Geschichte. Damien Enright konnte sich in Barcelona seiner Verhaftung entziehen und tauchte anschließend auf Ibiza unter. Sein Aufenthalt entwickelte sich zum Albtraum, als sich alle von ihm abwandten und ihm das Gefühl vermittelten, allmählich verrückt zu werden. Ein einziger wahrer Freund, ein Künstler, Architekt und Flötist, blieb an seiner Seite und half ihm, wieder von der Insel zu verschwinden, nachdem Enright überzeugt war, dass sie sich ganz und gar gegen ihn verschworen hatte.
Im Norden der Insel, in Sant Carles, hatte der Landwirt Joan Mari bereits 1954 eine Bar eröffnet, aus der sich später das weltberühmte Las Dalias entwickeln sollte, ein Restaurant mit Hippie-Markt, der am Valentinstag 1985 von Joans Sohn Juanito ins Leben gerufen wurde. Den ersten Hippie-Markt der Insel gab es allerdings schon seit den Siebzigern; er lag in Punta Arabí an der Ostküste.
„Meine Mutter und ich verkauften in Punta Arabí Sachen, die wir in Afrika gesammelt hatten“, erzählt Gerlach. „Nach und nach wanderten wir alle nach Las Dalias ab, weil die Leute dort auch etwas essen und trinken konnten, und anschließend gingen wir in die Bar Anita’s im Dorf Sant Carles, das voller Hippies war. Sie machen dort noch immer diesen großartigen hierbas aus Anis und sieben Inselkräutern. Die Kräuter werden wirklich vor Ort gesammelt und mit Alkohol versetzt, dann in Flaschen gefüllt und gekühlt, und nach einigen Monaten sorgen die Kräuter für die gelbe Farbe.“ Hierbas ist noch immer der beliebteste Kräuterlikör der Insel, der neben Absinth und dem mit Thymian hergestellten Frigola in den meisten Bars erhältlich ist.
1960 traf Clive Crocker, der ein Jahr zuvor auf die Insel gekommen war, am Platja d’en Bossa die Tochter einer Nachbarin. Die junge Deutsche war Model und Schauspielerin, hatte gerade eine Rolle in Fellinis bahnbrechendem Film La Dolce Vita ergattert, gehörte später zum Kreis um Andy Warhol, der aus Christa Päffgen Nico machte, die legendenumwobene Sängerin von Velvet Underground, bevor sie eine vielbeachtete Solokünstlerin wurde. Sie beeindruckte ihn sofort: Der junge Crocker stand in Flammen. Nico betrat seine Bar in einem Sommer, der von Jazz-Nächten, Schach, ausländischen Künstlern und Intellektuellen beherrscht wurde, und für die beiden begann eine amouröse Freundschaft, die jahrelang Bestand haben sollte.
Nico war fasziniert von einigen Jazz-Musikern, die im Hafenviertel lebten, und sie fügte sich sofort in die Szene im Domino ein. Die Blues-Legende Victor Bronx ermutigte sie zu singen, und der Fotograf Herbert Tobias gab ihr den Namen Nico (nach seiner großen Liebe, dem Regisseur Nico Papatakis), als er sie während eines Urlaubs auf Ibiza kennenlernte. Nicos lebenslange Liebesaffäre mit der Insel hatte begonnen. Die Beziehung zu Clive Crocker war intensiv; sie biss ihn einmal so heftig, dass er davon eine Narbe zurückbehielt, und am nächsten Tag schickte sie Rosen ins Domino, um sich bei ihm zu entschuldigen. Sie bekam einen Sohn mit dem französischen Schauspieler Alain Delon, Ari, der allerdings meist bei Delons Mutter in Frankreich lebte, manchmal auch bei Nicos Mutter in ihrem Haus in Figueretes.
In den langen Jahren, in denen Nico durch die Welt zog und später versuchte, ihre Abhängigkeit von Marihuana und Heroin zu überwinden, suchte sie immer wieder Zuflucht auf Ibiza, wo sie einfach nur sie selbst sein konnte. Zwischen den Aufnahmen und Tourneen mit The Velvet Underground oder auch solo, mit Liebhabern wie dem französischen Regisseur Philippe Garrel oder mit Ari jagte sie in ihren spanischen Lederstiefeln und dem wallenden dunklen Cape auf dem Land und am Hafen dem Licht nach.
Das Domino ging binnen weniger Jahre pleite – die vielen unbezahlten Rechnungen der ausländischen Stammgäste ließen es schlicht nicht zu, die Bar wirtschaftlich zu betreiben. Clive Crocker eröffnete daraufhin ein paar Häuser weiter das El Pórtico, das heutige La Pirata. Und wieder türmten sich hohe Schulden auf, weil die mittellose Klientel nicht zahlte. Crockers nächste Bar hieß schlicht Clive’s. In den Neunzigern wurde daraus das bekannte The Rock, eine der besten Adressen zum Aufwärmen vor der eigentlichen Clubnacht, obwohl aus Respekt auch immer noch der Name Clive’s an der Tür zu lesen ist.
