dystopischen Sci-Fi-Film Robocop gezeigt wurde, der damals rund um Detroit gedreht wurde. „Wenn du einen Blick auf die Achtziger wirfst, die Zeit, in der Techno aufkam, dann waren sie geprägt von Aids und von Crack, das seinen Weg in die Viertel fand. Es herrschte Rezession und die Kriminalitätsrate war so hoch wie nie. Ich kann mich sogar an eine Nachrichtenreportage erinnern, in der es hieß, dass in der Zukunft der durchschnittliche schwarze Mann in der Stadt keine 24 Jahre alt werden würde“, erzählt Harris. Techno, so meint er, sei ein Versuch gewesen, sich ein anderes potenzielles Szenario herbeizuträumen. „Statt alles als gegeben hinzunehmen, malten sich diese Typen eine ganz andere Zukunft für sich aus. Statt erschossen, drogenabhängig oder zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden, machten sie diese großartige Musik und bereisten die Welt. Sie haben somit inmitten all dieser Negativität praktisch ihre eigene Zukunft ersonnen. Manchmal geschah das bewusst, manchmal unterbewusst, aber diese Jungs taten genau das Gegenteil von dem, was von ihnen erwartet worden war. Sie schufen sich ihre eigene Zukunft – und das in der angeblich übelsten Stadt des Landes.“
Sich einen Weg nach draußen träumen … Ich erinnerte mich an etwas, das Juan Atkins 1988 mir bei unserem Interview gesagt hatte. „Um das neue Detroit aufzubauen, müssen wir das alte Detroit niederreißen“, versicherte er mir. „Es ist so leicht, in dieser Stadt vom Weg abzukommen. Es ist so leicht, einen jungen schwarzen Mann zum Drogenkonsum und zu kriminellen Handlungen zu verführen. Hier gibt es ja sonst nichts zu tun. Man kann nirgendwo hingehen. Die Szene ist tot. Deshalb klingt unser Zeug auch so, wie es das nun einmal tut.“10
Atkins hat von Techno oft als eine Art alternativer Realität gesprochen – einem Portal eines imaginieren Reiches der Freiheit. Doch 1988 sagte er auch, er wäre der Ansicht, dass es notwendig sei, die Geschichte auszulöschen, um die Zukunft erschaffen zu können. „Wir beabsichtigen, alles zurückzuweisen, was uns an die Vergangenheit erinnert“, insistierte er. „Wir setzen uns nicht hin und sagen, dass wir möglichst schräge Musik machen wollen. Sie ist einfach ein Resultat der Umstände. Detroit ist eine postindustrielle Stadt. Die Industrie stellt den Betrieb ein und die Technologie rückt in den Vordergrund. Die Stadt ist ausgelaugt und unsere Musik erhebt sich wie ein Phönix aus der Asche der zerbröckelnden Industrienation.“11
Man kann es sich kaum mehr vorstellen, nun da Techno rund um den Erdball quasi allgegenwärtig ist und die Geräuschkulisse von Rolands 808- und 909-Modellen so vertraut geworden ist wie ein auf einer Gibson Les Paul angeschlagener Powerchord, wie schrecklich fremd und unglaublich radikal dieser Sound klang, als er auf den Labels von May, Atkins und Saunderson – Transmat, Metroplex und KMS respektive – zum ersten Mal unters Volk gebracht wurde. So wie die House- und Acid-Tracks, die ungefähr zur gleichen Zeit aus Chicago kamen, besaß er eine fesselnde Simplizität und transzendente Intensität, die einfach spannend war. Wie der Produzent Stacey Pullen, ein Vertreter der zweiten Detroiter Welle, vermutet, verfügten diese frühen Aufnahmen über die eigentümliche Fähigkeit, dem Verstand Räume zu eröffnen und den Hörer in esoterische Sphären zu entführen. „Sie ließen mich Dinge anders begreifen. Wie wir als Menschen sind und für welchen Weg wir uns entscheiden sollen.“12
Inspiriert oder direkt angezogen von den Belleville Three und Fowlkes betrat rasch eine zweite Generation die Bildfläche. Dazu zählten Leute wie Mays begnadeter Schützling Carl Craig, Mike Banks, Jeff Mills und Robert Hood von Underground Resistance sowie die Gebrüder Lenny und Lawrence Burden und deren Band Octave One. Von der anderen Seite des Flusses, aus Kanada, stießen Richie Hawtin und John Acquaviva dazu, die Plus 8 Records betrieben und Platten des Detroiter Newcomers Kenny Larkin veröffentlichten.
Das war schon eine beachtliche Ansammlung von Talent innerhalb einer so kurzen Zeitspanne, mit einem künstlerischen Elan ausgestattet, der sich oft im Design ihrer 12-Inch-Vinyl-Veröffentlichungen widerspiegelte. Ihre Anziehungskraft war faszinierend – als ob wir Übertragungen aus einem Paralleluniversum empfingen, wie ich einst, nachdem ich einen Stapel Platten in der Stadt erstanden hatte, staunend feststellte: „Oft verbergen sich in der Auslaufrille Botschaften der Künstler: ‚Gönn dir einen Trip zu einem höheren Bewusstseinszustand‘, ‚Die Bedürfnisse Vieler sind wichtiger als die Bedürfnisse Weniger oder eines Einzigen‘ oder ‚Glaubst du an Hexen?‘ Manche muss man verwirrenderweise von innen nach außen abspielen. Andere sind mit selbstgezeichneten Tiefseetauchern, Astronauten und abgefahrenen Grafiken übersät. Wiederum andere weisen überhaupt keine Informationen auf, nur ein schwarzes Label in einer schwarzen Tüte oder stahlblaues Vinyl in weißer Schrumpffolie.“13
Doch mit Anbruch der Neunziger hatten die Pioniere des Techno bereits die Entscheidungsgewalt über das Genre, das sie erschaffen hatten, verloren. Musiker auf der anderen Seite des Atlantiks ließen sich zwar gerne von ihnen inspirieren, schlugen aber ihre jeweils eigenen Richtungen ein. Dies führte zu einiger Unzufriedenheit in Detroit. Es fühlte sich an, als ob schon wieder schwarze Musik von weißen Europäern für deren Zwecke ausgebeutet würde. Angetrieben vom scheinbar unstillbaren Verlangen nach neuen Aufnahmen aus der rasch wachsenden Rave-Szene dieser Tage, entwickelten sich die Briten, Deutschen, Belgier und Niederländer zu fleißigen Techno-Produzenten. Ein paar von ihnen wie 808 State, A Guy Called Gerald, Baby Ford und LFO errangen den Respekt ihrer Detroiter Kollegen. Andere jedoch galten als käufliche Trittbrettfahrer, die außerdem, was noch viel schlimmer war, über keinerlei Soul oder Groove verfügten. „Es ist einfach nur verfälschte Musik“, beklagte etwa Derrick May. „Das ist einfach nicht funky.“
Der Umstand, dass die europäische Rave-Szene von Ecstasy befeuert wurde, verstörte ebenfalls so manchen Detroiter Musiker. Die meisten von ihnen ließen sich nicht auf Chemikalien ein und hatten kein Verständnis für Leute, die das taten, obwohl diese frühen E-Konsumenten jahrzehntelang ihre treuesten Fans werden sollten. Für die Detroiter waren Drogen gleichbedeutend mit Crack, jenem mörderischen Gift, das dazu beigetragen hatte, Armageddon über ihre Stadt zu bringen. „Es war richtig befremdlich, all diese Leute auf Drogen zu sehen“, berichtete Lawrence Burden von Octave One über seine Erfahrung bei einem riesigen Rave, der Anfang der Neunziger in Deutschland stattfand. „Mich sprach das weder an, noch konnte ich verstehen, was da vor sich ging. Es machte mich ganz irre. Die Nacht der lebenden Toten. Ich dachte mir nur: ‚Sieh dir bloß diese ganzen Zombies an!‘“14
Auch verunsicherten sie ein paar der kulturellen Interpretationen, die Techno in Europa durchlief. So vereinnahmten etwa ein paar weiße Neo-Hippies die Rave-Szene als Anbruch einer neuen psychedelischen Revolution. 1993 bildete eine Podiumsdiskussion zum Thema Techno im Londoner Institute of Contemporary Arts die Plattform für einen ideologischen Showdown zwischen Derrick May und Fraser Clark, dem Herausgeber des Magazins Evolution und Promoter des in London ansässigen Hippie-Rave-Clubs Megatripolis. May sträubte sich gegen jegliche Verbindung zwischen Techno und Rauschmitteln: „Ich habe noch nie Ecstasy geschluckt, noch nie einen Joint geraucht. Nie. Ich brauche keine Drogen, die mich abheben lassen.“ Clark hingegen war ein psychedelischer Evangelist, der glaubte, dass Techno den Soundtrack zu neuheidnischen Ritualen lieferte, die die Menschen wieder mit den Ur-Energien der Erde in Kontakt brachten. Auf Ecstasy zu elektronischer Musik zu tanzen, stellte in seinen Augen einen schamanischen Ritus dar, der seinen Ursprung in uralten afrikanischen Ritualen hatte. Als Clark seine Sicht der Dinge teilte, fuhr May ihn angewidert an: „Wenn das ein afrikanischer Tanz sein soll, dann hätte mal jemand meinen Vorfahren in den Arsch treten sollen.“ May hatte an diesem Tag zwar die Lacher auf seiner Seite, doch es ließ sich nicht leugnen, dass die Gründerväter des Techno nicht länger diktieren konnten, wie ihre Musik zu verstehen wäre.
May gab es schließlich für ganze zwei Jahrzehnte auf, seine eigenen Aufnahmen zu veröffentlichen, was er mit seiner Desillusionierung bezüglich des Musikbusiness begründete. Er stritt hingegen ab, sich mit frühen Tracks wie „Strings of Life“ und „Nude Photo“ die Latte so hoch gelegt zu haben, dass er fürchtete, sie nie übertreffen zu können. Laut ihm traf er die Entscheidung 1991, als Atkins, Sanderson und er den Beschluss fassten, als Trio unter dem Namen Intelex aufzunehmen. Sie sahen Intelex als ihre eigene Interpretation von Kraftwerk, doch Trevor Horn, jener Mann, dessen breitflächige elektronische Produktionen Frankie Goes to Hollywood zu Stars machten, und Boss von ZTT, jenem Label, bei dem sie unterschreiben sollten, wollte sie, so May, kommerzieller ausrichten, als ihnen lieb war.
May sollte schließlich noch Material mit Steve Hillages