ich sie jedoch beim Wort nahm, bekam Jean Granny einen derartigen Schock, dass sie fast aus dem Bett fiel. Die meisten Bewohner hielten sich dort tagsüber in ihren Betten auf, denn die unteren Räume waren zu unwirtlich eingerichtet.)
Mum mochte meine drastische Lautstärke, obwohl ich beim Üben wohl ziemlich viel Krach gemacht haben muss. Hinzu kam, dass ich ein Nachtmensch war. Erst als sie zu Bett gegangen waren, ging ich ins Esszimmer, zündete die Kerzen in Captain Woods Kronleuchter an, um es mir gemütlich zu machen, und begann zu spielen. Obwohl sie sich nie beschwerten, weiß ich, dass Vater sich wegen meines Lebenswegs Sorgen machte. In den Schulberichten standen oft Phrasen wie: „In diesem Quartal schlich sich wieder die alte Angewohnheit ein, die gestellten Aufgaben nicht zu bearbeiten“ (Mathe), oder: „Er hat sich in dem Fach in keinerlei Hinsicht bemüht. Es ist unvermeidlich, dass er durchfallen wird“ (Physik). Dad wusste von meinen Problemen mit Chare.
Wenn ich zu Hause war, vermied Dad in den ersten Tagen Gespräche über diese Probleme. Er gab mir ein wenig Zeit, während er sich vorbereitete und Notizen machte. Erst wenn er genau wusste, was er mir sagen wollte, rief er mich ins Esszimmer, schloss die Tür und meinte: „Na, wie läuft es denn so?“
Die Unterredung glich eher einem Dienstgespräch als einer netten Plauderei. Er hatte seine Notizblöcke und Stifte vor sich ausgebreitet, und ich konnte mir gut vorstellen, dass er sich exakt so vorbereitet hatte, wenn es um ein Dienstaufsichtsverfahren handelte, bei dem ein junger U-Boot-Lieutenant wegen Fehlverhaltens zur Rede gestellt wurde.
Grundsätzlich respektierte ich Vaters Autorität – ganz im Gegensatz zu den Regeln und Bestimmungen in Charterhouse erkannte ich den Sinn, hinter dem, was er sagte –, doch ich war mir dessen bewusst, dass er all das verkörperte, was ich unbedingt vermeiden wollte.
Bis zu meiner Generation wünschten sich Jungs nichts sehnlicher, als den Weg ihrer Väter fortzuführen, in Twill-Hosen und braunen Wildlederschuhen. Den Söhnen in der Generation meines Vaters wurde eingebläut: „Du wirst nie so ein anständiger Mann wie dein Vater werden.“ Als Dad sich das anhören musste, empfand ich es als extrem einengend, wie er in seinen Memoiren schrieb.
Dad wollte wie sein Vater werden, doch ich konnte mir kein deprimierenderes Leben vorstellen. Mit den Beatles war eine neue Ära angebrochen. Die Kids meiner Generation opponierten in jeder Hinsicht gegen ihre Eltern. Verrückt, wie schnell das alles geschah – die Beatles blieben nur sechs Jahre zusammen, während Hendrix’ Karriere noch kürzer war. Trotzdem veränderte sich in dieser Zeit einfach alles. Die Zeitungen platzten förmlich vor Storys über das skandalöse Benehmen der damaligen Jungend – und prophezeiten das Ende der Welt. Wenn ich in das Zimmer schlenderte, während meine Eltern vor dem Fernseher saßen, sah ich Reginald Bosanquet beim Verlesen der Nachrichten, dessen Geschichten scheinbar immer von der Revolution handelten, die meine Altersgenossen anführten.
Ich setzte dem Ganze die Krone auf, denn ich war erst 16: Ich wollte nicht, dass Dad mein Leben begriff. „Du kapierst das nicht, du verstehst es einfach nicht.“ Manchmal sagte ich das nur aus Trotz und nicht aus Überzeugung. Doch letztendlich steckte eine Wahrheit dahinter. Zu allen Zeiten hatten Kids das Gefühl, ihre Eltern seien altmodisch, doch diesmal tat sich wirklich eine tiefe Kluft auf.
Befürchtete Dad das herannahende Ende der Welt? Sicherlich nicht: Er hatte zwei Weltkriege erlebt und den Globus mehrmals umrundet. Er verstand die sich abspielenden Veränderungen. Möglichweise geschah das aus der Erkenntnis heraus, dass meine Generation keine echten Kriege austragen würde, sondern sich mit anderen Widrigkeiten konfrontiert sah. Auf jeden Fall glich seine Einstellung nicht der anderer Captains seines Londoner Clubs. Er brachte niemals Plattitüden vor wie: „Diese verdammten jungen Hooligans!“ Er fühlte sich eher in einer sich verändernden Welt vollkommen verloren.