Anfang der Sechziger war Crocker in eine der mittelalterlichen Gassen von Dalt Vila gezogen, und in seiner Nachbarschaft wohnte ein seltsamer Herr aus Ungarn, der Elmyr de Hory hieß. De Hory war 1961 auf die Insel gekommen und hatte zunächst in La Falaise in einem der Häuser gelebt, die der Architekt Erwin Broner entworfen hatte. Der berüchtigte Kunstfälscher De Hory erreichte dunkle Berühmtheit, als Orson Welles mit F wie Fälschung seine Lebensgeschichte verfilmte. Zwar hatte es de Hory auf Ibiza nicht immer einfach, vor allem aufgrund der Machenschaften seines früheren Freundes und Spießgesellen Fernand Legros, der in seiner Abwesenheit in Horys Haus einbrach und sich dort gemütlich einrichtete; später kam man überein, dass beide ein Recht hatten, dort zu leben. Aber größtenteils genoss de Hory das Inselleben in vollen Zügen und stand lange im Mittelpunkt des Bohème-Zirkels von Ibiza-Stadt.
Er hielt mit seinem ungarischen Akzent, das Monokel ins Auge geklemmt und Cinzano schlürfend, in Bars wie dem La Tierra und Alhambra Hof. Jahrelang kam er mit seinen Kunstfälschungen durch. Erwin Broner war beispielsweise der Meinung, de Hory sei gar nicht talentiert genug, um die Kopien selbst angefertigt zu haben, und so schenkte man seinen Unschuldsbehauptungen lange Zeit Glauben. De Hory beging später auf Ibiza Selbstmord, nachdem er in Haft gekommen war und ihm die Ausweisung drohte, aber während seiner Zeit auf der Insel war er als legendärer Gastgeber bekannt, der viele Gesellschaftslöwen und –löwinnen in seinem Haus bewirtete, das malerisch auf einer Klippe gelegen war.
Zu diesen Gästen zählte auch Clifford Irving, der Autor von Der Fälscher, der in Orson Welles’ Film F wie Fälschung in einem Interview selbst auftritt. Die Beschreibung, die er in dem 1960 erschienenen Fake über Ibiza verfasste, beschreibt das Gesellschaftsleben auf der Insel: „Es gab Beatniks, Kiffer, Künstler, Autoren, pausierende Schauspieler, Werbestrategen, die aus New York abgehauen waren, ein paar kanadische Ex-Betrüger, die Anteile an einer Asbestfabrik verkauft hatten, die es gar nicht gab, und die in Montreal den Mounties nur um Haaresbreite entkommen waren, langhaarige Ehefrauen mit väterlosen Kindern, deutsche Grundstücksspekulanten, ein paar reiche Leute und wesentlich mehr arme und sogar einen mutmaßlichen Nazi-Kriegsverbrecher, der mit seinem Stiernacken, den Knopfaugen und seiner freundlichen Art gegenüber Kindern tatsächlich jedem Klischee entsprach. Man sprach sich generell nur mit Vornamen an. Falls die mehrfach vorkamen, wurden Spitznamen vergeben wie Gesuchter John und Neger-John, Hübscher Pat und Haariger Pat, Dicker George und Dänen-George, Eduardos Karen und Carls Karen. Elmyr war natürlich einzigartig – Mann, was für’n Typ!“
Wenige Jahre später initiierte Clifford Irving einen der größten Schwindel der Literaturgeschichte. Mittels einer Reihe gefälschter Briefe behauptete er, der geheimnisumwitterte Filmmagnat und Unternehmer Howard Hughes hätte ihm aufgetragen, seine Memoiren zu schreiben, und obwohl es sich lediglich um ein sorgfältig konstruiertes Lügengebäude handelte, gelang es ihm, das große amerikanische Verlagshaus McGraw Hill davon zu überzeugen und einen enorm großen Vorschuss einzustecken. Lasse Hallström verfilmte diese Betrugsgeschichte 2006 unter dem Titel Der große Bluff mit Richard Gere in der Rolle des Clifford Irving. In seiner Autobiografie The Hoax schrieb Irving: „Ibiza war mein Zuhause. Zum ersten Mal war ich 1953 dorthin gereist, um einen Sommer lang dort zu arbeiten, weil das Leben dort billig war und die Insel eine altehrwürdige Exotik und große Schönheit besaß.“
Orson Welles faszinierten vor allem die schlagzeilenträchtigen Aspekte rund um die Betrüger de Hory und Irving. Für F wie Fälschung, das die Geschichte des Kunstfälschers, seines Biografen und dessen späteren Howard-Hughes-Bluff erzählte, verwendete er Material, das sein Kameramann Francois Reichenbach auf Ibiza gedreht hatte. Es war der letzte Film, den Welles vor seinem Tod fertig stellte. Als de Hory später Selbstmord beging, deutete Clifford Irving sogar an, dass möglicherweise selbst diese Tat nur vorgeschoben gewesen sei.
In Welles’ Film war auch Nina van Pallandt zu sehen, die weibliche Hälfte des Gesangsduos Nina & Frederik. Obwohl sie mit ihrem Partner, dem Baron Frederik van Pallandt, verheiratet war und mit ihm auf Ibiza lebte, unterhielt Nina über lange Jahre eine Liebesbeziehung mit Clifford Irving, dessen Ehefrau, die Malerin Edith Sommers, ebenfalls auf der Insel ansässig war, was die Sache zusätzlich komplizierte. Nina und Frederik veranstalteten rauschende Partys und luden ganz Ibiza dazu ein. Sie gründeten zudem eine Wohltätigkeitsstiftung und sponserten die holländischen Designer The Fool alias Marijke Koger & Simon Posthuma, die mit diesem Geld nach London