Mike Rutherford

Rhythmen des Lebens - Die erste Genesis-Autobiografie


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hatte nicht den blassesten Schimmer, was für eine Gitarre ich haben wollte, und der Laden raubte mir fast den Atem. Die Instrumente, die an den Wänden hingen, wirkten recht cool und schüchterten mich ein wenig ein. Der Verkäufer hätte uns jede nur erdenkliche Klampfe andrehen können, was er dann auch machte. Ich verließ das Geschäft mit einer Fender Jazz-Gitarre, deren Seitenabstand zum Griffbrett mehr als 0,6 Zentimeter betrug. So eine Höhe wünscht man keinem Anfänger. Mein Verstärker war ein Selmer Little Giant – eindrucksvoller Name, aber ein winziges Ding, in der Größe 30 cm x 45 cm. Vor diesem Tag hatte ich überhaupt nicht darüber nachgedacht, einen Verstärker zu benötigen. Die Zeitungen waren damals voller Cartoons von langhaarigen Typen, die in ihren Zimmern E-Gitarre spielten, während die Eltern – meist waren es die Väter – die Augen voller Entsetzen und Qual verdrehten. Das Gitarrenkabel führte bei den Zeichnungen eigentlich immer zur Steckdose. Ich fand das plausibel.

      Meine leicht naturfarbene Gitarre in dem mit grünem Plüsch ausgeschlagenen Koffer zu sehen war an sich schon ein aufregendes Erlebnis. Wieder in Far Hills angekommen, eilte ich auf mein Zimmer und spielte einen nicht sonderlich musikalischen Rhythmus. Sogar ich empfand den Klang als laut, wunderschön laut, doch ich kann mir schwerlich vorstellen, wie das bei Dad ankam, denn seine Generation kannte keine verstärkte Musik.

      Seitens meines Vaters bestand eine weitläufige Verwandtschaft mit Percy Bysshe Shelley, dem Dichter aus der Epoche der Romantik. Die Mutter der Mutter meiner Großmutter war die Schwester von Shelleys Mutter, und so erwartete Mum wohl eine künstlerische Ader in mir. „Liebling“, sagte sie. „Es liegt dir im Blut: Es ist Shelleys Blutlinie!“ Dad jedoch – obwohl er mich nie an der Musik hinderte – muss wohl besorgt gewesen sein, zumindest, was das Haus anbelangte. Jedes Mal, wenn ich spielte, schritt er das Gebäude ab und klopfte an das Gemäuer. Er glaubte wohl, dass ich den Putz von den Wänden rockte (was möglicherweise zutreffen mag – aber nur ein bisschen). Trotzdem beschwerte er sich nie bei mir. Ach ja, es erübrigt sich wohl zu erwähnen, dass das Haus niemals einstürzte.

      Abgesehen von Dimitri schloss ich in The Leas Freundschaft mit einem Jungen namens David Sandford, der aus Irland stammte. Während des letzten Schuljahres lud man mich dorthin ein. Es war meine erste Flugerfahrung, und David Sandfords Vater, ein Truthahnzüchter aus Strangford, holte mich vom Belfast Airport in einem klapperigen alten Rover ab.

      Ich schätze mal, dass Mr. Sandford meinen Aufenthalt möglichst gewinnträchtig nutzen wollte, denn David und ich mussten beim Füttern seiner Truthähne und der Ernte helfen. Es hielten sich dort auch noch einige ältere Jungen auf. Wir wohnten in einem eigenen Caravan hinter der Scheune. Für Davids Vater bedeutet mein „Urlaub“ eine kostenlose Arbeitskraft, doch ich verspürte das Gefühl der Freiheit: Im Alter von zwölf Jahren fühlte ich mich wie ein Erwachsener.

      Zu der Zeit rauchte ich gelegentlich eine Player’s No. 6, doch in diesen zehn Tagen durfte ich so viel rauchen wie ich wollte (was ich auch tat). Darüber hinaus machte ich die Entdeckung, dass der Cidre, den die älteren Jungs tranken, recht erträglich war. Als Heranwachsender hatte ich es immer auf den Sherry meiner Eltern abgesehen. Gin Tonic und Gin mit Wermut interessierten mich nicht, denn der Sherry zog mich aufgrund der lieblichen Farbe an. In einem Jahr boten die beiden mir ein Glas an. Ich fand den Geschmack ekelerregend, obwohl ich ihnen das nicht sagen durfte. Mit einem „Mm! Schön!“ zwang ich mir das Zeug durch die Kehle. Cidre stellte eine eindeutige Verbesserung dar.

      Die Schattenseite der Reise nach Irland lag in der geringen Entfernung des Caravans zu 17.000 Truthähnen, denn das Gefährt stand nur wenige Meter vom Gehege entfernt. Allein beim Gedanken an Strangford zieht mir ein penetranter und anhaltender Ammoniak-Gestank durch die Nase. Seit dieser „Truthahnerfahrung“ und dem Sherry hat sich mein Weihnachtsessen grundlegend verändert …

      Mal von einigen Zwischenfällen in der Vorschule und den „berauschenden“ Irlandferien abgesehen, kann man mich als einen Jungen mit guten Mainieren beschreiben. Mein Vater hat mir immer die Bedeutung von Höflichkeit, Vertrauen und Ehre eingetrichtert, und ich glaube, dass er für diese Charakterzüge in den Krieg gezogen ist.

