Hanspeter Künzler

Der Thriller um Michael Jackson


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      Am 20. Mai verbreitete AEG Live plötzlich die eigenartige Nachricht, der Beginn der Konzertserie sei hinausgeschoben worden, und zwar vom 8. Juli auf den 13. Juli. Die fünf so gewonnen Tage würden gebraucht, um zusätzliche Proben durchführen zu können, hieß es. Es mutete merkwürdig an, dass eine solche mit viel Ungemach für die Fans verbundene Verschiebung bei einer vermeintlich von langer Hand vorbereiteten Show nötig wurde oder gar einen wesentlichen Unterschied ausmachen sollte. Selbstverständlich löste es bei den Spürhunden der Boulevard-Presse Alarmstufe eins aus. Man hatte sich eh schon seit dem 5. März in endlosen Spekulationen ergangen, ob Jackson zehn Konzerte, geschweige denn deren fünfzig, gesundheitlich überhaupt durchstehen würde. War die Verschiebung nur die Tarnung für eine tiefer greifende Krise hinter den Kulissen? Die Reporte – alle angeblich direkt aus dem Staples Center oder aber aus dem inneren Kreis der Jackson-Familie – widersprachen sich heftig. Alle, die mit der Organisation der Konzerte zu tun hatten, beteuerten, Jackson befinde sich bei bester Gesundheit. In der Tat hatte sich der Künstler einer rigorosen ärztlichen Untersuchung unterziehen müssen, ehe AEG Live und die Versicherungen das Risiko eingehen wollten, mit ihm ins Geschäft zu steigen. „Einer der Ärzte, welche die Tests ausführten, scherzte nachher, Jackson habe die Kondition eines 20-Jährigen“, berichtete Robert Baker, der Direktor eines Tanzstudios. „Vier Tänzer aus meinem Studio wurden für die Show ausgewählt. Sie waren jeden Tag mit Michael zusammen und erlebten ihn bei der Arbeit. Sie sind alle in ihren 20ern, aber sie erzählten, Michael habe bei den Proben mühelos mit ihnen Schritt halten können.“

      Andererseits wusste The Sun am 3. Juni zu berichten, dass Jackson an Hautkrebs und damit verbunden an einer Essstörung leide, denn er befürchte, seine Genesungschancen würden beeinträchtigt, wenn er „Fett“ ansetze. Es gab auch Stimmen aus dem Familiensitz der Jacksons in Encino, die vernehmen ließen, man hege den Verdacht, Michael sei gegen seinen Willen gezwungen worden, sich auf eine Verlängerung der Konzertserie einzulassen. Seine Gesundheit sei durch den Stress arg in Mitleidenschaft gezogen worden, er habe sich völlig abgeschottet und verweigere der Familie den Kontakt. Dabei hatte Michael noch im Mai die Konzertvorbereitungen unterbrochen, um an einer Familienzusammenkunft zur Sechzigjahrfeier der Hochzeit seiner Eltern, Joseph und Katherine Jackson, teilzunehmen.

      Kenny Ortega ist eine Frohnatur, die ganz zur Klischeevorstellung eines Kaliforniers passt, der selbst dann noch positiv denkt, wenn es Katzen hagelt und das Surf-Board von einem Haifisch verschluckt worden ist. Selbst er habe nicht immer daran geglaubt, dass Michael die Konzerte durchstehen würde, gestand er McLean in einem Interview für The Times, das am 24. Oktober 2009 publiziert wurde. „Ich wusste, dass er schlaflose Nächte hatte. Ich machte mir Sorgen, dass er dadurch geschwächt werden könnte, und ich machte mir auch darüber Sorgen, ob er tatsächlich die richtigen Dinge tat oder aber sein ließ, um die Kräfte zu schonen, die er für unser Vorhaben brauchen würde.“ Offenbar lag der Grund für Jacksons Schlaflosigkeit darin, dass sich in seinem Kopf die Einfälle überschlugen. Nebst den Vorbereitungen für die „This Is It“-Konzerte beschäftigten ihn auch die Lieder für ein neues Album. Er sei ständig dabei, neue Songs zu „empfangen“, erklärte er Ortega, die Flut von Ideen sei nicht zu stoppen. Ortega habe ihm daraufhin angeraten, mit „seiner höheren Kraft“ ein Abkommen zu schließen und selbige darum zu bitten, mit den Eingebungen wenigstens bis dann aufzuhören, bis in London die „This Is It“-Premiere über die Bühne gegangen sei. „Aber es war nichts zu machen. Für Jackson war Inspiration ein Geschenk Gottes, und ein Geschenk Gottes wurde nicht zurückgewiesen.“ Gefragt, ob Jackson sich in den Wochen vor seinem Tod vernünftig ernährt habe, entgegnete Ortega: „Er nahm eben so viel zu sich, wie er für ausreichend hielt. Ich wünschte mir schon, dass er mehr Nahrung zu sich genommen hätte. Ich achtete darauf, dass jederzeit reichlich zu essen da war. Es hieß, man habe beobachtet, wie ich Fleisch in Stückchen geschnitten und ihn damit von Hand gefüttert hätte. Das stimmt überhaupt nicht. Ich habe wohl manchmal die Plastikfolie vom Teller entfernt und ihm diesen hinübergeschoben. Aber gefüttert habe ich ihn nicht.“ Von AEG Live-CEO und Mitproduzent Randy Phillips war zu vernehmen, dass Jackson mit Vorliebe „kleine Quantitäten“ von vegetarischer Lasagne, gedämpfte Broccoli, „nut loaf“ und Tofu mit Chili-Sauce zu sich genommen habe: „Er war bestimmt nicht gebrechlich“, erklärte Phillips. Manchmal habe man ihm die Nahrung in den Mund schieben müssen einfach deswegen, weil sich Jackson so stark auf die Arbeit konzentriert habe, dass er glatt nicht ans Essen dachte.

