»Hast du Zeit für eine Tasse Kaffee?«
»Eigentlich wollte ich nach Hause, aber passt schon. Versäumen tue ich nicht wirklich etwas. Ich schlage vor, dass wir ins Insel Hotel gehen. Die haben dort einen wunderschönen mediterranen Garten mit Springbrunnen und als Leihgabe der Stadt steht eine Schwimmerin aus Stein auf den Granitfliesen. So etwas gefällt dir doch? Ich habe dich jedenfalls so in Erinnerung, dass du südländisches Flair magst.«
»Das weißt du noch? Ist ja stark. Dein Langzeitgedächtnis habe ich schon immer bewundert.«
Wir laufen Arm in Arm durch die überfüllte Stadt, schnattern dabei wie die Enten, die sich am Neckarufer streiten. Es sieht aus, als würden die Tiere mit Pommes gefüttert. Der kleine Steppke, den ein etwa 15 jährigen Mädchen unwillig an der Hand hinter sich her zerrt, greift immer wieder in eine Tüte. Ein Schnabel Pommes für die Enten, ein Schnabel Pommes für ihn. Wir lachen, als wir das sehen.
»Ich könnte einen Roman darüber schreiben, was bei uns so alles los ist«, erzählt Karin.
»Ohne dass ich mein Haus verlassen muss, kann ich Stoff für 500 Romanseiten zusammen bekommen.«
»So schlimm?«
»Noch schlimmer.«
»Darüber reden wir später ausführlicher.«
»Nehmen wir den Platz neben dem Brunnen?«
»Gerne. Ich liebe das Plätschern solcher Wasserspiele. Zu Hause habe ich auch einen Brunnen. Direkt neben meinem Kräutergarten. Wenn ich in meinem Garten arbeite, den Brunnen plätschern höre, vielleicht ein wenig Vogelgezwitscher dazwischen, dann ist meine kleine Welt in Ordnung. Da kann ich so richtig abschalten.«
»Du hast einen Kräutergarten? Klingt gut. Wahrscheinlich kochst du immer noch mit der gleichen Leidenschaft wie früher bei unserem Hauswirtschaftsunterricht. Das war so etwas. Kannst du dich noch an das verschrobene Fräulein Huber erinnern? Die hatte immer Strickstrümpfe an, trug Birkenstocksandalen dazu und immer den gleichen dunkelblauen Plisee-Rock.«
»Klar doch, die Huber hatte Seltenheitswert, an die werden sich unsere ehemaligen Mitstreiter auch noch erinnern können. Das Schlimmste war, dass wir auch essen mussten, was wir gekocht hatten.«
»Ein schöner Zufall, dass wir uns heute getroffen haben. Jetzt leg mal los und erzähle, was es mit deinem EheUrlaub auf sich hat.«
»Das ist eine lange Geschichte. Hast du Zeit?«
»Ich werde sie mir nehmen.«
»Es war so, dass mein Mann mit unserer Nachbarin ein Techtelmechtel hatte. Ich habe es lange nicht gemerkt. Nie hätte ich von meinem Klaus gedacht, dass er fremdgehen würde. Wenn unsere Nachbarin in ihrem Garten arbeitete, mähte er unseren Rasen. Nachbarliche Kontakte sind nett, sollte man pflegen, habe ich gedacht und unsere Nachbarin zum Kaffee eingeladen. Sie ist Witwe und kinderlos. Besuch bekommt sie seit dem Tod ihres Mannes nur selten.
Normalerweise ergreift mein Mann bei Kaffeekränzchen die Flucht. Kam aber unsere Nachbarin, saß er immer dabei und rührte sich nicht vom Fleck. Man müsse dem Mädchen Hilfe anbieten, hat er gemeint. So zart wie sie ist, wäre sie mit ihrem großen Garten überfordert. Sie sei auch noch so jung mindestens 15 Jahre jünger als ihr verstorbener Mann. Der war 50 Jahre alt, als er starb. Das hatten wir in der Todesanzeige gelesen. Sie habe niemanden, der ihr zur Hand gehen kann, wenn zum Beispiel ein Wasserhahn tropfen würde. Frauen können so etwas doch nicht.
‚Ich würde ihr den Hahn reparieren’, meinte mein Mann. Irgendwann einmal hat dann der Wasserhahn getropft.
Mein Mann fing an, sich jugendlicher zu kleiden. Er wurde über Nacht zum Karatefan. Dreimal in der Woche hatte er Übungsstunden. Dreimal in der Woche geht unsere Nachbarin schwimmen. Ihr Schwimmverein trainiert zur etwa gleichen Zeit wie mein Mann Karate, habe ich gedacht, als sie immer kurz nach ihm ihr Haus verließ. Ihre Kurse hatten ungefähr auch zur selben Zeit Schluss. Sie kamen kurz nacheinander wieder. Mein Mann mähte ständig unseren Rasen, obwohl dieser streichholzkurz war. Immer dann, wenn die Nachbarin in ihrem Garten war, wurde unser Rasen gemäht. Ich habe ihn damit aufgezogen, dass er jetzt alt und komisch werde, daraufhin reagierte er sehr erzürnt.«
»Oh, da hast du aber einiges erlebt. So etwas würde mein Mann nie tun.«
2
Stunden später laufe ich gedankenverloren durch die Stadt.
