Die Rettung schien in der virtuellen Welt zu liegen, weil die analoge Finanzwelt versagt hatte. Der wachsende Erfolg des Bitcoins konnte am Kursverlauf abgelesen werden. Konnte man im Herbst 2010 noch für nur 40 Dollar 500 Bitcoins kaufen (der Einstieg wäre heute rund 1,8 Millionen Euro wert),25 so musste man im Dezember 2013 schon deutlich mehr hinblättern: 945,74 US‐Dollar für einen Bitcoin.26 Doch kurz darauf kam es zum bisher größten Skandal bei der Bitcoin‐Tauschbörse Mt.Gox in Tokio, auf der rund 70 Prozent der damaligen Transaktionen mit Bitcoin stattfanden.27 Über Nacht waren 850 000 Bitcoins verschwunden, die zu dem Zeitpunkt einen Wert von rund 500 Millionen Dollar hatten.28 Das war der bisher größte Hack an digitalen Münzen in der Geschichte des Bitcoins.29 Der Franzose Mark Karpelès, der die Tauschbörse 2011 gekauft und selbst gemanagt hatte,30 versicherte zwar immer wieder, er habe damit nichts zu tun, er sei beklaut worden und suche ebenfalls nach den digitalen Münzen.31 Doch viele blieben skeptisch und verdächtigten den jungen Mann, dabei selbst die Hand im Spiel gehabt zu haben. Der ›Baron des Bitcoin‘, wie er einst genannt wurde, kam dennoch glimpflich davon. Die japanischen Behörden verurteilten ihn auf Bewährung wegen Manipulation von elektronischen Aufzeichnungen, die Untreuevorwürfe wurden jedoch fallen gelassen.32 200 000 Bitcoins wurden später in einer virtuellen Geldbörse wiedergefunden. Diese Bitcoins wurden genutzt, um Gläubiger zu entschädigen. Es blieben 160 000 Bitcoins übrig, die zu 88 Prozent immer noch Karpelès gehörten. Im Frühjahr 2018 waren die rund eine Milliarde Dollar wert.33 Damit war die Kryptobörse Mt.Gox dank des enormen Kursanstiegs nicht mehr insolvent. Doch auf das Geld wollte der Baron großzügig verzichten, alles andere fände er »geschmacklos«, wie er in seinem Blog verlautbarte.34 Ob es sich dabei um echte Reue und den ehrlichen Versuch von Wiedergutmachung handelte oder um die vorgetäuschte Großzügigkeit eines sehr intelligenten und höchst geschickten Betrügers wird sein Geheimnis bleiben. Immerhin sind die restlichen 650 000 Bitcoins, die nicht wiedergefunden wurden, heute rund 3,8 Milliarden Dollar wert.35
Vertrauenskrise bei den Bitcoin‐Jüngern
Dieser Hack bei Mt.Gox bedeutete in der Bitcoin‐Gemeinde eine Zäsur. Hatten doch viele von ihnen in der digitalen Münze den Heilsbringer von morgen gesehen. Und nun das: die erste große Vertrauenskrise. Die Geschichte hinterließ einen fahlen Nachgeschmack. Doch sie war nicht das Ende des Bitcoins. Und auch nicht das Ende spektakulärer Hacks, bei denen große Mengen Bitcoins plötzlich auf mysteriöse Weise verschwanden. Die bisher Letzte auf der Liste der Hacker‐Trophäensammlung war die weltgrößte Bitcoin Börse Binance, die, wie CEO Changpeng Zhao zuvor nicht müde wurde zu betonen, nicht zu knacken sei.36 Die Realität widerlegte ihn. Das Diebesgut: 7000 Bitcoins. Zwar wurden bisher nie mehr so viele Bitcoins gestohlen wie bei Mt.Gox, doch es war klar: Die Tauschbörsen hatten ein Sicherheitsproblem.37 Vertrauen geht anders. Dabei fokussierte sich der Vertrauensverlust nicht allein auf das Sicherheitsproblem. Die privaten Schlüssel, die den Zugang zu den digitalen Geldbörsen regeln, den so genannten Wallets, können immer gestohlen werden, wenn sie nicht sicher genug aufbewahrt werden. Worauf sich die Augen der Bitcoin‐Gläubigen richteten, waren die auffälligen Ups and Downs des Bitcoin‐Kurses. Ein Kursverlauf, der spätestens seit 2017 sehr ›volatil‘ war,38 wie es an der Börse im Fachjargon heißt. Eine Studie des New Yorker Blockchain‐Forschungsunternehmens Chainalysis Inc. machte deutlich, worum es dabei ging: Die Coins wurden tatsächlich nur selten als Zahlungsmittel genutzt, sie waren zum reinen Spekulationsobjekt mutiert.39 Was Zweifel bei den Bitcoin‐Anhängern hervorrief, waren nicht der Bitcoin selbst, sondern die Art und Weise, wie mit dem Bitcoin umgegangen wurde und bis heute umgegangen wird. Damit ist die Kryptowährung meilenweit weg von der ursprünglichen Intention des Erfinders Nakamoto, eine neue Währung zu etablieren, die unter anderem genau solche Spekulationsblasen verhindern sollte.
Datenabzocke erschüttert Vertrauen
Doch nicht nur mit dem Diebstahl von virtuellem Geld hat das Internet zu kämpfen, auch der massenhafte Identitätsklau ist ein leidvolles Thema, das wertvolles Vertrauen verspielt. Ein Vertrauensverlust, der für eine moderne Gesellschaft bedrohlich ist, zumal deren digitaler Umbau mitten im Gange ist. Vor zehn Jahren titelte der Fernsehsender ntv auf seiner Webseite »Wilde Zeiten. 2009. Das Jahr der Datenskandale«.40 Der größte Skandal war dabei der Angriff eines jungen Hackers, dem es gelungen war, 1,6 Millionen Userdaten bei SchülerVZ abzuziehen.41 Zehn Jahre später ist das bereits Peanuts. Da lautete die Schlagzeile: »Millionen Passwörter im Netz veröffentlicht«.42 Ein Konglomerat aus 773 Millionen gestohlenen E‐Mail‐Adressen und 21 Millionen Passwörter wurden frei zugänglich ins Netz gestellt.43 Der Datenklau verzeichnete eine steile Kurve nach oben. Doch dieser Kursanstieg war kein Gewinn wie an der Börse, sondern ein Verlust, bei dem das Vertrauen der Kunden in den Keller rutschte. Der bisher größte Datenklau aber geschah 2013 bei Yahoo. Daten von drei Milliarden Yahoo‐Konten wurden gehackt.44 Betroffen von Datenabzocke waren nicht nur die großen Konzerne wie Yahoo, auch die kleinen und mittleren Unternehmen wurden in Mitleidenschaft gezogen. Jedes zweite mittelständische Unternehmen wurde bereits Opfer.45 Ein Ende ist nicht in Sicht. Der Identitätsklau wurde ein ständiger Begleiter der digitalen Gesellschaft.
Daten als Geschäftsmodell
Weiteres wertvolles Vertrauen wurde verspielt, als der illegale Datenaustausch der großen IT‐Konzerne aufflog. Allen voran: Facebook. Inzwischen hat das Unternehmen sich einen unrühmlichen Namen beim Datenhandel gemacht. Doch Facebook schaut auf sein Geschäftsgebaren mit ganz anderen Augen. Der Datengigant brüstet sich damit, weltweit 2,5 Milliarden Menschen miteinander zu vernetzen.46 Dabei entstehen Daten in einer sozialen Tiefe, die nicht nur Marketingstrategen Tränen des Glücks in die Augen treiben, sondern auch Geheimdienste neidisch werden lassen. Die Verbraucher aber sind sauer wegen der illegalen Abzocke ihrer privaten Daten, vor allem in Deutschland. Facebook steht am sozialen Pranger. Immer wieder taucht der Name Facebook auf, wenn es im großen Stil um Datenverkauf oder Datennutzung im Graubereich geht. So etwa bei dem Skandal um Cambridge Analytica.47 Als Facebook‐Kunden die App ›thisisyourdigitallife‘ nutzten, hatten viele von ihnen geglaubt, sie unterstützten mit ihren Daten die wissenschaftliche Forschung. Tatsächlich aber erstellte Cambridge Analytica Psychogramme der Facebook‐Kunden und verkaufte diese Daten an politische Strategen. Solche Daten sollen Trump zum Sieg verholfen haben. Damit jedenfalls