wie er über den Gaisberg zu fahren hatte.«
»Also ein Heidelberger. Was ist dir noch aufgefallen?«
Ich zuckte die Achseln. »Nichts Besonderes. Er hat Geld, Selbstbewusstsein, Bildung und er gibt gerne Kommandos, kommt sofort zur Sache, wenn nötig, kann bei Bedarf aber auch um den heißen Brei herumreden.«
»Das heißt?«
»Könnte ein Wirtschaftstyp gewesen sein. Ehemaliger Aufsichtsrat, Abteilungsleiter, so was in der Art. Vielleicht aber auch ein Juraprofessor oder ein Oberarzt.«
»Sein Wagen?«
»Ein beigefarbener BMW, ziemlich breit, ziemlich protzig.«
»Ausstattung?«
»Keine Ahnung. Normal, würde ich sagen.«
»Normal«, lachte Fatty verächtlich. »Und du willst Privatdetektiv sein? Schaff dir mal ein Auto an, vielleicht achtest du dann mehr auf das, was andere Leute fahren.«
»Mir reicht, wenn ich einen Mini von einem BMW unterscheiden kann.« Fatty liebt seinen Mini und hat ihm sogar einen Namen gegeben. Einen weiblichen natürlich.
»Das dachte ich mir.« Er kniff die Augen zusammen und spielte mit seinem Glas, in dem sich nur noch ein winziger Rest Wein befand. »Pass auf, Max: Morgen früh machst du einen Spaziergang an der Bergstraße entlang, einschließlich aller Nebenstraßen rechts und links, und hältst Ausschau nach deinem BMW. Spätestens um 14 Uhr hast du deinen Unbekannten gefunden.«
»Habe ich? Um 14 Uhr?«
»Oder 14.30 Uhr. Prost!«
»Interessant. Und wie kommt Friedhelm Sherlock Sawatzki zu dieser Annahme?«
»Durch Nachdenken«, entgegnete er ernst. »Durch die Kraft der reinen Vernunft. Grips, verstehste? Hier oben.« Er tippte an seinen runden Schädel.
»Wahnsinn«, meinte ich. »Wahnsinn im Quadrat. Wo holst du das nur her? Kannst du mir seine Adresse diktieren? Und seine Blutgruppe? Ich bin manchmal ein bisschen schwer von Begriff.«
Fatty rülpste zufrieden. »Bergstraße«, wiederholte er. »Bergstraße und nirgendwo sonst.«
»Nur weil er Kohle hat? Deswegen muss er gleich …«
»Nicht nur Kohle, Max. Stil, Statur, das richtige Alter. Schon mal was von soziologischem Profil gehört?«
»Nee.«
»Gibts auch nicht. Habe ich gerade erfunden. Aber Tatsache ist, dass solche Typen wie er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hier in Neuenheim am Hang wohnen, damit sie die Sonne genießen und dem Rest der Welt aufs Dach spucken können.«
»Neuenheim ist groß. Warum nicht am Neckar, in einer der Villen?«
»Zu laut, zu nahe am gemeinen Volk.«
»Und die Weststadt? Da ist es schön ruhig, und es gibt …«
»Weststadt? Vergiss es. Mit den Türkenläden im Erdgeschoss und der Studenten-WG im Hinterhaus? Nein, ausgeschlossen. In Handschuhsheim haust der Studienrat mit Gattin, und beide schielen neidisch nach Neuenheim. In der Altstadt will schon lange keiner mehr wohnen, da bleibt nur noch die Bergstraße. Das Paradies für die Spießerelite der Stadt.«
»Und was ist mit dem Schlosswolfsbrunnenweg auf der anderen Neckarseite?«
Fatty wiegte abschätzend sein Haupt. »Ja, möglich. Die einzige realistische Alternative. Wobei die Leute, die dort wohnen, nun wirklich stadtbekannt sind. Die stehen alle naslang in der Zeitung, und danach hörte sich dein Mann nicht an.«
»Bergstraße also«, sagte ich. »Gott, ja, ich kann es versuchen. Mit Soziologie hat das allerdings nichts zu tun, Fatty. Soziologie light vielleicht, passend zu deiner Cola.«
»Sehr witzig«, brummte er beleidigt. »Da lässt man sich herab und schüttet literweise Rotwein in sich hinein, nur damit … Pass auf, Max: Wir wetten drum. Bergstraße plus angrenzende Nebenstraßen; wenn du den Alten dort findest, zahlst du mir eine Kiste von dem Roten.«
»Eine Kiste?«, lachte ich. »Wer soll die trinken? Deine Oma vielleicht?« Fattys Großmutter stammt aus Polen und verträgt mehr als wir beide zusammen, selbst wenn uns eine durchschnittlich trinkfeste Seniorenfußballmannschaft verstärkt.
»Was ist? Wetten wir oder wetten wir?« Seine Augen funkelten vor Begeisterung.
»Wenns dir Spaß macht. Vielleicht weißt du ja auch, wo sich das Opfer befindet?«
Er überlegte. Nagte an der Unterlippe, drehte Däumchen. »Das ist nicht so einfach«, sagte er schließlich. »Obwohl man die Schwierigkeiten, eine Leiche verschwinden zu lassen, nicht unterschätzen sollte.«
»Das klingt, als hättest du jede Menge Erfahrung in dieser Hinsicht.«
»Denk doch mal nach, Max! Dein Unbekannter oder wer auch immer kommt mitten in der Nacht zum Friedhof, um den Toten wegzuschaffen. Er braucht erstens ein Auto. Zweitens einen Ort, an dem die Leiche so schnell nicht entdeckt wird, am besten über Jahre nicht. Wie war das noch mal mit der Todesursache?«
»Ich schätze, er hatte eine Schussverletzung. Wobei ich keinen Schuss gehört habe.«
»Vielleicht ein Schalldämpfer? Jedenfalls kann der Mörder so keinen Unfall vortäuschen. Die Leiche in einem Steinbruch zu deponieren, scheidet also aus. Was sonst? Ein stillgelegtes Bergwerk, eine Sondermülldeponie … nein.« Er entkorkte die Rotweinflasche und schenkte sich nach.
»Red nur weiter.«
»Ich würde ihn verbrennen. Besser als im See versenken oder klein gehackt einfrieren. Beim Verbrennen bleibt nichts übrig, wenn man es richtig macht.«
»Mit anderen Worten: Ich brauche nur in der Bergstraße nach heimlichen Feuerchen hinterm Haus Ausschau zu halten.«
»Das wäre zumindest ein Anfang. Natürlich musst du die Tatwaffe finden.«
»Wenn es weiter nichts ist.«
»Und du musst klären, warum dich der Alte zum Bergfriedhof bestellt hat.« Er nickte anerkennend. »Ein ordentliches Programm für die nächsten Tage, Respekt. Da heißt es, rechtzeitig aufzustehen. Der frühe Vogel fängt den Dings. Den Wurm.«
»Wiesel, richtig.«
»Vogel, nicht Wiesel. Wiesel fressen keine …«
»Der Nobelpreisträger. Jetzt fällt es mir wieder ein. Elie Wiesel hieß der. Und genau so sah mein Toter aus.«
7
Am Steigerweg hatten sie ganze Arbeit geleistet. Die Straße war von ihrem tiefsten Punkt am Alois-Link-Platz bis zum nördlichen Nebeneingang des Bergfriedhofs aufgebaggert, und nur auf einer Seite hatte man einen schmalen Streifen für den Verkehr freigelassen. Die Heidelberger Stadtbusse passten so eben hindurch, mussten allerdings den Bürgersteig mitbenutzen. Befahrbar war der Durchlass bloß in einer Richtung; wer hinunter in die Stadt wollte, musste, wie der Silberrücken in der gestrigen Nacht, den Umweg über den Gaisberg in Kauf nehmen.
Ich erwähne das nur, weil es Folgen für den weiteren Verlauf der Geschichte hatte. Natürlich ließ ich mich sofort hügelabwärts rollen, um den Steigerweg gegen die vorgeschriebene Richtung zu durchfahren. Keine Chance. Von unten kamen nicht viele Autos, aber sie kamen regelmäßig, und zwischen der Friedhofsmauer und der Baustellenabsperrung gab es keinen Platz zum Ausweichen. Außerdem war ich mit meinen beiden Fahrrädern – eines unter, eines neben mir – fast so breit wie ein PKW.
Ich wendete also schweren Herzens und fuhr bergauf. Noch vor der ersten Serpentine bog ich links ab und nahm eine Abkürzung durch den Wald, die mich zum Johannes-Hoops-Weg führte. Eine kurze Strecke musste ich schieben. Nassgeschwitzt kam ich oben an. Die restliche Strecke war kein Problem, es ging relativ eben an der Riesensteinkanzel vorbei und dann die Klingenteichstraße hinunter in die Altstadt.
Allerdings gab es hier deutlich mehr Verkehr,