      Von Jacksons fatalem Drogenkonsum will Ortega nicht den Schimmer einer Ahnung gehabt haben. Im Gegenteil. In den letzten Tagen hätten Michaels Augen richtiggehend gefunkelt. Er sei plötzlich von einem Elan beseelt gewesen, der den Menschen um ihn herum die Gewissheit vermittelt habe, er sei nun endgültig vom Bühnenfieber gepackt worden. McLean zitiert den Beleuchtungs-Designer Patrick Woodroffe: „Am Dienstagabend um 21 Uhr betrat Jackson die Bühne. In der Crew tauschten wir alle einen Blick aus. Irgendwie spürten wir, dass Jackson jetzt vom „Geist“ erfasst worden war. Bis dahin hatten wir manchmal den Verdacht gehegt, dass er sich nicht voll verausgabte. Jetzt trat er plötzlich genau so auf, wie wir uns an ihn erinnerten.“

      Am nächsten Tag, dem 24. Juni, erschien Michael um 18:30 Uhr im Staples Center. Weil er sich über Halsschmerzen beschwerte, fingen die Proben wiederum erst um 21 Uhr an. In der Los Angeles Times kam Magier Ed Alonso zum Wort, der zum Show-Programm gehörte und ebenfalls zugegen war: „Michael schaute toll aus und legte eine tolle Energie an den Tag.“ Nach dreieinhalb Stunden war die Arbeit beendet.

      Am 25. Juni um 12:21 Uhr ging bei der Notrufzentrale des Los Angeles Fire Department ein Anruf von der Adresse 100, North Carolwood Drive im wohlbetuchten Quartier Holmby Hills ein. Es war das Haus, welches Michael Jackson für die Dauer der Proben gemietet hatte. Das Gespräch nahm den folgenden Verlauf:

      Notrufzentrale: Paramedic 33, wie lautet die Adresse des Notfalles?

      Anrufer: Ich brauche so schnell wie möglich einen Krankenwagen, Sir.

      Zentrale: OK, Sir, wie lautet die Adresse?

      Anrufer: Los Angeles Kalifornien 90077

      Zentrale: Carolwood Drive?

      Anrufer: Carolwood Drive, ja.

      Zentrale: OK, Sir, wie lautet die Telefonnummer, von der aus sie anrufen?

      Anrufer: Sir, wir haben einen Gentleman hier, der Hilfe braucht. Er hat aufgehört zu atmen. Wir versuchen ihn anzupumpen, aber er, er …

      Zentrale: OK, wie alt ist er?

      Anrufer: Er ist fünfzig Jahre alt, Sir.

      Zentrale: Er ist bewusstlos, er atmet nicht?

      Anrufer: Nein, er ist nicht beim Bewusstsein.

      Zentrale: Alright, liegt er auf dem Fußboden? Wo befindet er sich genau?

      Anrufer: Er ist auf dem Bett, er ist auf dem Bett.

      Zentrale: OK, schaffen Sie ihn auf den Boden.

      Anrufer: OK.

      Zentrale: OK, schaffen Sie ihn auf den Boden. Ich helfe Ihnen jetzt bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung, OK.

      Anrufer: Wir brauchen ihn … wir brauchen einen …

      Zentrale: Ja, wir befinden uns bereits auf dem Weg zu Ihnen. In der Zwischenzeit versuche ich Ihnen soweit ich es kann über das Telefon zu helfen. Wir sind auf dem Weg. Hat ihn jemand gesehen?

      Anrufer: Ja, ein Leibarzt ist zugegen, Sir.

      Zentrale: Ach, es ist schon ein Arzt da?

      Anrufer: Ja, aber er reagiert auf nichts, nein, er reagiert nicht auf die Wiederbelebungsversuche.

      Zentrale: Aha, OK. Wir befinden uns auf dem Weg. Wenn Sie daran sind, Wiederbelegungsversuche durchzuführen, und dabei von einem Arzt angewiesen werden, ist er eine höhere Autorität als ich. Und er befindet sich vor Ort.

      Anrufer: OK.

      Zentrale: Hat jemand gesehen, was passiert ist?

      Anrufer: Nein, nur der Arzt. Nur der Arzt war hier.

      Zentrale: OK, hat also der Arzt gesehen, was geschehen ist?

      Anrufer: