Matthew Collin

Rave On


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von „Digital Reach“ und „Mediensynergien“. Vor allem in den USA zog der Aufstieg der EDM Unterhaltungsfirmen an, die wenig persönliche Erfahrung in diese speziellen Projekte einbringen konnten. Für sie war dies alles nur eine weitere Form von Showbusiness. Sie wollten Raves sogar in „Festivals“ umbenennen, um die Rolle einer der größten Antriebe der Szene, der Drogen, zu verschleiern.

      Allerdings konnten sie damit niemanden wirklich hinters Licht führen – außer vielleicht die allernaivsten Mitarbeiter diverser Zulassungsstellen. Während die Kultur zwar per se nicht länger über Ecstasy definiert wurde, wie das noch während der frühen Jahre der Rave-Szene der Fall gewesen war, und die Musik auch außerhalb der Nachtclubs ein lebendiges Eigenleben entwickelte, gehörte es für viele Leute weiterhin unbedingt dazu, sich mit illegalen Narkotika zuzudröhnen. Mitte der Achtzigerjahre wussten nur exklusive Kreise von Eingeweihten und psychedelischen Grenzgängern über Ecstasy Bescheid, doch 2013 soll es laut einer Schätzung der UNO weltweit bereits bis zu 28 Millionen Konsumenten gegeben haben, die von ausgefuchsten Herstellern und Vertreibern, welche auf die spätabendlichen Kräfte des Marktes zu reagieren wussten, beliefert wurden. MDMA plus EDM gleich wonniges Hochgefühl galt als Formel, die schon 1988 funktioniert hatte – und manchmal wirkte es so, als wäre seit damals nichts Besseres mehr nachgekommen.

      Wenn ich noch einmal die alten Ausschnitte aus der Presse, Flyer und Fanzines, auf die ich schon für meine Arbeit an Im Rausch der Sinne zurückgegriffen habe, durchwühle, überrascht mich am meisten ihre charmant-utopische Naivität – ein unverfälschter Glaube daran, dass dies die bestmögliche aller vorstellbaren Welten darstellte, eine Kultur der ethnischen, sexuellen und gesellschaftlichen Toleranz mitsamt einer verschwommenen, ungenau definierten, jedoch letztlich liberal-progressiven politischen Ausrichtung. Amerikanische Raver der alten Schule hatten sogar ein Akronym dafür, PLUR: „Peace, Love, Unity and Respect“. Zwar war diese Einstellung offensichtlich in großem Ausmaß von Ecstasy beeinflusst, aber deshalb nicht weniger ehrlich gemeint.

      In einem fotokopierten Fanzine, das sich an den inneren Kreis in Danny und Jenni Ramplings Club Shoom richtete und Anfang 1988 erschien, als sich die Anzahl der Londoner Acid-House-Anhänger noch im dreistelligen Bereich bewegt haben muss, vermitteln die herzlichen Worte einen rührend unschuldigen Eindruck: „Das Beste, was Shoom bietet, ist die Freiheit, in der wir ganz wir selbst sein können“, kommentiert da jemand. „Shoom war nie bloß ein Club, nein, es ist viel mehr wie eine glückliche Familie, in der jeder für den anderen da ist“, heißt es da.4 Dieselbe verzückte Rhetorik findet sich auch auf Bulletinbords aus der Frühphase der amerikanischen Rave-Szene, in deutschen Fanzines, die ungefähr zur selben Zeit erschienen, und vermutlich auch andernorts.

      Die ursprüngliche Berichterstattung der Massenmedien über die britische Rave-Szene, obwohl in erster Linie kritisch, wirkte ähnlich naiv. Es herrschte blankes Erstaunen angesichts des Aufkommens dieser „sinistren Modeerscheinung mitsamt ihrer Liebesdrogen“, wie die britische Zeitung Daily Express 1989 schrieb.5 „Acid House ist das bizarrste Phänomen des Jahrzehnts“, erklärte das Revolverblatt Daily Mirror. Eine fieberhafte, moralische Panik griff um sich, während sich Reporter auf die Fersen von „Acid House Mr. Big“, wie es The Sun ausdrückte, hefteten: dem Mastermind hinter der jeweils letzten „schlimmen Ecstasy-Nacht“, in der „schwitzende Körper zu einem bewusstseinsverändernden Beat wirbeln“.7

      Nachdem die britische Premierministerin Margaret Thatcher 1989 von einem Abgeordneten persönlich über die Rave-Bedrohung unterrichtet worden war, verlangte sie zu wissen, welche Mittel der Polizei zur Verfügung stünden, um diesem Treiben einen Riegel vorzuschieben. „Wenn es sich dabei um eine neue ‚Mode‘ handelt, müssen wir darauf vorbereitet sein und bestenfalls unterbinden, dass solche Dinge überhaupt aufkommen“, schrieb Thatcher als Reaktion auf den Brief. Die betreffende Notiz befand sich unter einer Reihe von als geheim eingestuften britischen Regierungsdokumenten zum Thema Acid House, die erst fast drei Jahrzehnte später freigegeben wurden.8

      Das hört sich heute alles eher kurios an und die meisten dieser Reaktionen muten aufgrund ihrer mangelnden Sachkundigkeit richtiggehend skurril an. Hierbei handelte es sich schließlich um etwas, das aus dem Bedürfnis nach gemeinschaftlicher Transzendenz und Glückseligkeit entstanden war – und ganz sicher nicht um ein ruchloses Komplott, ersonnen von einem kriminellen Genie! Und nur sehr wenige der vielen Versuche, diese Sache zu „unterbinden“, sollten in den Folgejahren von Erfolg gekrönt sein.

