der Zwischenzeit betrat auch Pokorny die Wohnung und verdrehte demonstrativ die Augen nach oben. »Diese Ostler! Chef, ich sag’s dir, mit denen machst ’was mit. So gebrochen sie Deutsch reden, so geschwätzig sind sie. Du kannst dir das gar nicht vorstellen: da stellst du ihnen eine ganz einfache Frage, und sie erzählen dir etwas, von dem du nur vermuten kannst, dass es ihre Lebensgeschichte ist. Wenn da unten jetzt nicht die Hausmeisterin dazugekommen wär’, ich wissert jetzt noch nicht, was mir der Simpel da mitteilen wollt’.«
»Ach ja«, schnarrte Bronstein, dessen Ungeduld abermals wuchs, »und was wollte er uns nun an Erkenntnissen übermitteln?«
Pokorny zog eine Schnute, sichtlich enttäuscht darüber, dass der Chef ihm gegenüber ebenso wenig Langmut an den Tag legte wie er selbst zuvor mit Kapuszczak.
»Die Hausmeisterin hat g’rad die Stiegen aufwaschen wollen, sagt sie, und da hat s’ hinter der Tür von der Hellebrand ein Stöhnen g’hört. Sie hat durch die Tür gerufen, ob der Alten was ist, doch die hat nicht geantwortet, sondern einfach nur weitergestöhnt. Da hat die Hausmeisterin g’schaut, ob die Tür offen ist, und das war sie nicht. Sie hat also ihren Generalschlüssel g’holt und aufg’sperrt. Das ist gegangen, weil kein Schlüssel g’steckt ist, ned wahr.«
»Und weiter?«, belferte Bronstein in dem Bemühen zu verhindern, dass Pokorny sich in nebensächlichen Details verlor.
»Na, nix weiter. Sie ist rein in die Wohnung, hat die Hellebrand in ihrem Blut liegen g’seh’n und sofort g’wusst, da hat’s was. Also ist sie rüber zum Doktor Bernecker, Zehetnergasse 9, weil der ein Telefon hat. Dort hat sie das Koat verständigt, und der Doktor ist gleich mit ihr mit, weil man ja nicht sagen hat können, wie’s um die Hellebrand steht.«
Bronstein sah den Arzt an: »Sie sind der Herr Doktor Bernecker?«
»Jawohl. Und die Frau Hellebrand ist normal ohnehin eine meiner Patienten.«
Na servus, dachte sich Bronstein. Ein praktischer Arzt! Kein Wunder, dass der so aufgeblasen ist. Seine Routine bestand darin, Kopfwehtabletten und Fußsalben zu verschreiben, da musste ein solcher Auftritt für ihn wie Ostern und Weihnachten an einem Tag sein.
»Schlüssel gibt’s übrigens keinen«, hörte Bronstein in der Zwischenzeit Pokorny fortfahren.
»Was soll das heißen?«
»Na, dass der Täter den Schlüssel mitg’nommen hat. Er hat von außen zugesperrt und gehofft, damit ein bissl Zeit zu gewinnen.« Na bitte, mitunter hatte sogar Pokorny seine hellen Momente.
»Die Hausmeisterin hat übrigens auch schon einen konkreten Verdacht«, sonnte sich Pokorny in der ihm zuteil gewordenen Aufmerksamkeit.
»Ah so?«
»Ja. Die Hellebrand hatte eine Aftermieterin. Ein junges Mensch namens Rosa Pichler. Und die soll einen ganz unguten Patron als Gspusi g’habt haben. Irgendeinen Karl. Die Hausmeisterin meint, die zwei seien notorische Neger gewesen, weil sie jeder ehrlichen Arbeit ausgewichen seien.«
»Und die Frau Hellebrand? Hat die ein Gerstl?«
»Na ja, laut Hausmeisterin ist sie nicht gerade arm. Ob’s aber für einen versuchten Raubmord reicht, das weiß die Hausmeisterin natürlich nicht.«
»Natürlich nicht«, schob Bronstein ironisierend nach. In Wien war es gleichsam amtsbekannt, dass Hausbesorger stets besser über den Besitzstand eines Mieters Bescheid wussten als dieser selbst. Doch er beschloss, es vorerst dabei zu belassen, denn entscheidend in dieser Angelegenheit war die Aussage der Hellebrand selbst. Und die wurde, immer noch bewusstlos, eben von den Sanitätern abgeholt.
Bronstein vergewisserte sich, dass die beigezogenen Kollegen den Tatort penibel aufgenommen hatten, dann verkündete er Pokorny eine wichtige Erkenntnis: »Das Schweizerhaus schaffen wir doch noch!«
»Und was machen wir mit dem Christkindl da draußen?«, fragte Pokorny und deutete mit dem Daumen über die Schulter in die Richtung, in der er Kapuszczak vermutete.
»Am besten nix.« Bronstein nickte den anwesenden Beamten zu und verließ, nachdem er sich noch einmal umgesehen hatte, die Wohnung. Pokorny folgte ihm auf dem Fuß.
