den er je gekannt hatte.
Als der Kaffee zubereitet war, zog Fagin die Kasserolle auf den Kaminvorsprung und wandte sich, nachdem er einige Momente in unschlüssiger Stellung verharrt hatte, als wisse er nicht so recht, was er tun solle, langsam um, betrachtete Oliver und rief ihn bei seinem Namen. Dieser antwortete nicht und schien allem Anschein nach zu schlafen.
Als er sich dessen vergewissert hatte, ging der Alte leise zur Tür, die er verriegelte. Dann holte er aus einer Klappe im Boden – so schien es Oliver – ein kleines Kästchen hervor, das er behutsam auf den Tisch stellte. Seine Augen leuchteten auf, als er den Deckel hob und hineinschaute. Er zog einen alten Stuhl an den Tisch, setzte sich und entnahm dem Kästchen eine prächtige goldene Taschenuhr, die vor Edelsteinen glitzerte.
»Ah!«, rief Fagin, zog die Schultern empor und verzerrte sämtliche Gesichtszüge zu einem schrecklichen Grinsen. »Schlaue Hunde! Schlaue Hunde! Treu bis zuletzt! Haben dem alten Pfaffen kein Versteck verraten! Haben den alten Fagin nicht verpfiffen! Warum sollten sie auch? Hätte sie weder vor dem Strick bewahrt noch die Falltür einen Augenblick später aufschwingen lassen. Nein, nein, nein! Brave Jungs! Brave Jungs!«
Unter diesen und anderen gemurmelten Bemerkungen ähnlicher Art verstaute Fagin die Uhr wieder an ihren sicheren Platz. Mindestens ein halbes Dutzend weitere wurden einzeln aus selbigem Kästchen geholt und mit dem gleichen Vergnügen eingehend betrachtet, außerdem Ringe, Broschen, Armreife und andere Preziosen, aus so kostbaren Materialien und von einer so vortrefflichen Machart, wie Oliver sie nie zuvor gesehen hatte oder auch nur dem Namen nach kannte.
Als er diese Dinge zurückgelegt hatte, holte der Alte ein anderes Schmuckstück hervor, so klein, dass es in seiner Hand Platz fand. Es schien eine winzige Inschrift zu tragen, denn der Alte legte es flach auf den Tisch, schirmte es mit seiner Hand ab und brütete lange und ernst darüber nach. Schließlich legte er das Stück beiseite, als zweifle er, dass es ihm noch gelingen könne, lehnte sich im Stuhl zurück und murmelte:
»Was für eine feine Sache die Todesstrafe doch ist! Tote können nicht mehr bereuen. Tote bringen keine hässlichen Geschichten ans Licht. Hach, das ist gut fürs Geschäft! Zu fünft hingen sie in einer Reihe, und keiner übrig, der auspacken oder umfallen könnte!«
Als Fagin diese Worte sprach, fielen seine glänzenden dunklen Augen, die ins Leere gestarrt hatten, auf Olivers Gesicht. Die Augen des Jungen waren in stummer Neugier auf die seinen gerichtet, und obwohl das Erkennen nur einen Lidschlag währte – den kürzesten Zeitraum, den man sich vorstellen kann –, reichte es aus, um dem alten Mann zu enthüllen, dass er beobachtet worden war. Mit einem lauten Knall schloss er den Deckel des Kästchens, griff ein Brotmesser, das auf dem Tisch lag, und sprang wütend auf. Gleichwohl war er zutiefst erschüttert, denn selbst in seinem Entsetzen konnte Oliver sehen, wie das Messer in der Luft zitterte.
»Was soll das?«, rief Fagin. »Was beobachtest du mich? Warum bist du wach? Was hast du gesehen? Rede, Junge! Los, los … sonst geht’s dir an den Kragen!«
»Ich konnte nicht länger schlafen, Sir«, erwiderte Oliver verschüchtert. »Verzeiht, wenn ich Euch gestört habe, Sir.«
»Warst du vor einer Stunde etwa auch schon wach?«, fragte Fagin und blickte den Jungen finster an.
»Nein … nein, ehrlich nicht«, antwortete Oliver.
»Bist du sicher?«, schrie Fagin, der noch finsterer blickte als zuvor und eine bedrohliche Haltung einnahm.
»Auf mein Wort, Sir«, antwortete Oliver ernst. »Ich war wirklich nicht wach, Sir.«
»Ruhig, mein Kleiner, ruhig!«, sagte Fagin, der jäh in sein altes Benehmen fiel und ein wenig mit dem Messer herumspielte, bevor er es weglegte, als wolle er glauben machen, er habe es nur zum Scherz ergriffen. »Das wusste ich natürlich, mein Lieber. Ich wollte dir bloß Angst machen. Bist ein tapferer Junge, Oliver. Haha, ein tapferes Kerlchen!« Kichernd rieb Fagin sich die Hände, schaute aber dennoch voller Unbehagen auf das Kästchen.
»Hast du diese hübschen Dinge gesehen, mein Kleiner?«, fragte Fagin nach einer Weile und legte seine Hand auf das Kästchen.
»Ja, Sir«, erwiderte Oliver.
»Ha!«, entfuhr es dem Alten, der bleich wurde. »Das … das gehört alles mir, Oliver, mein kleiner Notgroschen, von dem ich leben muss, wenn ich alt bin. Die Leute schimpfen mich einen Geizkragen, mein Kleiner – bloß ein alter Geizkragen, das ist alles.«
Oliver dachte, der alte Herr müsse sogar ein ausgemachter Geizkragen sein, da er trotz der vielen Uhren an einem so erbärmlichen Ort lebte, doch vielleicht, so kam es ihm in den Sinn, koste ihn seine fürsorgliche Zuneigung für den Dodger und die anderen Jungen ein gutes Stück Geld, also schaute er den Alten nur ehrerbietig an und fragte, ob er aufstehen dürfe.
»Gewiss doch, mein Guter, gewiss«, entgegnete der alte Herr. »Halt. Da in der Ecke bei der Tür steht ein Krug mit Wasser. Hol ihn her, dann gebe ich dir eine Waschschüssel, mein Lieber.«
Oliver stand auf, durchquerte das Zimmer und bückte sich kurz, um den Krug hochzuheben. Als er sich wieder umwandte, war das Kästchen verschwunden.
Kaum hatte er sich gewaschen, alles wieder gesäubert und den Zuber auf Anweisung Fagins zum Fenster hinaus entleert, als auch schon der Dodger zurückkehrte, in Begleitung eines munteren jungen Freundes, den Oliver die Nacht zuvor unter den Rauchern gesehen hatte und der ihm jetzt in aller Form als Charley Bates vorgestellt wurde. Die vier setzten sich mit dem Kaffee und ein paar warmen Brötchen und Schinken, die der Dodger in seinem Hut heimgebracht hatte, zum Frühstück nieder.
»Nun«, sagte Fagin zum Dodger, während er listig zu Oliver hinüberlinste, »ich hoffe, ihr habt heute morgen schon gearbeitet, meine Lieben?«
»Sogar hart«, erwiderte der Dodger.
»Eisenhart«, fügte Charley Bates hinzu.
»Brave Jungs, brave Jungs!«, rief Fagin. »Und was hast du mitgebracht, Dodger?«
»Zwei Brieftaschen«, gab der junge Herr zur Antwort.
»Gefüttert?«, erkundigte sich der Alte begierig.
»Ganz ordentlich«, entgegnete der Dodger und holte zwei Brieftaschen hervor, die eine grün, die andere rot.
»Nicht so dick, wie sie sein könnten«, bemerkte Fagin, nachdem er ihr Inneres sorgfältig inspiziert hatte, »aber sehr hübsch und gut gearbeitet. Ist er nicht ein geschickter Handwerker, Oliver?«
»Ja, Sir, in der Tat«, antwortete Oliver, worauf Mr. Charley Bates schallend auflachte, zum großen Erstaunen Olivers, der an dem, was vorgegangen war, nichts zum Lachen finden konnte.
»Und was hast du, mein Bester?«, fragte Fagin Charley Bates.
»Rotzfahnen«, entgegnete Meister Bates, wobei er vier Schnupftücher hervorzog.
»Sehr schön«, sagte Fagin und nahm sie näher in Augenschein, »gute Qualität, sehr gute sogar. Doch hast du das Monogramm nicht schön eingestickt, Charley, also wollen wir es mit einer Nadel entfernen und Oliver zeigen, wie man das macht. Sollen wir, Oliver? Hahaha!«
»Wenn Ihr meint, Sir«, sagte Oliver.
»Möchtest du nicht auch so einfach Schnupftücher herstellen können wie Charley Bates, mein Lieber?«, fragte Fagin.
»Sehr gern sogar, wenn Ihr es mir beibringen wollt, Sir«, antwortete Oliver.
Meister Bates fand diese Antwort derart belustigend, dass er erneut in Gelächter ausbrach, ein Gelächter, das dem Schluck Kaffee, den er gerade trank, in die Quere kam und den falschen Hals hinabbeförderte, was beinahe mit dem vorzeitigen Erstickungstod des Jungen geendet hätte.
»Er ist so herrlich grün!«, sagte Charley, als er sich erholt hatte, um sich bei der Gesellschaft für sein unhöfliches Benehmen zu entschuldigen.
Der Dodger sagte nichts, sondern strich Oliver das Haar in die Stirn und meinte, schon bald würde er alles besser verstehen, worauf der alte Herr, der sah, wie Oliver rot wurde, das Thema wechselte,