Viele Leute sind unterwegs, die Cafés sind überfüllt und als ich am beliebtesten Eiscafé der Stadt vorbeilaufe, prangt mir ein Schild mit einer neuen Eissorte ins Auge.
‚Rose Speziale‘. Ein Eis mit Rosenduft, unglaublich. Ich stelle mich in die Menschenschlange, 10 Minuten Wartezeit sind optimistisch gedacht, und lasse meine Augen kreisen.
Kein Sitzplatz weit und breit. Ein Liebespaar löffelt gemeinsam aus einem Becher die neue Eisvariante, sie verdreht verzückt die Augen, schiebt ihm ein Löffelchen der zarten Masse in den Mund, kleckert rote Farbe auf sein blütenweißes Hemd, lacht dabei. Au weia, der Fleck geht nicht mehr raus, schießt es mir durch den Kopf und ich merke erst dann: Es ist mein Mann, der da turtelt! Seine Begleiterin erkenne ich jetzt auch. Das Fräulein packt bei Douglas die Geschenke ein.
Mein Herz schlägt im Dreiviertel-Takt, meine Hormone tanzen Rock `n´ Roll. Schweißgebadet krame ich nach meinem Telefon. In meiner übergroßen Handtasche kann ich selten etwas mit dem ersten Griff finden. Ich halte Slipeinlagen in den Händen, als ich zwischen meinem Deo, meinem Lippenstift und anderen Utensilien endlich mein Mobiltelefon orten kann. Ich stehe mit dem Handy in der Hand da wie angewurzelt, bin zu aufgeregt, um es auf Anhieb bedienen zu können. Befremdete Blicke vorbeilaufender Passanten treffen mich. Ich nehme es nur schemenhaft wahr. Mein Gehirn besteht aus Zuckerwatte.
»Ulla«, sage ich zu meiner Freundin, als ich das Handy in Gang gebracht habe.
»Kannst du mich in der Stadt abholen? Es ist ein Notfall.«
»Heiß heute«, sagt die alte Dame im Rollstuhl neben mir, strahlt mich an und streckt mir ein Papiertaschentuch entgegen. Sie nickt mir freundlich zu und rollt weiter.
Bleiben Sie doch bei mir, hätte ich ihr gerne nachgerufen. Lassen Sie mich nicht alleine, mein Mann geht fremd, sehen Sie, da vorne sitzt er und löffelt Eis mit einem jungen Ding, das glatt als seine Tochter durchgehen könnte. Meine stummen Hilferufe bleiben ungehört. In meinem Kopf schwirren Mücken, auf und ab und immer wieder auf und ab. Da stößt mein Fuß an einen Stein, der sagt
»Klack« und ich falle, bleibe liegen, habe keine Kraft mehr aufzustehen.
»Mein Gott Süße, bist du verletzt?«, fragt meine Freundin erschrocken, als sie mich am Boden zerstört vorfindet. Aus der Bahn geworfen schaue ich die ganze Zeit über nur auf die Steine vor mir und überlege, wo diese wohl herkommen.
Roter Sandstein.
»Ich glaube, sie haben das Heidelberger Schloss damit gebaut«, sage ich.
»Was ist passiert?«, fragt Ulla. Meine Zunge klebt an meinem Gaumen, ist trocken wie die Wüste und ich kann es nicht aussprechen, was mich so elend macht.
Leichenblass sei ich und meine Augen hätten den Ausdruck, als sei der Teufel hinter mir her, meint meine Freundin. »Ich rufe deinen Mann in der Kanzlei an«, sagt sie. Mein entsetzter »Nein«-Schrei ist das Letzte, was ich höre, dann ist Stille um mich. Wie ich nach Hause und in mein Bett gekommen bin, daran erinnere ich mich nicht.
»Felizitas hatte einen Unfall«, erzählt Ulla später unseren Freundinnen aus dem Yogaclub, als sie mich für die nächsten Übungsstunden entschuldigt. Mit Prellungen zu üben, wäre mir wesentlich leichter gefallen, als diesen Herzschmerz zu ertragen. Mein Herz sprang entzwei wie Glas. Die nächsten Tage verbringe ich dem geschwollenen Fuß wegen auf der alten Couch im Wohnzimmer, blättere ab und an in diversen Zeitschriften, bekomme aber nicht wirklich mit, was die Buchstaben erzählen, die vor meinen Augen verschwimmen.
»Kochen