Am nächsten Morgen war die Hellebrand so weit wieder hergestellt, dass sie Bronstein im Spital Rede und Antwort stehen konnte. Doch die Unterredung erwies sich rasch als recht einseitig. Beim circa siebzehnten Fluch wider das flüchtige Paar gab Bronstein den Versuch, Näheres über den Tathergang zu erfahren, erst einmal auf, zumal als Interludium zwischen den Flüchen gebetsartig die Wortfolge »Mein Schmuck! Mein ganzer schöner Schmuck!« kam. Und er überlegte, sich Baldriantee bringen zu lassen.
Immerhin amüsierte ihn angesichts der Ausführungen der Alten der Bericht, der am Vortag in der Abendzeitung erschienen war. Die ›mittellose Frau‹, die um ihrer ›wenigen Habseligkeiten willen‹ fast ermordet worden wäre, vermisste eine stattliche Zahl an Pretiosen. Der Reihe nach zählte sie eine goldene und eine silberne Herrenuhr, eine Uhrkette, zwei Paar goldene Ohrgehänge, drei Ringe, eine goldene Halskette und ein Paar goldene Manschettenknöpfe auf. Zudem beklagte sie den Verlust eines Überziehers und eines Paars ihrer Schuhe. Den ersten Teil der Nachricht vermochte Bronstein ja noch nachzuvollziehen. Die Kollegen hatten kein einziges Schmuckstück vorgefunden, sodass jemand, der seine Juwelen üblicherweise wie seinen Augapfel hütete, auch ohne näheres Nachdenken wissen mochte, was ihm geraubt worden war. Aber dass die Frau aus dem Stand sagen konnte, es fehle ein Mantel und ein Paar Frauenschuhe, das verwunderte ihn dann doch.
»Woher wissen S’ das mit dem Mantel und den Schuhen?«, fragte er daher.
»Weil das Luder damit ab’pascht ist«, kam es postwendend retour.
Nach leidlich zwei Stunden hatte Bronstein endlich einen Überblick über das Vorgefallene. Offensichtlich hatte sich die 20jährige Rosa Pichler bei der Hellebrand eingeschlichen, um festzustellen, ob es bei der Dame etwas zu holen gab. Und da dies der Fall gewesen war, schmiedete sie mit ihrem Geliebten den Plan, die Alte zu berauben. Hellebrand sagte aus, sie habe eben Bier holen wollen, und als sie zurückgekommen sei, habe sie den Liebhaber der Pichler gesehen, wie dieser mit einem Hackebeil ihren Kasten zertrümmerte. »Dort hab’ ich ja meinen Schmuck aufbewahrt, ned?!« Als das Pärchen erkannte, dass die Hellebrand früher als erwartet wieder eingetroffen war, beschloss es, die Zeugin zu beseitigen.
»Der ist mit dem Hackl auf mi losgangen, als wollt’ er mich schlachtigen. Ich hab mich natürlich g’wehrt mit Händ’ und Füß’, und g’schrien hab ich wie am Spieß. Dann hab’ ich mir denkt, solang‘ ich mich noch beweg’, hören die ned auf`, mich zu malträtieren, und so hab’ ich demonstrativ g’röchelt, die Augen verdreht und mich nimmer g’rührt. Dann haben s’ wirklich aufg’hört. Ich hab’ noch mitg’kriegt, wie das ausgschamte Mensch mein Mantel anzieht und meine Schuh, und dann sinds‹ raus. Wohin, das weiß ich nicht.«
Ja, das wusste auch Bronstein nicht. Noch nicht. Doch andererseits mochte es nicht sonderlich schwer sein, den beiden auf die Schliche zu kommen, denn sie wirkten alles andere als professionell. Man brauchte nur ein Auge auf die amtsbekannten Hehler zu werfen, dort würden die beiden früher oder später auftauchen, da sie, nach allem, was bislang über sie bekannt war, über keinerlei Barmittel verfügten, die Sore daher schnellstmöglich versilbern mussten.
Zudem war die Pichler keine Unbekannte. Obwohl erst 20 Jahre alt, hatte sie bereits hinlänglich unter Beweis gestellt, was für ein Früchtchen sie war. Mit 13 war sie aus dem Heim ausgebüchst, und seitdem pendelte sie ohne Unterlass zwischen Häfen und Kriminal. Auch diesmal, so war Bronstein überzeugt, würde es nicht lange dauern, bis die Pichler wieder gesiebte Luft atmen würde.
Zwischenzeitlich hatte Pokorny auch in Erfahrung gebracht, um wen es sich bei Pichlers Geliebtem handelte. Der Mann hieß Karl Matauschek und war 22 Jahre alt. Im April des Vorjahres war er aus der Volkswehr entlassen worden und seitdem ohne Arbeitsverhältnis geblieben. Wie die beiden bislang ihren Lebensunterhalt bestritten hatten, konnte nicht eruiert werden, aber für Bronstein lag der Verdacht nahe, dass die beiden sich darauf spezialisiert hatten, arglosen Vermietern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Offenbar verlief