterten damit das Radio in Tucson und Phoenix. In der am 27. Oktober 1966 endenden Woche erreichte „Don’t Blow Your Mind“ den 11. Platz der KFIF-Boss-Radiocharts. Nicht schlecht für einen Haufen Schuljungen!
Was das Engagement im VIP anbelangte: Meiner Meinung nach konnten wir es nur mit einem sich ständig verändernden Programm verlängern und attraktiv machen. Darüber hinaus beschlich mich ein Gefühl, dass wir das Image so oft wie möglich erneuern mussten, um die Leute nicht zu langweilen. Vince, Glen, Michael, John und ich teilten diese Auffassung, und wir machten uns daran, sie wie Besessene umzusetzen.
Wir klopften jede Idee ab, egal wie dämlich sie erschien. Die Küche des VIP wurde die Hauptquelle für Bühnenrequisiten. Nach allen nur erdenklichen Küchenutensilien beinhaltete die Show Servietten, Strohhalme und Spachtel.
Charlie Carnal, unser Lichttechniker, machte bei der „Konzeptualisierung extrem“ mit und unterstützte die psychedelische Transformation. Er baute einen Kasten und betitelte das Ding als Lobster-Strobe. Es bestand aus einer Munitionskiste, die er sich in einem Army-Navy-Geschäft zugelegt hatte, aufgemotzt mit einer extrem starken Lichtquelle und reflektierender Aluminiumfolie. Ein Elektromotor trieb eine Metallscheibe mit Ausbohrungen an, wobei man einen einlullend hypnotischen und Stroboskop-ähnlichen Effekt erzielte.
Charlie konstruierte auch die sogenannten Flasher-Lights, lange hölzerne Kisten, die er am vorderen Bühnenrand platzierte und die die Decke anstrahlten. Vor den Spots hingen gebogene Folien, gefüllt mit bei Hitze verlaufender Gelatine und Ölen, wodurch über uns ein Panorama von beeindruckend intensiven Farben und Farbverläufen entstand. Die Lichtshow wurde von Charlie mithilfe einer Schalttafel angesteuert, die er die „Orgel für Arme“ nannte. (Wenige Jahre später traten wir in dem Film Tagebuch eines Ehebruchs auf. In einer kurzen Sequenz sieht man Charlie beim Bedienen der Regler.)
Ein anderer Lichteffekt basierte auf einer ca. 1,60 Meter breiten Scheibe aus Sperrholz mit Löchern. Wir nannten das Ding das „Lichtrad“. Allerdings nutzte Jack bei den Radio-Jingles für das Ding einen weitaus lautmalerischeren Namen – die „elektro-luzierende Bewusstseinsmaschine“.
Am Ende eines Auftritts geschah es häufig, dass wir die Light-Show zertrampelten, was Charlie aber kaum zu stören schien. Er sammelte die Einzelteile ein und bastelte sie für den nächsten Tag wieder zusammen. Charlie war ein wahrer Künstler, und seine Lichtshow entwickelte sich zu einem wichtigen Teil des Bühnenbildes, sodass wir abstimmten, ihm einen netten Batzen der Gage zu überlassen.
Während wir das sich ständig ändernde Spektakulum verfeinerten und perfektionierten, wurden die Shows provokanter und näherten sich den Grenzbereichen hin zum Extremen. Wenn etwas wie eine Bombe einschlug, schlug es wie eine Bombe ein – aber so richtig! Die Leute kamen, darauf wartend, was wir als Nächstes anstellen würden. Veränderungen fanden nicht im wöchentlichen Rhythmus statt, sondern manchmal von Auftritt zu Auftritt!
Die Kids berichteten ihren Freunden davon, dass wir ihnen Shows präsentierten, die von ihnen beim Nacherzählen natürlich extrem überzogen dargestellt wurden. Natürlich stand Vince darauf und setzte Gerüchte in die Welt, nur um zu sehen, wie sie sich aufblähten und wieder zu uns zurückkamen.
Eines Tages schlenderten wir ins VIP, wo uns Jack Curtis mit einer schlechten Nachricht konfrontierte: Eine japanische Gruppe mit dem Namen Spyders hätte ein neues Album veröffentlicht. Unserer laienhaften Auffassung nach war eine Veröffentlichung mit der Beanspruchung des Rechts am Bandnamen gleichzusetzen. Nachdem sich die erste Schockstarre verflüchtigt hatte, stimmten wir über einen Namen ab, den niemand – auch in einer Trillion von Jahren nicht – auswählen würde. Nach einem Schwall verschiedenster Vorschläge einigten wir uns auf Nazz. Der Begriff stammte von Glens Lieblingssong der Yardbirds: „The Nazz Are Blue“.
Am Ende der Probe war uns ein Song eingefallen, der den neuen Bandnamen unterstrich. Um noch eins draufzusetzen, planten wir, Nazz durch das Tragen von Bärten und Spitzbärten zu versinnbildlichen.