die das Vertrauen nicht mehr braucht, weil sie die Wahrheit kennt, wird sich jedoch nur dann realisieren, wenn zu der Erfindung und dem Hunger nach fälschungssicheren und wahren Daten noch etwas hinzukommt. Es braucht den entscheidenden Treiber, der die Entwicklung voranbringt. Dieser Treiber sorgt dafür, dass sich die neue Technologie weltweit verbreitet und etabliert. Ohne einen solchen Treiber bleiben die technologischen Erfindungen aufregende Ideen, an die sich aber bald schon niemand mehr erinnern wird. Sie geraten einfach in Vergessenheit, weil kaum jemand sie nutzt. Wenn aber eine Industrie mit enorm viel Marktmacht sich dieser Erfindung annimmt, kommt es zum Durchbruch am Markt. Diese Rolle fällt der Chemieindustrie zu. Das mag einige überraschen, weil viele die Chemieindustrie gar nicht auf dem Schirm haben, schauen die meisten doch beim Thema disruptive Technologien in Richtung Silicon Valley oder Finanzindustrie, die das Thema Blockchain bisher vorangetrieben hat. Die Chemieindustrie hat jedoch ein Pfund, mit dem sie wuchern kann. Als eine der ganz wenigen Industrien ist sie mit der gesamten produzierenden Industrie vernetzt, sie steht mit ihren Produkten am Anfang vieler Lieferketten – und zwar weltweit. Wenn ein solcher Player mit ins Spiel kommt und die Blockchain‐Technologie in das Herz seiner globalen IT‐Prozesse einpflanzt, dann wird es ernst. Denn die Geschäftspartner und Kunden, die sich auf allen Kontinenten verteilen, müssen mitgehen. Genau diese Entscheidung ist in der Chemieindustrie gefallen. Drei der Blockchain‐Pilotprojekte werden in diesem Buch vorgestellt: Themis, Circularise PLASTICS und ReciChain. Namhafte Player der Branche sind dabei: BASF, Covestro, Evonik. Im Mittelpunkt der Pilotierungen steht die Frage, wie sicher und effizient die Warenprozesse und der Zahlungsverkehr auf der Blockchain durchgeführt werden können. Die bisherigen Ergebnisse sind so überzeugend, dass die Industrie in den Startlöchern steht. Die Europäische Kommission in Brüssel reagiert darauf und ebnet der Blockchain mit der European Blockchain Service Infrastructure (EBSI)97 den Weg (siehe dazu Interview mit Pēteris Zilgalvis, Head of Unit, Digital Innovation and Blockchain EU‐Commission in Kapitel 6). Fehlt nur noch das digitale Geld für die Zahlungsabwicklung auf der Blockchain (siehe dazu Kasten 2 in Kapitel 2, ›Hinter den Kulissen‘). Dann können die Lieferketten in gar nicht mehr so ferner Zukunft vollautomatisch ablaufen. Da trifft es sich gut, dass die Europäische Zentralbank seit Oktober 2020 den Einsatz des digitalen Euros in einem Pilotprojekt testet. Wenn dieser Probelauf positiv ausfallen sollte, und davon ist auszugehen, steht dem flächendeckenden Einsatz dieser bahnbrechenden Technologie nichts mehr im Weg.
