Künstler, allesamt völlig mittellos.“
1958 nahm der Flughafen Es Codolar auf Ibiza seinen Betrieb auf, wobei zunächst nur Maschinen vom Festland dort landeten. Inzwischen war die Insel zum Anziehungspunkt für Musiker avanciert, die aus ganz Europa anreisten, um dort zu komponieren, inspiriert von der schönen Landschaft, den freigeistigen Menschen und dem hedonistischen Lebensstil. Während die Bäuerinnen noch ihre traditionellen Trachten trugen und sich streng verhüllten, spielten die Hippiemusiker am Strand von Figueretes Gitarre und badeten nackt, sobald sie das Gefühl hatten, dass die Polizisten gerade nicht hinschauten. Die zwei so unterschiedlichen Gruppen, die Einheimischen und die Zugereisten, beobachteten einander und begannen ganz allmählich, einander zu akzeptieren. Es entstand eine friedliche Koexistenz, die bis heute Bestand hat.
Beim Platja d’en Bossa, dem langen, goldenen Strand an der Ostküste ganz in der Nähe von Figueretes, hatte sich eine kleine holländische Enklave angesiedelt. Der Beatpoet Simon Vinkenoog war der Zeremonienmeister eines experimentellen Happenings, das „The Big Kick“ genannt wurde und bei dem Stechapfelblätter konsumiert wurden, deren psychedelische Wirkung Delirien auslöste. Der Autor Cees Nooteboom und die Schauspielerin Ingrid Valerius lebten in den Fünfzigern ebenfalls dort, und auch der Gegenkultur-Schriftsteller Jan Cremer, der in der heißen Sonne mit Lederjacke und Biker-Stiefeln von einer Bar zur anderen zog, war Teil dieser kleinen Gemeinde. Er lebte von 1961 bis 1963 auf Ibiza und schloss sich der Gruppe ’59 an, bevor er seinen halbfiktionalen Bestseller Ich, Jan Cremer auf der Insel verfasste.
Weitere illustre Mitglieder der holländischen Enklave waren Bart und Barbara Huges. Anfang der Sechziger hatte Bart auf Ibiza eine bahnbrechende Entdeckung gemacht: Mit einem Mann namens Titi hatte er so lange Kopfstand geübt, bis er herausfand, dass es einen Zusammenhang zwischen der Blutmenge im Gehirn und dem Beibehalten eines Rauschzustands gab. Das brachte ihn dazu, sein „drittes Auge“ permanent zu öffnen, indem er sich ein Loch in den Kopf bohrte. Auf diese Weise, erklärte er, konnte er für den Rest des Lebens einen ähnlich freien Blutfluss im Gehirn erreichen, wie man ihn zurzeit der Kindheit hat, und damit das persönliche Bewusstsein erhöhen. John Lennon überlegte, sich dieser so genannten Trepanation ebenfalls zu unterziehen, machte aber einen Rückzieher.
Die britische Adlige Amanda Feilding, die heute die Beckley Foundation leitet, eine Organisation, die sich der kritischen Untersuchung internationaler Drogenpolitik verschrieben hat, führte die Trepanation bei sich selbst durch: Die positiven Auswirkungen dieser Praxis, die sie bei Bart Huges wie auch bei ihrem damaligen Lebenspartner Joe Mellen hatte beobachten können, hatten sie überzeugt. Mellen hatte sich ebenfalls auf Huges’ Anregung hin trepaniert, und seine späteren Memoiren Bore Hole nahmen in ihrem Titel Bezug auf diese Operation. Bei der Weltkonferenz zum Rauschmittel Ayahuasca, die 2014 auf Ibiza stattfand, war Feilding, die sich stark für die Reform der Drogenpolitik weltweit engagiert, als Gastrednerin eingeladen. Ihr zufolge hatte sich auch Shiva, der hinduistische Gott der Bewusstseinsveränderung, einer Trepanation unterzogen. Dabei handelt es sich um eine medizinische Praxis, die seit Urzeiten ausgeführt wird – so wiesen beispielsweise auf einem Gräberfeld in Frankreich, das auf die Zeit von 6500 v. Chr. datiert wird, drei von 120 der gefundenen Schädel Trepanationslöcher auf.
