sind, und für gutes Essen verzichte ich auf einige andere Annehmlichkeiten. Daran hat sich auch durch meine Trennung von Christine nichts geändert. Zu einer befriedigenden Mahlzeit gehört meiner Meinung nach nämlich keine zweite Person, mir schmeckt es auch alleine gut.
Trotzdem deckte ich zwei Teller.
»Danke, für mich nichts«, wehrte Fatty ab. »Hab schon … hab schon gegessen.« Ich hätte ihm die Worte diktieren können.
»Was denn? Ein Löffelchen Cornflakes, heute Morgen?«
Er wiederholte stumm seine abwehrende Geste.
»Na, also.« Ich stellte die Auberginen auf den Tisch.
»Ach, gibt es wieder diese … diese Dinger da?«
»Auberginen«, half ich. »Eierfrüchte. Es gibt nichts Gesünderes. Bitte schön …«
»Nein, danke, wirklich nicht. Max, du weißt doch …«
Natürlich wusste ich. Wusste, dass er am Abnehmen war, seit 10 Jahren ungefähr. Bloß, es interessierte mich nicht.
»Sei brav, Fatty und gib den Teller her. Auberginen haben null Kalorien.«
»Und das fiese Zeug da, das Fett drumherum und all das?«
»Olivenöl. Ohne Olivenöl wären sie nicht so gesund.«
»Meinetwegen. Aber bitte kein Fleisch.«
»Seit wann macht Fleisch dick? Bestes mageres Lammfleisch? Der reinste Muskelspender!«
Seufzend beobachtete Fatty, wie eine gefüllte Auberginenhälfte auf seinen Teller wanderte und mit Soße übergossen wurde. Ein Stück Weißbrot, Öl zum Nachgießen, Salz, Pfeffer, alles da. Ich füllte meinen Teller, stellte die Kasserolle wieder in den Backofen, und als ich aus der Küche zurückkehrte, stand eine Flasche mit braunem Inhalt vor Fatty auf dem Tisch.
»Was ist denn das?« Ich zeigte auf die Flasche.
»Cola light. Bevor du auf den Gedanken kommst, mir Wein einzuschenken.«
»Ich glaube, ich spinne!«
»Wieso? Das Zeug hat viel weniger Kalorien als richtige Cola.«
»Du kannst dieses Gift verklappen, wo und wann du willst, aber nicht auf meinem Balkon. Nicht, wenn ich gekocht habe, Fatty. Außerdem, du als Antikapitalist …«
»Verdammt, sie hatten nur noch Cola in dem Laden.«
»Und die Saccharine? Die Süßstoffe, die da drin sind? Was würden die Zuckerrohrbauer der Dritten Welt dazu sagen, wenn sie wüssten … «
»Max«, rief Fatty und hob die Arme, »lass mich einfach hier sitzen und trinken, was ich möchte. Ich bin ja bereit, deine … deine gefüllten Eierbomben da zu essen, aber halts Maul und gönne mir meine Cola.«
»Marx würde sich im Grab umdrehen«, stellte ich fest und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Marx wurde auch nicht von Engels derart gemästet«, entgegnete Fatty finster.
»Wenn du die Fortsetzung meiner Geschichte hören willst, dann weg mit dem braunen Gift.«
»Will ich gar nicht«, sagte er und zog einen Flunsch.
»Kann ich verstehen. Sehr spannend ist sie nicht gerade. Ein blaues Auge, Gott ja … Chaos in der Altstadt … Max Koller wird gejagt … die geheimnisvolle Leiche auf dem Grab … würde mich auch nicht interessieren.«
Fatty schaute beleidigt. »Dummes Geschwätz. Das sagst du nur, um mich rumzukriegen.«
»Steck die Flasche weg. Aubergine ohne Rotwein geht nicht.«
Er schwieg trotzig.
»Na, komm. Abnehmen kannst du morgen noch.«
»Ach, hols der Teufel«, seufzte er. »Ein letztes Mal. Aber du bist schuld, wenn wir beide mit diesem Balkonwrack in die Tiefe stürzen.«
Ich grinste und schenkte ihm ein. Seit Deutschland nur noch aus Fitnessstudios und Wellnesstempeln besteht, haben es Leute wie Fatty schwer. Er ist umzingelt von laufenden, steppenden, hüpfenden, walkenden Mitbürgern, die Lifestylezeitschriften lesen, Kuren und Diäten machen oder sich die Fettpolster absaugen lassen. In den Talkshows reden sie darüber, in der Werbung zeigen sie ihm, wie er auszusehen hat. Seine Kolleginnen im Kindergarten bejubeln jedes Gramm, das sie abgenommen haben. Ringsum Erfolgsmeldungen. Friedhelm Sawatzki dagegen schwabbelt vor sich hin wie eh und je.
Dabei war das nicht immer so. Der Junge ist deutlich älter als sein Spitzname. Wir kennen uns seit Schulzeiten, besuchten dasselbe Gymnasium, machten uns in derselben Tanzstunde lächerlich. Von fett konnte bei ihm damals noch keine Rede sein. Er war spindeldürr und ich ein mopsiger Teenager mit Pickeln. Im Sommer radelten wir zusammen mit Schulfreunden durch Frankreich, den Tour-de-France-Etappen nach, und er immer vorneweg. Essen konnte er wie ein Scheunendrescher, aber das konnten wir alle. Mit 17 nahmen wir die Pyrenäen in Angriff, peitschten uns gegenseitig die Hänge hoch, die Etappen wurden länger und länger. Dann leisteten wir uns, ausgehungert und dehydriert, an einem heißen Sonntagmittag ein gigantisches Festmahl, eine Wurstplatte vorweg, Fleischberge hinterher und Käsequader zum Abschluss. Alle lagen wir in den Büschen, krümmten und übergaben uns. Nur einer nicht: Friedhelm Sawatzki. Er schwang sich aufs Rad, nahm den Tourmalet in Angriff, ließ sich auf dem Gipfel von Touristen knipsen und kippte plötzlich aus dem Bild. Kreislaufkollaps. Am nächsten Tag besuchten wir ihn im Krankenhaus. Er konnte nicht einmal Piep sagen. Dafür sagte der Arzt ihm einiges und es klang verdammt ernst. Seitdem hat er sich nie wieder überfressen. Und ging auf wie ein Hefeteig. Ein Ernährungswissenschaftler versuchte, es uns zu erklären: Durch den Zusammenbruch war in Friedhelms Stoffwechsel irgend etwas umgekippt, zerstört, und nun legte der Körper Fettpolster an für kommende harte Tage. Verstanden hat das keiner von uns. Aber wir erfanden bald einen Namen für seine Krankheit: das Tourmalet-Syndrom. Und ihn nannten wir Fatty.
Längst erweist er diesem Namen alle Ehre. 115 fröhliche Kilos auf knapp 1,80 m verteilt – das ist eine Kampfansage an den Schlankheitswahn unserer Tage. Sport treibt Fatty keinen, wie er sich überhaupt ungern bewegt, nur auf Diäten verlegt er sich alle sechs Monate, wenn es ihn überkommt. Sein Abendbrot besteht dann aus einem traurigen Stillleben: Knäckebrot, ein Scheibchen junger Gouda, Gurke, Stilles Wasser. Und dahinter, ein dickes Häuflein Elend, mein Freund Fatty. Erfolge zeitigen diese Fastenkuren natürlich nicht.
»Prost«, sagte ich und stieß mit ihm an.
»Schlecht ist er nicht, dein Wein. Bloß … Wein. Alkohol.« Auch das Essen schien ihm zu schmecken, denn er verlor kein schlechtes Wort mehr über die gefüllten Dinger mit dem fiesen Fettzeug drumherum. »Okay, zurück zu deiner Geschichte. Wie war das? Der Alte über alle Berge, du halbblind und auf dem Bergfriedhof ein toter Mann … Was hast du gemacht?«
»Was werde ich gemacht haben mit Augen voll Pfefferspray? Mich ins Bett gelegt und geheult wie ein Schlosshund.«
»Warst du nicht in der Lage, zurück zum Friedhof zu fahren und die Leiche zu untersuchen?«
»In dem Zustand? Nein, kein Gedanke. Aber auch sonst wäre es eine Überwindung gewesen, mitten in der Nacht den ganzen Weg bergauf noch einmal in Angriff zu nehmen. Als ich zu Hause ankam, habe ich den Wecker auf sechs Uhr gestellt …«
»Und zwar sobald du wieder sehen konntest«, merkte Fatty unschuldig an.
»Korrekt. Sobald ich meine rasenden Schmerzen mit Morphium bekämpft hatte und die Welt wieder in Umrissen wahrnahm, stellte ich den Wecker, um heute möglichst früh auf dem Friedhof zu sein.«
»Sechs Uhr«, nickte Fatty. »Wusste gar nicht, dass dein Wecker so eine Zeit im Programm hat.«
»Der Wecker schon.«
»Du auch?«
»Frag nicht. Noch ein Auberginchen, der Herr?«
»Wenn es weg muss.«
»Muss.«
»Wann