Belgacom abgehört wurde, zu dessen Kunden das EU‐Parlament, die EU‐Kommission und der Europäische Rat gehören.69 Unter den ganzen Spionageaktivitäten ist aber vor allem das Muscular‐Programm beachtenswert. Das Programm ist in der Tat sehr muskulös, wie der Name bereits vermuten lässt. Denn im Rahmen dieses Programms hackte sich die NSA direkt in die Verbindung der Rechenzentren von Yahoo und Google.70 Dort speichern die Unternehmen die Daten ihrer Nutzer in so genannten ›Clouds‘. Diese virtuellen Datenwolken sind überall in der Welt verteilt, unter anderem lagern sie in Rechenzentren in Singapur, Taiwan, Hongkong, Irland, Finnland, Chile.71 In diesen Clouds wird so ziemlich alles gespeichert: E‐Mails, Suchanfragen, Videos, Fotos, aber eben auch: Unterlagen von Unternehmen. Viele global agierende Unternehmen nutzen die Clouds, damit Mitarbeiter und Kunden auf die gleichen Datensätze zugreifen können. Das macht das weltweit vernetzte Arbeiten erheblich leichter.
Die Daten werden vor der Verschlüsselung abgegriffen
Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang, dass genau auf den Leitungen, die die NSA infiltrierte, die Daten zwischen den verschiedenen Standorten der Rechenzentren routinemäßig abgeglichen werden. Verschlüsselt werden sie erst dann, wenn die Daten abgerufen werden. Der Ansatz der NSA ist also äußerst effektiv, denn die Daten müssen nicht erst aufwändig geknackt werden.72 Nach Angaben von Edward Snowden werden jeden Monat etwa 500 Millionen Kommunikationsvorgänge aus Deutschland abgegriffen.73 Naiv zu glauben, dass dabei nicht auch deutsche Unternehmen betroffen wären. Unangenehm zu wissen, dass private Dinge in unseren Mails, WhatsApp‐Nachrichten und SMS auf der anderen Seite des Atlantiks mitgelesen und politisch wie kommerziell intensiv genutzt werden, bei Unternehmen aber zielt es meistens direkt ins Herz der unternehmerischen Tätigkeit. Wer deren Daten gezielt abfängt und auswertet, ist bestens darüber informiert, was die Unternehmen planen, wie sie agieren, mit wem sie kooperieren und an welchen Projekten sie arbeiten. Das nennt man auch Wirtschaftsspionage und bietet denen, die das betreiben, einen klaren Wettbewerbsvorteil. Nach Einschätzung von Experten beschert das der deutschen Wirtschaft einen Schaden von rund 4,2 Milliarden Euro jährlich.74 Betroffen sind Großkonzerne, Autohersteller und ihre Zulieferer sowie Unternehmen, die sich um Aufträge bemühen, die über 200 Millionen Dollar liegen.75 Die amerikanischen Geheimdienste sind auch überall dort anzutreffen, wo es um höchst aussichtsreiche, so genannte disruptive Technologien geht.76 Die Spionage betrifft daher nicht nur Großkonzerne, sondern auch innovative mittelständische Betriebe.77 Dass die NSA bei dem massenhaften Datenabgriff nicht nur die Terrorabwehr im Sinn hat, sondern auch Wirtschaftsgeheimnisse anderer Nationen gezielt stehle, gab Michael Hayden, der die NSA von 1999 bis 2005 leitete, unumwunden zu.78 Und Glenn Greenwald, jener Journalist, der die Unterlagen von Snowden veröffentlicht hatte, zog bei seiner Anhörung vor dem Europäischen Parlament ein beängstigendes Fazit: Die Überwachungsprogramme der NSA und seines britischen Partners GCHQ liefen darauf hinaus, dass es bei elektronischer Kommunikation schlechthin keine Privatsphäre mehr geben werde.79 Nun ist auch dem Letzten klar: Unsere Daten im Internet sind nicht sicher.