      1941 kehrte er mit seinem Schiff, der „Excellent“ zu einer Generalüberholung in den Hafen von Portsmouth zurück – einen Tag nach dem ersten schweren und überraschenden Bombenangriff. Er war schockiert, die „rauchenden Ruinen unseres Heimathafens“ zu sehen.

      Ich ging an Land, um mich umzuschauen. Mich überkam ein unverhältnismäßiger Wutausbruch. Ich inspizierte den Schaden an den Pubs, wo wir so manche fröhliche Stunde verbracht hatten, wo wir die Bedienung nach der Sperrstunde zu einer Tanzveranstaltung in den lokalen Versammlungsräumen einluden (die man allgemein mit den weniger schicklichen Namen „Arsch- und Bauchbude“ bezeichnete). Mir erschien es niederträchtig und in keiner Weise eines Gentlemans würdig, den Pub eines Mannes in Schutt und Asche zu legen – das war vergleichbar mit der Zerstörung seines Golfschlägers und der Fahrräder seiner Kinder.

      Mein Vater begrüßte das Ethos von The Leas, denn als ich 1964 das Internat verließ, schrieb er dem Schulleiter:

      Wir sind höchst erfreut, dass Michael sich als Leasianer bewährt hat, indem er sich auf dem Gebiet der Leibesertüchtigung und im Rahmen des Gemeinschaftslebens der Schule hervortat, zum Hauspräfekten wurde und zufriedenstellenderweise nach Charterhouse wechselte.

      Wir freuen uns auch darüber, das Michal in diesen wichtigen frühen Jahren unter Ihnen und Ihresgleichen weilen und die anschaulichen Beispiele und Einflüsse genießen durfte, die den Charakter Ihres Instituts ausmachen.

      In diesen Tagen ist es nicht leicht, eine Einrichtung zu finden, die auf den grundlegenden Tugenden basiert, die von einem aufrichtig religiösen Leben untermauert werden. Solche charakterbildenden Maßnahmen werden heute von sogenannten fortschrittlichen Denkern als dumm und überholt kategorisiert. Man würde die Ansichten dieser Personengruppe zumindest tolerieren, wenn sie adäquate Alternativen böten.

      Dem Brief lag auch ein kleiner Beitrag für die Orgel bei. Ich halte das nur für angemessen, denn Michael hat während der letzten sechs Jahre seinen Beitrag zur Abnutzung des alten Instruments geleistet! Das stimmte auch!

      Ich weiß nicht, ob Dad tatsächlich glaubte, dass ich „zufriedenstellenderweise“ nach Charterhouse wechselte. In Surrey gelegen, war Charterhouse eine der besten Privatschulen des Landes, was sich auch an dem hohen Schulgeld ablesen ließ. Im letzten Jahr in The Leas hatte Dad mich für ein Marine-Stipendium angemeldet, durch das die gesamten Kosten gedeckt worden wären. Die Entscheidung für das Stipendium fand auf der Basis eines Bewerbungsgesprächs statt, was zuerst gut lief. Scheinbar konnte ich die mir gegenübersitzenden, über und über mit Medaillen behangenen Würdenträger der Marine überzeugen. Doch dann fragte mich einer der Herren, ob ich Geschichtsbücher über die Marine gelesen habe.

      „Oh, ja, viele sogar“, antwortete ich.

      „Tatsächlich? Welche denn?“

      Totenstille.

      Damit war auch das Stipendium Geschichte.

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      „Die Gitarre“, empörte sich Mr. Chare, „ist ein Symbol der Revolution. Und in meinem Haus, unter meiner Aufsicht, wird es keine Revolution geben.“ Um die Aussage zu bekräftigen, schlug er mit beiden Fäusten auf seinen Tisch.

      Chare bekleidete den Posten des Erziehers in meiner Unterkunft in Charterhouse und war gleichzeitig meine Nemesis. Seine Augenbrauen waren über zwei Zentimeter lang und stachen ebenso wie sein Kinn hervor. Er hatte die Absätze der Schuhe mit Stahl beschlagen lassen, sodass man ihn schon beim Kommen hörte, wie einen Nazikommandanten! Darüber hinaus sprach er durch zusammengebissene Zähne. Alle Jungs hatten eine unglaubliche Angst vor ihm, allerdings nahm er mich besonders ins Visier. Er hegte den Verdacht, dass die Jugendrevolution exakt in seinem Haus beginnen würde und ich ihr Rädelsführer wäre.

      Charterhouse wurde 1611 gegründet und hatte sich vermutlich seit der Ära eines Charles Dickens nicht mehr weiterentwickelt. Die Jungs wurden einem der elf Häuser zugeteilt, von denen