Matthew Collin

Rave On


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die Auskunft über die glorreiche musikalische Vergangenheit der Stadt geben, fand man im Detroit Historical Museum nun immerhin auch einen Schaukasten, der Auskunft über die Pioniere des Techno gab. Ein Foto von Derrick May hing – irgendwie unpassend – neben einem der jungen Madonna. Vielleicht hätten May, Atkins und Saunderson, die Gründerväter des Genres, stattdessen Einzug in die „Galerie der Innovation“ halten und neben Henry Ford und Berry Gordy vorgestellt werden sollen.

      Die Geschichte des Techno wurde im Rahmen einer selbstfinanzierten und liebevoll betreuten Ausstellung namens Exhibit: 3000 weitaus besser wiedergegeben. Sie befand sich im Erdgeschoss eines ehemaligen Wäschereigewerkschaftsgebäudes, das nun als Geschäftszentrale von Underground Resistance und Submerge Records diente und sich nur einen kurzen Fußmarsch vom Motown-Museum entfernt befand.

      Mike Banks, selbst in seinen späten Vierzigern noch schlank und muskulös, gekleidet in ein Khaki-T-Shirt und Arbeiterjeans samt Werkzeugen, die von seinem Gürtel baumeln, und einem Pinsel in der Gesäßtasche, öffnete mir die Tür, nachdem ich geklingelt hatte. „Komm mit, du musst dir diesen Shit ansehen“, drängte er mich mit seiner unnachgiebigen Stimme.

      John Collins, ein erfahrener Detroiter DJ, der einst in den Achtzigerjahren, noch vor dem Aufkommen von Techno, House und Disco im Detroiter Club Cheeks aufgelegt hatte und später ein Mitglied der UR-Crew wurde, führte mich herum. „Das Museum war notwendig. Es ist wichtig“, erklärte mir Collins. „Es ist wichtiger als je zuvor, da die Schlacht noch nicht gewonnen ist. Wir haben immer noch einen Teil des Weges vor uns. Manche Leute wissen nicht einmal, dass Techno von Schwarzen erfunden wurde.“

      In der Galerie befanden sich nicht nur Fotos der Pioniere des Techno, sondern auch von anderen Helden – Bruce Lee, Geronimo, Sun Tsu, den Tuskegee Airmen aus dem Zweiten Weltkrieg, Public Enemy sowie Nichelle Nichols, die in der originalen Star-Trek-Serie die Kommunikationsoffizierin der USS Enterprise Nyota Uhura spielte. Damit positionierten sich UR fest im geschichtlichen Kontinuum progressiver schwarzer Kulturpolitik. Die Bildunterschrift eines Fotos erklärte Detroit zu einer „Stadt der Freaks und Kämpfer“. Doch das zentrale Motiv des in den alten Fotos, Plattenhüllen, Gemälden, Zeitungsausschnitten und alten Roland-Drumcomputern dargelegten Narrativs, sorgfältig hinter Glas entlang der Wände ausgestellt, bildeten mit Atkins, May und Saunderson jene drei jungen schwarzen Männer, die sich in den Achtzigerjahren an der Highschool in Belleville kennengelernt hatten, einer manierlichen, überwiegend weißen Kleinstadt am Huron River, etwa 50 Kilometer westlich von Detroit.

      Detroits erste Proto-Techno-Platten waren schon 1981 erschienen – „Sharevari“ von A Number of Names und „Alleys of Your Mind“ von Cybotron, einem Duo bestehend aus dem jungen, von Kraftwerk besessenen Atkins und einem Vietnamkrieg-Veteranen und Synthesizer-Enthusiasten namens Rik Davis, der sich selbst 3070 nannte. Cybotron streckten ihre Fühler in Richtung einer neuartigen, post-elektronischen Tanzmusik aus: „Das war richtig Punk. Zuerst spielst du und dann erst lernst du, was du da gespielt hast“, erklärte Davis einmal.3

      Atkins und May etablierten außerdem ihre eigene DJ-Crew Deep Space, deren Geheimwaffe ein Roland TR-909 war, mit dem sie ihre Mixe aufpeppten. 1985, nach Cybotrons größtem Hit, dem sachte dahingleitenden Cold-Wave-Electro-Track „Clear“, stieg Atkins aus der Band aus und begann unter dem Pseudonym Model 500 allein aufzunehmen. Alle drei gründeten ihre jeweils eigene Plattenfirma – Metroplex (Atkins), Transmat (May) und KMS (Saunderson) –, um ihre Musik ganz autonom zu veröffentlichen. Zusammen mit ihrem Freund Eddie „Flashin“ Fowlkes wurden die sogenannten „Belleville Three“ zu den Urhebern des Techno als eigenständigem Genre, das parallel zum Aufkommen von House in Detroit entstand. Obwohl sie einen klaren Plan besaßen, was für einen Sound sie fabrizieren wollten, hatten sie nicht die geringste Vorstellung, welche Auswirkung ebendieser letztlich erzielen würde.