      Die frühe Rave-Szene wurde außerdem als kurzlebige Kuriosität wahrgenommen, als ein flüchtiger Augenblick jugendlicher Exzentrizität. Schon bald würde diese Modeerscheinung der Vergangenheit angehören … Als ich Anfang der Neunzigerjahre mit Im Rausch der Sinne an zahlreiche britische Verleger herantrat, bestanden etliche von ihnen darauf, dass Rave doch schon längst tot und von Nirvana und Grunge abgelöst worden wäre. Rückblickend wirkt das lächerlich, da sich heute praktisch alle Epochen und Musikstile gleichzeitig großer Beliebtheit erfreuen und im Internet auf Endlosschleife am Leben erhalten werden. Vielmehr ist Electronic Dance Music längst seiner subterrestrischen Herkunft entwachsen und zu einer weltweiten Bewegung geworden, die es in Sachen Einfluss auf Sound und Form der Populärmusik locker mit Rock’n’Roll und Hip-Hop aufnehmen kann. Ein großer Anteil der Musik des frühen 21. Jahrhunderts – von Alternative Rock bis hin zu zuckersüßer Popmusik, von Radiohead bis Rihanna – wurde auf gewisse Art von den Herangehensweisen inspiriert, mit denen Frankie Knuckles und Konsorten in den Achtzigerjahren zu experimentieren begannen.

      Gleichzeitig hat sich im Verlauf der Jahre ein gigantischer Korpus an Material herausgebildet – ein profundes musikologisches Archiv, das einlädt, bestaunt, wiederbelebt, neu interpretiert oder im Bedarfsfall auch abgelehnt werden kann. Historische House- und Techno-Scheiben, erschienen auf obskuren Labels, haben inzwischen den Status von kultisch verehrten Artefakten erlangt, die heute zuweilen um vieles mehr wert sind als seinerzeit, als sie in hastigen Pressungen von 500 Stück und ohne Hintergedanken bezüglich ihrer späteren geschichtlichen Bedeutung veröffentlicht wurden. Auch klassische Acid-House-Club-Flyer und -Plakate sind mittlerweile zu Sammlerstücken avanciert, die entweder in Ehren gehalten werden oder für bare Münze ihre Besitzer wechseln, während Szene-Veteranen mittleren Alters sich auf Online-Video-Plattformen in den Kommentaren unter Old-School-Dance-Tracks wehmütig ihrer wilden Clubbing-Zeiten entsinnen und Einblicke gewähren, die unglaublich ergreifend wirken, da die Emotionen, die sich dahinter verbergen, so unverfälscht sind. So schrieb ein Mann unter einem praktisch in Vergessenheit geratenen Rave-Track von 1989: „Wir hatten alles … Ich kann immer noch nicht verstehen, wo das alles hin ist …“

      Rave-Nostalgie hat sich zu einer lukrativen Angelegenheit entwickelt – und damit meine ich nicht nur die Revival-Partys unter Mottos wie „Back to 1988“, „Back to 1991“ oder „Back to 1995“, die bereits kurz nach Verstreichen der betreffenden Jahreszahlen in Großbritannien Fuß fassen konnten. Produzenten wie Jeff Mills und Derrick May begannen, ihre alten Klassiker mithilfe von Sinfonieorchestern in großen Konzerthallen zu inszenieren. Viel weiter konnte man sich in Bezug auf die Location gar nicht von einer dreckigen Lagerhalle entfernen. Gleichzeitig folgten britische Clubs wie das Haçienda oder Cream ihrem Beispiel und veranstalteten Events mit orchestralen Neubearbeitungen von Dancefloor-Hits aus den Achtziger- und Neunzigerjahren. Das mit Acid House verbundene Hochgefühl – so intensiv, aber, wie unsere Jugend, ebenso flüchtig – war ganz offenkundig etwas, das viele Leute nicht loslassen wollten oder konnten. Schließlich strotzte es nur so vor Bedeutung und Staunen.

      Doch die bedeutendste Entwicklung war die Transformation einer Vielzahl von lokalen Szenen zu einer wahrhaft globalen Kultur. Als ich Mitte der Achtzigerjahre zum ersten Mal hörte, wie ein DJ namens Graeme Park diese frühen House-, Techno- und Garage-Tracks aus Chicago, Detroit und New York in einem kleinen verschwitzten Nachtclub mit schwarzen Wänden namens The Garage in meiner Heimatstadt Nottingham auflegte, schien es doch eher unwahrscheinlich, dass ähnliche Platten zur exakt gleichen Zeit in ähnlichen Clubs auch in Moskau, Johannesburg, Dubai oder Rio auf den Plattentellern zirkulierten. 30 Jahre später gilt so etwas als normal.

      Als unsere Kultur in den Jahren vor der allgegenwärtigen Internet-Präsenz begann, sich auf der ganzen Welt auszubreiten, war sie – zumindest in ihrem Anfangsstadium – vor allem ein DIY-Movement. Dies wurde von enthusiastischen