Helen Donlon

Partyinsel Ibiza


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sich als schwerer Fehler: Er wurde am Strand erschossen. Sein Todeskampf dauerte zwei lange Tage, auch deshalb, weil die Truppen Villains Nachbarn unter Strafe verboten hatten, ihm zu helfen. Als schließlich feststand, dass er tot war, begruben ihn die Ibicencos mit der für sie so typischen Toleranz eingehüllt in eine französische Flagge.

      Doch nachdem die dunklen Zeiten des Bürgerkriegs vorüber waren, dauerte es nur wenige Jahre, und Ibiza verwandelte sich von einem entlegenen, melancholischen Eiland in ein faszinierendes, verführerisches Urlaubsziel. Die reisefreudige europäische Bohème, zumeist Künstler oder Außenseiter (und in vielen Fällen beides), begann sich in den Bars der Insel zu versammeln und ließ sich in und um Ibiza-Stadt, Dalt Vila und Figueretes nieder, aber auch in Fincas auf dem Lande. Diese weißgetünchten Bauernhäuser waren, verglichen mit dem mitteleuropäischen Preisniveau, billig zu mieten, zumal, wenn man den Mehrwert der warmen, sonnigen, ursprünglichen Umgebung mit einberechnete. Nach dem Migjorn und Montesol eröffneten schon bald weitere Bars rund um den Hafen, zum Beispiel das Clive’s, das der geheimnis­umwitterte Charmeur Clive Crocker führte, und das Domino, das sich schnell zum Sammelpunkt für Beatniks, Jazz-Freunde und Schwarzmarkthändler mauserte. Neben dem Montesol gab es auf der Vara de Rey von Ibiza-Stadt zudem die Bar Alhambra, und hinter den mittelalterlichen Mauern der Altstadt lag das Hotel El Corsario.

      Das El Corsario wurde von Emil Schillinger ins Leben gerufen, der bereits am Hafen eine Billigunterkunft namens El Delfin Verde führte. Schillinger war zwar ein ehemaliger Nazi, hatte aber die Anerkennung des Untergrunds gewonnen, als er dabei geholfen hatte, den flüchtigen jüdischen Kunsthändler Ernesto Ehrenfeld zu verstecken – ein Beispiel für die stillschweigende Bereitschaft auf der Insel, Immunität zu gewähren, wie sie sich auch in vielen anderen Geschichten findet. Nach dem Algerienkrieg fanden beispielsweise viele Exilanten der französischen Untergrundbewegung Organisation de l’Armée Secrète (OAS), die für den Erhalt Algeriens als Kolonie gekämpft hatten, auf der Insel Unterschlupf.

      El Corsario entwickelte sich schnell zu einem lebendigen Treffpunkt für die Grupo Ibiza ’59, eine Künstlergruppe, zu der herausragende Maler wie Erwin Bechtold und Egon Neubauer zählten, aber auch Architekten wie Josep Lluis Sert, der eng mit Le Corbusier und Erwin Broner zusammengearbeitet hatte. Errol Flynn stieg öfters im El Corsario ab, und über die Jahre genossen auch andere schlagzeilenträchtige große Namen das turbulente Leben und die Gemütlichkeit der dortigen Zimmer, unter anderem Aristoteles Onassis, Grace Kelly, Romy Schneider, Dean Acheson, Maximilian Schell, Walter Gropius, Fürst Rainier von Monaco oder die Musiker von Pink Floyd.

      Mitte der Sechziger eröffnete dann Alejandro Vallejo-Nágara, ein Einheimischer, der als erster echter Ibiza-Hippie galt, den Nachtclub-Vorläufer La Cueva de Alex Babá. Cannabis und Opium wurden auf der Insel ebenso konsumiert wie LSD. Tatsächlich stammten viele frühe Berichte über positiv (und auch nicht so positiv) erlebte LSD-Trips von Ibiza.

      Der irische Autor, Radio- und Fernsehjournalist Damien Enright lebte Anfang der 1960er-Jahre auf Ibiza und Formentera, bis sein Traum vom Paradies scheiterte, als seine Frau ihn mit einem anderen Mann betrog. Sein einst so idyllisches Leben geriet endgültig aus den Fugen, weil er immer wieder auf die falschen Freunde hereinfiel. Schließlich ließ er sich voller Begeisterung und Naivität in ein hochriskantes, internationales Drogengeschäft verwickeln, das für ihn fürchterlich schief ging, und so erzählen seine Memoiren von den Extremen, die man auf Ibiza erleben kann – von den höchsten Höhen und den tiefsten Tiefen. Sein Buch Dope In The Age Of Innocence beschreibt unter anderem die Szene rund um die Hafenbars von Ibiza-Stadt, den Überschwang und die beinahe religiöse Hingabe der Jazz-Fans an ihre Musik. Bill Hesse, ein amerikanischer Saxophonist, stand beispielsweise splitterfasernackt am Strand von Formentera und spielte dem Nachtwind leidenschaftlich auf seinem Instrument vor. Wie Enright berichtete, hatte er „Acid genommen. Er selbst drückte es so aus: Er hatte die höchste Macht gesehen, er hatte das Licht gesehen. Bill lebte für die Musik. Als ich aus London zurückkehrte und ihm erzählte, dass ich mir Coltranes A Love Supreme gekauft hatte, stand er am nächsten Morgen im Morgengrauen auf und fuhr mit dem Boot nach Ibiza hinüber, um die Platte in der Domino Bar zu hören. Abends kam er zu uns zurück, um mir davon zu erzählen. Er hatte geradezu Tränen in den Augen.“

      Die Domino Bar, deren Besitzer eine riesige Plattensammlung mit den Werken von Billie Holiday, Miles Davis, Chet Baker und allen anderen Jazz-Größen besaß, schloss um zwei Uhr früh, und danach wankten die Betrunkenen ziellos durchs Hafenviertel, schliefen ihren Rausch auf dem Bürgersteig vor der Bar aus oder saßen, hellwach durch Amphetamine, auf der Straße und redeten, bis im Morgengrauen die Fischkutter einliefen. Diese Stunden zwischen etwa zwei und neun Uhr morgens werden heute noch in der ibizenkischen Clubszene „la madrugada“ genannt – jene ersten Stunden des Morgens, die gleichzeitig noch die letzten Party­stunden des Vortages sind. 1963 jedoch lebten auf Ibiza insgesamt nur ungefähr 37.000 Menschen, und vermutlich waren selbst zwei Jahre später höchstens ein paar hundert bekannte ausländische Gesichter in der Stadt zu sehen.

      Auf der anderen Inselseite jedoch entwickelte sich die kleine Stadt Sant Antoni von einem ruhigen Fischerdorf zu einer lebendigen Touristenhochburg, in der nun auch eigens für den Geschmack der Kontinentaleuropäer neue Hotels gebaut wurden. Sant Antoni konnte mit seinen spektakulären Sonnenuntergängen und der ausgesprochen schönen Umgebung punkten und wurde daher unter Franco als Zentrum der touristischen Entwicklung gefördert. Dazu gehörte sogar der Bau einer Stierkampfarena – ein Konzept, das der katalanischen Kultur völlig fremd ist –, die später zu einer der ersten großen Rockarenen auf der Insel werden sollte, in der beispielsweise Bob Marley, Thin Lizzy oder Eric Clapton auftraten.

      Der Schriftsteller Albert Camus berichtete über die Hafencafés Mitte der Dreißiger, in denen er schrieb oder einfach dem Treiben draußen zusah: „Gegen fünf am Nachmittag schlendern die jungen Leute die Mole auf ganzer Länge entlang und wieder zurück; hier werden Ehen geschlossen und Arrangements für das ganze Leben getroffen. Es drängt sich der Gedanke auf, dass eine gewisse Erhabenheit darin liegt, sein Leben so zu beginnen, unter den Augen der ganzen Welt.“

      Der britische Reiseschriftsteller Norman Lewis verbrachte in den Fünfzigern einige Zeit auf Ibiza und schrieb später darüber: „Örtlichen Gerüchten zufolge entsorgten die Bauersfrauen unliebsame Ehemänner mittels Gift oder anderer Methoden – von den Fischerfrauen erzählte man sich das nicht, die waren in dieser Hinsicht ehrbarer. Eine Dorfschönheit, die in einem ein paar Kilometer entfernten Ort eine Bar führte, hatte ihren Gatten angeblich aus dem Weg geräumt, indem sie eine Stange Dynamit in den Brunnen warf, in dem ihr Mann arbeitete.“

      Aufgrund der Geschichte der Insel, die durch die ständigen Einwanderungen und Eroberungen von den verschiedensten Einflüssen geprägt war, entwickelten die Einheimischen im Laufe der Zeit große Toleranz gegenüber Ausländern und Gästen. Neue Gruppen ansiedlungswilliger internationaler Individuen wurden schnell akzeptiert, und die peluts waren schließlich ebenso inte­griert wie die Beatniks, Künstler, Durchreisenden, Aussteiger oder experimentelle Kosmonauten.

      Der britische Schauspieler Terry Thomas, in Film und Fernsehen vor allem auf aristokratische Schurkenrollen abonniert, wurde 1967 von seinem Kollegen Denholm Elliott zum Umzug nach Ibiza überredet. Thomas baute sich in den Bergen über Sant Carles an der Ostküste ein eigenes Haus, das heute noch im Besitz seines Sohnes und seiner Schwiegertochter ist und für Hochzeiten und andere Festlichkeiten gemietet werden kann. Bei einer Veranstaltung saß ich dort oben auf dem Berg eine Weile mit dem Regisseur Terry Gilliam zusammen, der sich allen Hürden und Fußangeln der ibizenkischen Bürokratie zum Trotz bereit erklärt hatte, als Schirmherr des Filmfestivals der Insel zu fungieren. „Mir kommt es so vor, als könnte man Ibiza nicht entfliehen“, seufzte er beinahe resigniert. „Sobald man auch nur das kleinste Interesse zeigt, wird man zum Gefangenen dieser Insel. Es ist, als habe man dem Gesang der Sirenen gelauscht.“

      „Sieh dir doch diesen Bes an … diese unanständige, ägyptische, an Pan erinnernde Figur mit ihrem Riesenschwanz. Er ist schon was Besonderes, denn er war sogar auf den römischen Münzen der Insel abgebildet. Mehr kann Ibiza nicht verlangen.“

      Lenny