Marcus Imbsweiler

Bergfriedhof


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      Marcus Imbsweiler

      Bergfriedhof

      Kriminalroman

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      DUNKLE VERGANGENHEIT Der Heidelberger Bergfriedhof. Auf dem Grab eines Kriegsopfers liegt eine Leiche. Privatdetektiv Max Koller steht vor einem Rätsel. Sein geheimnisvoller Auftraggeber, der ihn mitten in der Nacht an diesen Ort beordert hat, will ihn plötzlich mit allen Mitteln von weiteren Nachforschungen abhalten. Und auch der Tote ist am nächsten Morgen spurlos verschwunden.

      Die Neugier des Ermittlers ist geweckt. Kollers Spur führt in die Heidelberger High Society. Und allmählich wird ihm klar, dass sein Gegenspieler viel mehr zu verbergen hat als nur eine Leiche.

      Marcus Imbsweiler, geboren im Saarland, studierte Germanistik und Musikwissenschaft. Seit 1990 lebt er als freier Musikredakteur und Autor in Heidelberg; Schwerpunkte seiner belletristischen Arbeit sind Krimis sowie Erzählungen rund um das Thema Klassische Musik. 2007 startete er mit »Bergfriedhof« seine Krimireihe um den Privatermittler Max Koller, die sofort eine große Fangemeinde gewann. Der letzte Band der Serie, »Abschiedstour«, erschien 2015, doch ist Max Koller auf anderem Terrain noch aktiv, so auf der Bühne (»Luna Tours«, 2016) und in den vorliegenden Kurzkrimis, die im Jahr 2017 monatlich in der Rhein-Neckar-Zeitung erschienen.

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      Alle Rechte vorbehalten

      7. Auflage 2020

      Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

      Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

      Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

      unter Verwendung eines Fotos von Marcus Imbsweiler

      ISBN 978-3-8392-3360-3

      Haftungsausschluss

      Personen und Handlung sind frei erfunden.

      Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

      sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

      1

      Das Theater, so habe ich einmal gelesen, hält der Gesellschaft einen Spiegel vor. Da haben reiche Säcke und arme Schlucker ihren Auftritt, Wichtige und Unwichtige, Pechvögel und Glückspilze. Die einen treten, die anderen werden getreten. Für die Besucher eines Theaters gilt das übrigens auch. Während sich unsereins um die letzten freien Plätze im Parkett prügelt, schauen die Spitzen der Gesellschaft aus ihren Logen belustigt auf uns herab. Und von den Leuten, die sich im dritten Rang auf den Stehplätzen drängeln, nimmt niemand Notiz. Mit denen wollen wir nichts zu tun haben.

      Auch auf Heidelbergs Theater trifft dies zu und erst recht auf das größte Theater der Stadt: den Bergfriedhof.

      Fährt man unten durch die Rohrbacher Straße, am Haupteingang des Bergfriedhofs vorbei, stellen sich sofort die entsprechenden Assoziationen ein: Da ist die weitläufige Ebene, die sich hinter dem klassizistischen Eingangsportal auftut, dann der sanft ansteigende, später immer steilere Hang des Odenwalds, von dem man über das Rheintal bis hinüber zum Pfälzer Wald blickt; da sind die terrassenartigen Grabreihen, die erhöhten Logenplätze, die wohltuende Stille … ein Theater, was sonst? Der Zuschauerraum eines Schauspielhauses für die verstorbenen Bürger Heidelbergs, denen ein letztes, grandioses Stück geboten wird: der Fluss der Deutschen auf seinem langen Weg zum Meer. Dieses Theater ist ausverkauft bis in die Ewigkeit.