Fake News und die Suche nach der Wahrheit
Neben allen faszinierenden Dingen, die uns das Internet bietet, und auf die wir ungern wieder verzichten würden, hat das virtuelle Netz auch dunkle Seiten und dazu zählt die mangelnde Sicherheit unserer Daten. Es gibt noch einen weiteren Sündenfall, dem das Internet Vorschub leistet. Es sind die Fake News, die uns das Leben im Netz schwermachen. Authentische Daten werden zu einem raren Gut. Auch das ist für eine moderne Gesellschaft, die auf Vertrauen basiert, eine schwerwiegende Belastung. Zwar sind Fake News keine Erfindung des Internets, deren weltweite Verbreitung aber wäre ohne das Internet undenkbar. Darüber hinaus sind sie oft raffiniert gemacht und im Internet gut gestreut. Selbst für Nachrichten‐Profis ist es heute eine Herausforderung, Fakten von Fake News zu trennen, vor allem unter Zeitdruck.80 Und Zeitdruck ist in Nachrichtenredaktionen immer, weil das Internet so schnell ist und Fakten‐Checks Zeit kosten. Wie sehr wir falschen Nachrichten ausgesetzt sind, wurde spätestens nach dem amerikanischen Wahlkampf von Donald Trump 2016 deutlich. Russische Trolle hatten massenweise Fake News vor allem über Facebook abgesetzt und Trump damit im Wahlkampf entscheidend unterstützt.81 Damit wurde etwas sichtbar, was im postkommunistischen Osteuropa aus langer leidvoller Erfahrung längst bekannt war: die Unterwanderung der Medien, heute des Internets, von russischer Desinformation. Dabei helfen ›Medienunternehmen‘ wie die in St. Petersburg ansässige »Internet Research Agency«.82 Die Medienagentur wurde – und wird vermutlich noch immer – von einem Freund Putins, dem Oligarchen Jewgenij Prigoschin, massiv finanziell unterstützt.83 Darin produzieren überwiegend Studenten in Zwölf‐Stunden‐Schichten unter vielfachen Pseudonymen rund 160 gefälschte Blogbeiträge pro Tag.84 Lohn der Arbeit: rund 700‐900 € im Monat.85 Für Studenten in Russland viel Geld. Auch diese Erfahrung der massenhaften Verbreitung von Fake News war in der weltweiten Internetgemeinde ein veritabler Schock, hatte man doch im anfänglichen digitalen Hype geglaubt, dass man durch das Internet an bessere, sprich, wahre Originaldaten käme. Ungefiltert. Ohne Zensur durch die herkömmlichen Medien. Auch diese Hoffnung wurde zerstört. Und zwar gründlich. Heute wissen wir, dass im Internet nicht nur massenhaft Trolle herumgeistern, sondern intelligente Computer, so genannte Bots, sogar Nachrichten produzieren, die selbst gewissenhaft recherchierende Journalisten in die Irre führen können und Nachrichtentrends produzieren, die es ohne sie gar nicht gäbe.86
Deep Fakes sind täuschend echt
Und als wäre das nicht schon genug, gibt es auch noch das Problem mit den ›Deep Fakes‘.87 Dabei handelt es sich um Foto-, Film‐ und Videosequenzen, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) bearbeitet werden. Diese Bearbeitungen dank KI machen es möglich, Menschen Aussagen und Handlungen unterzuschieben, die sie nie gesagt oder begangen haben. Besonders infam: Dafür werden nicht nur ihre Konterfeis genutzt, auch ihre Stimmen werden missbraucht. Das fühlt sich für die anderen ziemlich echt an. Nun wird es schwer für die Betroffenen, das Gegenteil zu beweisen. Da tut sich ein Abgrund auf. Die Dinger werden immer besser, immer authentischer. Das birgt die Gefahr, dass irgendwann gar nichts mehr für wahr gehalten wird und nur noch Meinungen zählen – völlig losgelöst von den Tatsachen. Genau vor dieser Gefahr hat Hannah Arendt, eine der größten politischen Theoretikerinnen des 20. Jahrhunderts, gewarnt.88 Wenn alle glauben, dass sowieso nur noch gelogen wird, nichts mehr wahr ist, ist der Nährboden für Diktaturen bereitet, weil die Wirklichkeit entgleitet.89 Dann ist die Demokratie