Marcus Imbsweiler

Bergfriedhof


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verachtete er, mich ganz besonders, weil ich vorlaut war und meine Nase in Dinge steckte, die mich nichts angingen. Eines Tages aber kam ihm das gerade recht, er bestellte mich in sein Büro und gab mir die Anweisung, seiner Frau hinterherzuschnüffeln. Gegen ein Extrahonorar. Nun, ein Zubrot verdiente ich mir gerne, und wenn sich gleichzeitig ein Brandsatz in das morsche Ehegebäude meines Chefs legen ließ, umso besser. Also stellte ich der Frau nach, zu Fuß und im Taxi, mit einer geliehenen Kamera. Ich erwischte sie tatsächlich mit einem Liebhaber – schwer war es nicht, sie knutschten auf offener Straße –, später mit einem zweiten; einen dritten und vierten erfand ich hinzu. Meinen Chef traf fast der Schlag, als er meinen Bericht hörte. Und erst die Fotos! Natürlich ließ er sich nicht scheiden, der Feigling, er verprügelte seine Frau nicht einmal, wie er es sonst hin und wieder tat, und angeblich reduzierte er sogar seine Puffbesuche. Genau weiß ich das allerdings nicht, denn da hatte ich die Firma bereits verlassen. Mit dem Typen war es einfach nicht auszuhalten.

      Anschließend tat ich eine Zeit lang nichts, ging meiner damaligen Frau auf die Nerven und hasste alle Welt. Bis mir klar wurde, welchen Ertrag das bisschen Schnüffelei gebracht hatte und dass mein natürliches Interesse an meinen Mitmenschen (beziehungsweise an deren Schwächen) ein Pfund war, mit dem ich wuchern konnte. Warum diese Begabung nicht zu meinem Beruf machen? Als ehemaliger Taxifahrer kannte ich die Stadt wie meine Westentasche, ich kannte die Verhältnisse, die Typen, die hier lebten, und was mir an Intelligenz fehlte, ersetzte ich durch Frechheit. Was sprach noch dagegen?

      Gesagt, getan. Ich richtete ein Zimmer unserer Wohnung als Büro ein – das heißt, ich räumte meinen Schreibtisch auf – und schaltete eine Zeitungsannonce: Max Koller, Ermittlungen aller Art. Dann harrte ich der Dinge, die da kommen sollten.

      Als Christine das sah, hielt sie mich endgültig für übergeschnappt. Ein knappes Jahr später trennten wir uns.

      Ob das eine mit dem anderen etwas zu tun hatte, meine berufliche mit unserer persönlichen Neuorientierung nämlich – keine Ahnung. Es hat mich nicht interessiert. Die Sache ist vorbei, gegessen. Natürlich fand Christine mein Privatflicabenteuer kindisch, aber so urteilte sie über vieles, was ich anpackte. In dem einen Jahr, das wir noch gemeinsam verbrachten, hatte ich vielleicht ein Dutzend Aufträge. Für den Anfang ganz ordentlich; um einer ehrgeizigen Frau zu imponieren, jedoch viel zu wenig. Schwamm drüber.

      Inzwischen hat sich die Zahl meiner Aufträge auf niedrigem, aber konstantem Niveau eingependelt. Ich komme über die Runden, das kann in Zeiten der Rezession nicht jeder von sich behaupten. Und im Gegensatz zu vielen, die ich kenne – an erster Stelle meine Exfrau – arbeite ich mich dabei nicht tot. Die freie Zeit nutze ich für Radtouren durch den Odenwald, für eine Schachpartie oder für ein Gespräch über Gott und die Welt im Englischen Jäger, meiner Lieblingskneipe. Mehr Aufträge könnte ich mir möglicherweise gar nicht leisten, höchstens besser honorierte.

      Und die Konkurrenz? Bescheiden. Da gibt es eine Mannheimer Detektei, die regelmäßig in den Heidelberger Zeitungen und Anzeigenblättchen inseriert. Zwischen Discountern und Heimwerkermärkten, und genau da gehört sie auch hin. Wer ein paar Jungs braucht, die anpacken können, liegt bei ihr goldrichtig. Schließlich arbeitete ihr Geschäftsführer früher bei einer Sicherheitsfirma. Das Kontrastprogramm bieten zwei Einserjuristen in der Heidelberger Altstadt, jung, smart, gepflegte Büroräume, gepflegter Auftritt. Arbeit unter freiem Himmel gehört nicht zu ihren Spezialitäten, dafür der Bereich Wirtschaftskriminalität: globaler Wettbewerb, Industriespionage, Betriebsgeheimnisse, Patentklau und so weiter. Am liebsten durchforsten sie dickleibige Gesetzeskommentare und die Marianengräben des Internets. Nicht mein Ding. Ich kann keine Fälle am PC lösen, nur Daten und Zahlen vor Augen und als Dialogpartner eine Handvoll flimmernder Bits. Immerhin, der Laden der beiden scheint zu laufen. Sie sind auch privat ein Paar, heißt es, führen ein schickes Leben und verbringen die Hälfte des Jahres auf Bali. Abwechselnd, vermutlich.