      May firmierte unter den Künstlernamen Rhythim is Rhythim und Mayday, während sich Saunderson gleich ein ganzes Repertoire an Pseudonymen zulegte –

      darunter etwa Reese, Kreem, Tronik House und E-Dancer – und gleichzeitig auch noch zum musikalischen Mastermind des international erfolgreichen Duos Inner City avancierte. Die Belleville Three ließen sich von Kraftwerk, dem Yellow Magic Orchestra, europäischem Electro-Pop und Italo-Disco beeinflussen, fanden aber auch Inspiration bei Parliament-Funkadelic und den von Synthie geprägten Post-Disco-Club-Tracks, die Labels wie Prelude veröffentlichten. Das Überraschungselement lieferte die allgegenwärtige Andersartigkeit Detroits, wo sie sich alle im selben Block in der Gratiot Street im Viertel Eastern Market ihre Studios einrichteten. Nicht umsonst sollte dieser Straßenabschnitt eines Tages liebevoll „Techno Boulevard“ genannt werden. „Ich reagiere einfach auf meine Umgebung“, erklärte mir May bei unserem ersten Treffen 1988. „Die Leute, die Intensität, die Paranoia – all die Dinge, die Detroit zu dem machen, was es ist.“4

      Einen weiteren entscheidenden Einfluss stellte das Detroiter Radio dar – vor allem die idiosynkratischen Übertragungen eines Charles Johnson, auch bekannt als Electrifying Mojo, der für die Stadt eine ähnlich inspirierende Rolle spielte wie der BBC-Radiomoderator John Peel in Großbritannien. Ab 1977 setzte sich The Electrifying Mojo in seinen Shows über sämtliche ethnischen Konventionen des US-Radios hinweg, die er später sogar mit Apartheid verglich.5 Seine Ansagen waren oft lyrisch-soziopolitische Monologe oder Homilien, in denen er Anstand und Toleranz predigte. Zu seinen musikalischen Favoriten zählten Outsider wie Prince, Parliament, die B-52’s sowie Kraftwerk, deren Album Computer World er nach dessen Veröffentlichung 1981 gar nicht mehr vom Plattenteller nehmen wollte. Eines seiner Zitate bekam im Underground-Resistance-Museum einen Ehrenplatz: „Der Preis, den man für die Freiheit bezahlen muss, ist sehr kostspielig. Wenn du Leidenschaft empfindest, wird dies dein Opfer ausgleichen.“

      Die jungen Männer, die den Detroit Techno aus der Taufe heben würden, zählten alle zu seinen Stammhörern, und als sie schließlich zu DJs und Produzenten wurden, begann Mojo, ihre frühen Mixe zu spielen. Laut May hätte es ohne den Radiomann das, was heute als Detroit Techno bekannt ist, vielleicht gar nicht gegeben: „Er war ein Lehrer, eine Inspiration, ein Visionär. Er zeigte uns, dass es auch anders ging.“

      Ungefähr zur gleichen Zeit in den Achtzigerjahren entwickelte ein junger Jeff Mills alias The Wizard im Lokalradio seinen wirren, von schnellen Übergängen geprägten DJ-Stil. Ab 1987 konnte die Detroiter Hörerschaft auch die Radioshow Fast Forward empfangen, in der Techno ebenso wie Electronic Body Music von Bands wie Front 242 und Skinny Puppy, Acid House, belgischer New Beat sowie britischer Indie-Dance über den Äther ging. Moderiert wurde die Sendung von Alan Oldham, der außerdem für das ikonische Artwork im Graphic-Novel-Stil verantwortlich zeichnete, das die Veröffentlichungen vieler Techno-Labels der Stadt zierte. Zudem sollte er unter dem Pseudonym T-1000 auch als Underground-Resistance-DJ in Erscheinung treten.

      So wie The Electrifying Mojo zeigten die Detroiter Techno-Pioniere wenig Respekt vor den traditionellen ethnischen Grenzen der amerikanischen Popkultur. „Ich erinnere mich an einen Interviewer, der mich fragte, was all dies inspiriert hätte. Ich erwähnte dann Gruppen wie Ultravox und Visage. Er war ganz perplex, dass ich wusste, wer Midge Ure, Steve Strange und Gary Numan waren. Als ich ihm erklärte, welch hohen Stellenwert Depeche Mode in der hiesigen schwarzen Community genossen, war er richtig schockiert! Aber für uns war das ganz normal“, berichtet May. „Wir wussten ja nicht, dass wir nicht auf diesen Shit abfahren durften. Niemand hatte uns wissen lassen, dass wir nicht zuerst George Clinton abfeiern, dann den Hebel umlegen und Visage hören konnten. Keiner sagte: ‚Du darfst dir nicht „Fade to Grey“ anhören, du Motherfucker.‘ Wir wussten ja nicht, dass wir uns nicht die Cocteau Twins, Echo & the Bunnymen oder ‚Bela Lugosi’s Dead‘ von Bauhaus anhören durften.“

      Auch Kraftwerk hatten ihren Platz im UR-Museum: Ihr Album Man-Machine (deutscher Titel: Menschmaschine) war neben einer Platte von Funkadelic platziert. Der Aufstieg des Techno sowie die stetigen Ehrerbietungen, die ihnen Atkins, May und Saunderson erwiesen, festigte den Ruf der Deutschen als Innovatoren. Die nahmen das dankbar zur Kenntnis. „Ralf Hütter saß vor zehn Jahren genau hier, wo wir jetzt sitzen, und bedankte sich bei mir“, erinnerte sich May, als wir uns in seinem Studio unterhielten.

      Hütter berichtete ebenfalls emotional von seinen Treffen mit May und Atkins in Detroit sowie der Bewunderung