      Unten, im Parkett des Bergfriedhofs, herrscht graue Normalität. Da liegen die Müllers und Meiers, ihre Gräber sind rechteckig und einförmig, auf schlichten Marmorplatten stehen ewige Lichter, liegen frische Blumen. In den Logen darüber feiert die Steinbildhauerkunst Triumphe: trauernde Figuren, bittende Engel, Stelen, Sarkophage, Mausoleen. Und was für Namen stehen auf diesen Monumenten! Die Namen der Erfolgreichen und Großkopferten, der Heidelberger Ehrenbürger und promovierten Besserwisser: Ebert, Reichspräsident. Weber, Soziologe. Furtwängler, Dirigent. Speer, Architekt. Und dann gibt es noch die schmalen Terrassen, die sich schwindelerregend steil den Hang hinaufziehen, auf denen die Erde karg wird und der Bewuchs immer dichter. Das sind die Oberränge des Bergfriedhofs. Schattige, verwitterte Gräber, dem Fels abgezwungen und durch bemooste Kieswege verbunden. Ganz oben, an der Friedhofsgrenze, stemmt sich ein mannshoher Zaun gegen das Eindringen des Waldes.

      Der Mann, der es sich vor mir auf einem dieser Gräber bequem gemacht hatte, war kein Theaterbesucher. Aber er passte hierher. Ein schlecht gekleideter, toter alter Mann.

      So, wie er da lag, auf dem Rücken, alle viere von sich gestreckt, hätte man ihn für einen Penner halten können. Seine weit aufgesperrten Augen starrten in eine endlose Ferne. Hin und wieder fuhr eine ruppige Windbö durch sein graues Haar, schien ihn aufwecken, aufrütteln zu wollen. Schaff dich fort, Alter, fauchte der Wind, das hier ist kein Platz für dich, die Vorstellung beginnt. Weiß und trübe leuchtete der Mond zwischen hohen Kastanienbäumen hindurch, oben im Wald schrie ein Käuzchen, junge Blätter raschelten lispelnd, ansonsten hörte man keinen Laut. Bis auf ein heftiges Wummern in meiner Brust, dumpf und dröhnend wie von einer großen Glocke. Mich fröstelte.

      Es war kurz nach 11 Uhr abends. Kein Zutritt nach Einbruch der Dunkelheit, stand auf einem Schild am Seiteneingang des Bergfriedhofs. Ich hatte es ignoriert, auftragsgemäß. Von einem Toten war bei dem Auftrag nicht die Rede gewesen. Nur von dem Treffpunkt auf dem Friedhof.

      Ich beugte mich über den Mann. Er war unrasiert, das Haar zerzaust, sein Mund stand ein wenig offen. Kein Mantel, nur ein schäbiger Anzug über einem weißen Hemd. Und dieser Geruch … Er erinnerte mich an das Mottenpulver meiner Mutter. Die schlechten Zähne des Toten fielen mir auf, die dicken, gebogenen Fingernägel. Er hatte getrunken, nicht zu knapp offenbar, und der Alkohol dampfte noch durch seinen Leib. Vorsichtig berührte ich einen dunkel schimmernden Fleck, der sich über der Herzgegend ausgebreitet hatte.

      Er fühlte sich warm an.

      Ich schnellte hoch und sah mich um.

      Nichts. Der Wind in den schweren Kastanienästen, sonst nichts. Der Mond war eine käsig helle Scheibe, in der Stadt gähnten die Menschen und schalteten den Fernseher ab, manche schliefen, andere konnten nicht schlafen. Es war alles in Ordnung.

      Alles in Ordnung …

      Ich suchte in meinen Taschen nach einem Gegenstand, mit dem ich mich notfalls verteidigen konnte. Kein Gegenstand. Ich gehöre zu jenen Privatdetektiven, die keine Waffe besitzen. Und besäße ich eine, wäre sie nicht auffindbar. Oder defekt. So schnell bringt mich nichts aus der Fassung, aber in diesem Moment wäre mir sogar eine defekte Waffe recht gewesen. Irgendetwas, an dem ich mich festklammern, hinter dem ich mich verstecken konnte.

      Was