Schon bald wurde Ibiza zum inoffiziellen Zentrum für Drogenexperimente im Mittelmeerraum. Huges verbarg sein frisch gebohrtes „drittes Auge“ unter seinem Haar. Er war auch einer der ersten, der mit der Information an die Öffentlichkeit ging, dass die amerikanische CIA zur kontrollierten Gehirnwäsche Experimente mit LSD durchführte. Er kaufte sein Acid in Amsterdam und riet jenen, die es nehmen wollten, vorher Zuckerwürfel in Zitronen zu tunken und sie vor dem Trip zu essen, weil sich schlechte Trips dadurch verhindern ließen, dass man regelmäßig Zucker zu sich nahm. Joe Mellen in Bore Hole: „Jeder, der Bart kennenlernte, merkte sofort, dass er wusste, wovon er sprach. Er stammte aus einer Arztfamilie und verfügte über solides medizinisches Wissen. Er gab niemals an oder versuchte die Leute mit medizinischem Fachjargon zu blenden. Wenn man ihn etwas fragte, gab er eine möglichst einfache Antwort. Was könnte man sich von einem Lehrer Besseres wünschen? Es ist eine Tatsache, dass ein Mensch mit niedrigem Blutzuckerspiegel leichter beeinflussbar ist, und daher haben die Worte eines Gurus in einer solchen Situation größeres Gewicht. Anschließend beten ihn seine Schäfchen an. Wenn man Zucker nimmt, ist das alles nicht nötig.“
Über die damalige Szene berichtet Monica Gerlach: „Damals eröffneten das Domino und das Clive’s, und es gab drei Restaurants am Hafen, in die wir regelmäßig gingen. Eine der Bars gehörte einem Ibicenco, der mit einer großen amerikanischen Limousine herumfuhr, die ziemlich großes Aufsehen erregte. Wir alle hingen am wunderschönen Strand Platja d’en Bossa ab, und in der Nähe gab es eine holländische Künstlerkolonie; die Schriftsteller kamen aus aller Herren Länder. Damals waren wir höchstens hundert Ausländer auf der Insel, von daher war, wenn es eine Party gab, jeder eingeladen.“ 1963 reiste die amerikanische Schriftstellerin Irma Kurtz für eine Woche auf die Insel und blieb ein Jahr, so fasziniert war sie von dem, was sie dort vorfand. Sie hatte sich schon eine Stunde nach ihrer Ankunft in die Insel verliebt.
Die Domino-Bar, die dem Deutschen Dieter Loerzer, dem Frankokanadier Alfons Bleau und dem Iren Clive Crocker gehörte, war das Zentrum der Jazz-Szene auf Ibiza: Der Laden verfügte über eine unvorstellbare Sammlung von Jazz-Platten, und die hier verkehrenden Ausländer wussten die breite Auswahl sehr zu schätzen, wenn sie dort bis spät in die Nacht an den Tischen saßen und sich mit ihren romantischen Verirrungen, finanziellen Manövern und existentiellen Verantwortungslosigkeiten herumschlugen. In seiner Autobiografie Dope In The Age Of Innocence berichtet der irische Schriftsteller Damien Enright davon, wie „in einer typischen tiefen Winternacht die Inselitis ausbricht. Eine Art von Unruhe, wie sie auch Gefängnisinsassen gelegentlich überkommt. In der Bar herrscht ein reges Kommen und Gehen, und nur wenige Gäste sind nüchtern. Manche sind zusätzlich noch aufgeputscht durch Benzedrin. Einige der Anwesenden sind seit Jahren nicht mehr von der Insel runtergekommen. Sie alle haben unbezahlte Rechnungen und können sich kein Fährticket leisten. Seit dem Sommer haben sich nur wenige Neuzugänge dazugesellt. Die meisten Paare, die hier aufgekreuzt sind, haben sich inzwischen getrennt.“ Diese Beschreibung trifft auch heute noch auf das Dasein der Ausländer im Winter zu und hätte gut aus dem Jahr 2014 stammen können, mal davon abgesehen, dass die musikalische Untermalung nicht aus den neusten Deep-House-Tracks oder Disco-Songs alter Schule bestand, wie Enright schrieb: „Jemand hat Mingus aufgelegt. A-ha.“
Zurzeit des Hippie-Trails entwickelte sich auch der auf Ibiza kreierte „Hippie Chic“ in der Mode. Mitte der Siebziger entstand die Boutique Azibi in Cala d’Hort, an dem herrlichen Strand, von dem aus man nach Es Vedrà hinüberblickt; zwei junge Amerikanerinnen schneiderten Kleider aus alten Seiden-Saris. Dann stießen Freunde dazu, die im Laden ihren selbstgefertigten Silberschmuck oder Bikinis verkauften, und dekoriert wurde das Geschäft mit afghanischen Teppichen. Die Boutique Azibi ist heute noch während der Sommermonate geöffnet. Am Strand von Atlantis ganz in der Nähe hatte sich ebenfalls eine Hippie-Kommune niedergelassen.
In Calle de la Virgen eröffneten Paula und Mopitz eine Trend-Boutique und verkauften dort Aufsehen erregende Kleider, die heute noch hohe Preise bei eBay erzielen. Die serbische „Prinzessin“ Smilja Constantinovic, angeblich die Geliebte des jugoslawischen Königs Peter II., folgte mit der Modeboutique Ad Lib, über deren erfrischend neue und schöne Kleidung aus meist schlicht weißen Stoffen und Spitze sogar die britische Vogue berichtete. Das Label setzt heute noch Zeichen in der Mode auf Ibiza.
Der britische Geiger Malcolm Tillis war der erste, der einen Laden in Ibiza-Stadt eröffnete, aber er musste die Insel verlassen, nachdem er einen aufrührerischen Zeitungsartikel geschrieben hatte, in dem er das Franco-Regime kritisierte. Er floh mit seiner Frau auf der Suche nach Bewusstseinserweiterung und Persönlichkeitsentwicklung nach Indien und veröffentlichte später ein Buch mit Interviews westlicher Sinnsucher, die ihre Erfüllung in den spirituellen fernöstlichen Praktiken gefunden hatten. „Er machte Schmetterlingskleider mit Batikmustern“, erinnert sich Monica Gerlach, „die wir alle trugen. Er war ein richtiger Typ.“
1970 öffnete das Double Duck seine Türen, ein vegetarisches Restaurant, geleitet von Nancy Mehagian, einer Amerikanerin armenischer Abstammung. Gerlach zufolge war sie „ein echter Hippie, und sie fuhr zusammen mit ihrem Partner