The Climax und The Anon waren nicht die einzigen Bands in Charterhouse. Es gab auch Garden Wall, die das Schulmagazin beschrieb als „die einzigen Vertreter echter Soulmusik. Mit der ausgesprochen erdigen Qualität ihres Sounds boten sie einen emotional beseelten Auftritt beim Charity Beat Concert im letzten Semester, wobei Peter Gabriels Gesangsstil eines der herausragendsten Kennzeichen war.“
Ant spielte sowohl bei Garden Wall als auch bei The Anon. Tony Banks war ihr Pianist (obwohl er viel Zeit damit verbrachte, sich mit Peter wegen des Keyboards zu streiten). Garden Wall hatten einen Trompeter, wozu sich meinerseits nichts hinzufügen lässt. In meiner Band gaben Gitarren und Verstärker den guten Ton an – bei Garden Wall spielten eben ein Trompeter und ein Pianist …
Ich musste wohl schon zwei oder drei Konzerte in Charterhouse gespielt haben – sie als Gigs zu bezeichnen, wäre ein wenig weit hergeholt –, doch es ging mir nicht um die Auftritte. Sich ganz einfach darüber zu unterhalten, darin lag damals der Spaß. Die Kameradschaft, die Vorbereitung und das Planen waren für mich genauso wichtig. Ich fand es sogar toll, Ants Vox-Verstärker zur Probe in ein Klassenzimmer zu schleppen, wobei er den Amp auf der einen und ich auf der anderen Seite trug. Das Ding durch die alten Kreuzgänge zu befördern fühlte sich verschwörerisch an: Es war ein symbolisches Victory-Zeichen gegenüber den altehrwürdigen Herren.
Das gesagt, will ich doch noch den „Unfall“ erwähnen, mit dem ich Chares Gitarrenverbot sprichwörtlich aus dem Weg ging: Ich spielte zwischenzeitlich wieder bei The Anon. Am großen Tag des Semester-Abschlusskonzerts machte ich mich auf den Weg in die Haupthalle: hölzerner Boden, ausgeschmückte Decken, ein Balkon, der zwei Drittel der Halle einnahm, 600 Jungen im Publikum und der Schulleiter in der ersten Reihe, Chare direkt hinter sich. Erst in dem Augenblick merkte ich, dass mein Gitarrenkabel defekt war.
Panisch suchte ich in den Fluren nach Ersatz, fand aber nur ein ungefähr ein Meter langes Kabel, was bedeutete, dass ich einen Meter vom Lichtkegel des Spotlights entfernt stehen musste – unsichtbar! Ich bin mir sicher, die anderen Bandmitglieder werteten das als einen beabsichtigten Schachzug – der Mann, der in der Dunkelheit lauert – aber ich hätte viel lieber am Rand der Bühne gestanden und Chare Stones-Cover um die Ohren gehauen. Egal, der Gig wurde ein großer Erfolg, und mir gelang es so gleichzeitig, einen Rauswurf zu umgehen.
Die Musik rettete mir während der Schulzeit das Leben, genau wie die illegale 50er-Honda, die ich mir angeschafft hatte. Ich parkte sie in einer örtlichen Garage für eine monatliche Miete, die sich ähnlich wie Schweigegeld schnell verdoppelte, da der Besitzer genau wusste, woher ich kam.
Das Motorrad sah nicht besonders cool aus. Und ich konnte mich nie vom Gegenteil überzeugen, was umso schmerzhafter war. Doch es eröffnete mir die dringend benötigte Freiheit. Da Motorradfahren zu den schwersten Vergehen gehörte, hatte ich umso mehr Spaß. Meist war es egal, wohin ich fuhr, denn es zählte die Tatsache, dass ich das Bike starten und so den Klauen des Unterdrückungs-Regimes entfliehen konnte.
Eines Nachmittags befand ich mich gerade auf dem Weg nach Guildford. Ich schaute in den Rückspiegel und entdeckte den Wagen eines Lehrers, der mir dicht folgte. Nicht, dass dort in Großbuchstaben LEHRER draufgestanden hätte, doch auf den Parkplätzen der Pädagogen fanden sich eben bestimmte Automarken, und diese Karre fiel in so eine Kategorie. Wie sehr ich auch versuchte, ihn abzuwimmeln, indem ich in verschiedene Straßen abbog, er war immer direkt hinter mir. Schließlich wurde mir klar, dass ich nur noch abhauen konnte.
Nach einem schnittigen und gefährlichen Dreh in einer Einfahrt, sprang ich vom Bike und rannte durch den Garten, den Helm noch auf dem Kopf. Mir gelang es über einen Zaun in den nächsten Garten zu hechten, wobei ich beinahe eine Wäscheleine abriss. Nachdem ich über einen weiteren Zaun geklettert war, näherte ich mich wieder der Straße, erleichtert, den Wagen nicht mehr zu sehen. Es war sicherlich nicht eine meiner coolsten Aktionen …
Mich von Charterhouse zu entfernen, mit dem Bike wegzufahren und alles hinter mir zu lassen, kam mir überhaupt nicht in den Sinn. Gelegentlich hörte man Geschichten von Ausreißern – zwei Jungs aus Harrow oder einer aus Eton –, doch obwohl ich mich in meiner rebellischen Phase befand, war es oberste Priorität, Dad in keine unangenehme Lage zu bringen. Allerdings schwänzte ich den Unterricht, um im Godalminger Pub Gin und Bier mit Limettensirup zu bechern – obwohl ich den Geschmack von Gin nicht mochte. Auch bezog ich regelmäßig Prügel, da ich mich mit Ant zum Rauchen verdrückte. Dabei empfand ich es als am schlimmsten, dass der Lehrer,