      Dann gibt es noch einen älteren Kollegen in Handschuhsheim, einen ehemaligen Polizisten, dessen Beine nicht mehr so recht wollen. Ein harmloser Kerl, beliebt bei der Klientel über 60, im Nebenberuf Winzer. Seine einzige erwähnenswerte Qualität besteht im Besitz eines badehandtuchgroßen Wingerts oberhalb der Bergstraße, den er seit drei Jahrzehnten eisern bewirtschaft, trotz seiner Beine. Und zwar mit erstaunlichem Erfolg. Das Tröpfchen, das er seiner Handvoll Trauben abpresst, ist ein Gedicht; Wildschweine und Spaziergänger hält eine Selbstschussanlage Marke Eigenbau von seinen Rebstöcken fern. Gemeinsam nehmen wir manchmal einen zur Brust, und wenn er dann mit einer seiner heiligen Flaschen aus dem Keller (noch so ein Hochsicherheitstrakt) gehumpelt kommt, seine Frau ins Bett geschickt hat und im Westen eine rote Herbstsonne hinter den Pfälzer Bergen versinkt, erzählen wir die Geschichte vom Malteser Falken neu und wie wir an Nicholsons Stelle die Fortsetzung von Chinatown gedreht hätten.

      So viel zu den schönen Momenten eines Privatfliclebens in der Kurpfalz.

      Und die weniger schönen? Die gibt es natürlich auch: wenn sich über Wochen niemand mit einem Auftrag bei mir meldet, keine kühle Blondine in hochhackigen Schuhen, kein zwielichtiger Zigarrenraucher mit vernarbter Wange. Nicht einmal der besorgte Vater einer pubertierenden Tochter; man wird ja bescheiden. Auch in Heidelberg fällt das Geld nicht vom ewig blauen Himmel, und soll ich vielleicht meine Nachbarn zum Verbrechen ermuntern, nur damit bei mir die Kasse klingelt?

      Ich nehme daher von Zeit zu Zeit einen dieser fragwürdigen Jobs an, bei denen fürs Leben zu wenig und fürs Sterben zu viel herausspringt und auf die sie drüben in den USA so stolz sind. Helfe bei der Spargelernte, klebe Plakate für die FDP, spende Thrombozyten. Manchmal, wenn sich mir die Waagschale der Konjunktur unverhofft zuneigt, darf ich Medikamente vor ihrer Markteinführung ausprobieren und frage mich anschließend, ob man von Placebos Zungenbläschen bekommt. Beklagt habe ich mich noch nie über dieses Leben. Dazu besteht kein Anlass. Nur, dass mein forscher Unternehmergeist so wenig gesellschaftliche Anerkennung findet, verstimmt mich ab und zu.

      Aus diesem Grund bedeutete der Auftrag, der mir an jenem Freitagabend erteilt wurde, eine mehr als kleine Überraschung für mich. Ich war gerade zur Tür hereingekommen, Auberginen, Okraschoten, Olivenöl und Lammhack unterm Arm, als das Telefon klingelte. Kurz überlegte ich: das Gespräch meinem Anrufbeantworter überlassen oder selbst rangehen? Es hätte mein Freund Fatty sein können, also stellte ich das Olivenöl beiseite und nahm den Hörer von der Ladestation.

      »Herr Koller?«

      »Am Apparat.«

      »Sind Sie heute Abend frei? Ich brauche Ihre Hilfe in einer dringenden Sache.«

      Ich ging hinüber zum Kühlschrank und stieß ihn mit der Fußspitze auf. »Heute Abend? Wäre machbar. Worum geht es denn?«

      »Das erzähle ich Ihnen später. Unter vier Augen.«

      »Aha. Darf ich Ihren Namen erfahren?«

      »Der Auftrag an sich ist nicht ungewöhnlich«, sagte der Anrufer, als habe er meine Frage überhört. »Es geht um einige Nachforschungen zu einer Person, um die ich Sie bitte. Mir ist nur eines wichtig: Diskretion.«

      »Oh, ich kann wahnsinnig diskret sein«, lachte ich und begann, meine Einkäufe mit einer Hand in den Kühlschrank einzuräumen.

      »Genau das verlange ich. Mein Name tut nichts zur Sache. Dafür garantiere ich gute Bezahlung. Verdoppeln Sie Ihren üblichen Satz.«

      »Den kennen Sie doch noch gar nicht.«

      »Verdoppeln Sie ihn. Und kommen Sie bitte heute Abend Punkt 23 Uhr zum Bergfriedhof, nicht zum Haupteingang, sondern oben zu der kleinen Seitentür am Steigerweg. Dort warte ich auf Sie, und dort können wir alles Weitere besprechen.«

      »Wie bitte?« Ich blieb verdattert an der geöffneten Kühlschranktür stehen. »Auf dem Bergfriedhof soll ich Sie treffen? Was haben Sie denn da vor?«

      »Erkläre ich Ihnen dort«, antwortete er müde.

      »Moment, so einfach geht das nicht. Ich werde mich doch nicht mitten in der Nacht mit einem Unbekannten auf einem Friedhof …«

      »Warum nicht?«

      »… ohne zu wissen, um was es geht und was ich zu tun habe!«

      »Warum