Öffentliche Blockchain versus Private Blockchain
Die Blockchain muss man sich als eine riesige digitale Datenbank vorstellen, in die prinzipiell jeder digitale Informationen einstellen kann. Diese Informationen können Daten jeglicher Art sein: Rechnungen, Zertifizierungen, Bilder, Dokumente, aber eben auch digitales Geld, wie etwa Bitcoin. Neu ist, dass diese Datenbank nicht zentral verwaltet wird, sondern dezentral von allen Teilnehmern der Blockchain, die Nodes (Knoten) genannt werden. Deren Aufgabe ist es, die in der Blockchain codierten Daten zu bestätigen, ohne den Inhalt zu kennen. Dafür müssen sie aufwändige mathematische Rechenaufgaben lösen (Proof of Work‐Methode, kurz PoW‐Methode). Die PoW‐Methode benötigt viel Energie und Zeit, gilt aber auch als sehr sicher. Wenn die Rechenaufgabe gelöst ist, gelten die eingestellten Informationen als bestätigt und der neue Datenblock wird an die Blockchain angehängt. Daher kommt auch der Name: eine technologische Kette, die aus unzähligen Blocks besteht, die mathematisch miteinander verbunden sind. Die Vorteile der Blockchain liegen klar auf der Hand: Die Daten, die in Hashs verschlüsselt sind, sind wahr, nicht manipulierbar, sicher und transparent. Sie sind transparent, weil sie von allen Teilnehmern zu jeder Zeit in Echtzeit einsehbar sind, sofern sie die Berechtigung dazu haben. Die Daten sind wahr, weil alle auf den gleichen Datenstamm bei den Berechnungen zurückgreifen, vorausgesetzt die Anfangsdaten wurden überprüft und entsprechen den Tatsachen. Sie sind unmanipulierbar, weil jegliche Veränderung auf der Blockchain zurückverfolgt werden kann. Die Daten sind darüber hinaus sicherer als beispielsweise in einer zentralen Cloud. Eine Manipulation der Daten durch Hacker macht wenig Sinn, weil die Wahrheit der Datenhistorie auf unzähligen Computern dezentral gespeichert ist.
Private Blockchain
Die private Blockchain ist die von der Industrie bevorzugte Variante. Bei ihr gibt es, anders als bei der öffentlichen Blockchain, Zugangsberechtigungen. Da nicht jeder teilnehmen kann, wird sie auch als private Blockchain bezeichnet. Teilnehmer sind in der Regel die Geschäftspartner. Die bestätigen die eingegebenen Daten in einer weniger aufwändigen Rechenmethode, die Proof of Stake‐Methode, kurz PoS. Diese Methode verbraucht wenig Energie, ist sehr schnell, dafür aber auch weniger sicher als die PoW‐Methode. Dadurch ist die private Blockchain erheblich schneller als die öffentliche Blockchain, effizienter und verbraucht weniger Energie. Sie ist daher für die Wirtschaft nützlicher als die öffentliche Blockchain. Die Industrie verbindet mit dem Einsatz der privaten Blockchain unter anderem das Ziel, Lieferketten vollautomatisieren zu können. Für Blockchain‐Hardliner mit einem radikal‐demokratischen Ansatz ist unter anderem die Einschränkung des Teilnehmerkreises nicht akzeptabel.
Anmerkungen
1 1 Siehe dazu https://www.sueddeutsche.de/wissen/gemischte-gefuehle-vertrauen-riskante-erfindung-der-moderne-1.1015100-0#seite-3, abgerufen am 13.03.2020
2 2 Ebd.
3 3 Luhmann, Niklas: Vertrauen. Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität, 5. Aufl., Konstanz/München 2014, S. 31 f
4 4 https://www.sueddeutsche.de/wissen/gemischte-gefuehle-vertrauen-riskante-erfindung-der-moderne-1.1015100-0#seite-3, abgerufen am 13.03. 2020
5 5 Ebd.
6 6 Ebd.
7 7 Ebd.
8 8 https://www.spiegel.de/politik/ausland/weltfinanzgipfel-steinbruecks-ungehaltene-rede-a-590781.html, abgerufen am 16.03. 2020
9 9 »Wir sind noch nicht ›nach‹ der Krise… Die Krise ist erst vorbei, wenn die faulen Kredite bei den Banken abgebaut sind«, sagt Axel Weber, der im Jahr 2007 Bundesbankpräsident war. Abgerufen am 07.04.2020 in: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanzkrise-in-den-falschen-haenden-1.3572065
10 10 Siehe https://www.nzz.ch/finanzen/aus-den-truemmern-der-finanzkrise-erhob-sich-der-bitcoin-ld.1433159, abgerufen am 20.03.2020
11 11 https://www.diepresse.com/4644955/ezb-druckt-1140000000000-euro, abgerufen am 21.03.2020