Gisela Sachs

Hans im Glück


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Der Riesenbär nimmt das halbe Zimmer für sich in Anspruch und lässt es dunkler erscheinen, als es ist, fast bedrohlich wirken. Ich mag ihn nicht, den Bären, will aber dem stolzen Vater seine Freude nicht verderben. Als er am nächsten Tag atemlos mit einem riesigen Karton ins Krankenzimmer stürmt, dabei den Bären umrennt und ich erkenne, dass sich in dem Karton eine elektrische Eisenbahn befindet und mein Mann diese tatsächlich hier im Krankenzimmer aufbauen will, bekomme ich die Krise.

      »Wochenbettdepression«, nennt mein Mann meine Verweigerung und packt kopfschüttelnd die Eisenbahn zurück in den Karton. »Lass dir das Geld zurückgeben«, mahne ich meinen Gatten. »Wir brauchen es für wichtigere Dinge.« Er versteht nicht, was wichtiger sein könnte als die elektrische Eisenbahn für seinen Sohn, und verlässt frustriert das Zimmer.

      Am nächsten Tag öffnet sich leise die Tür meines Einzelzimmers. Meine Patentante spendierte mir diesen Luxusaufenthalt, gleich nachdem sie das erste Foto ihres Großneffen gesehen hatte. Ich hätte es verdient, meinte sie.

      »Sie hat gleich kapiert, dass unser Kind das Schönste auf der Station ist«, sagt mein Mann mit stolz geschwellter Brust und überreicht mir 10 dunkelrote, fast schon schwarze dornenlose Rosen, die betörend duften.

      »Oh«, sage ich zu meinem Mann, danach küsst er mich so lange, dass ich keine Luft mehr bekomme. An dieser Stelle wache ich auf. Ich habe geträumt, er hätte mich geküsst, liege aber allein in meinen Daunen. Mein Kater Felix will mich trösten und leckt mir die Tränen von Gesicht und Hals.

      »Felix, mein Liebling, ich habe dich vernachlässigt«, sage ich und streiche ihm übers Fell. Schnurrend schaut er mich an. Oh je, ich muss einkaufen gehen, der arme Felix war den gestrigen Tag wohl ohne Futter, schießt es mir durch den Kopf.

      »Armer schwarzer Kater, wenn das einer vom Tierschutzverein wüsste, die würden mich glatt verklagen«, sage ich zu meinem treuen Gefährten.

      »Ich gehe später einkaufen, Frauchen kauft dir gaaanz viele Leckerli, mein Süßer, großes Ehrenwort«, flüstere ich ihm gerade ins Ohr, als es ungestüm an der Haustür klopft.

      »Hallo, sind sie vom Tierschutzverein?«, frage ich entsetzt durch die geschlossene Haustür.

      »Mensch, mach auf«, höre ich die verärgerte Stimme meiner Freundin Ulla.

      »Um Gottes Willen, Süße, wie siehst du denn aus?«, fragt sie, als sie in meine verquollenen Augen schaut.

      »Ich habe eine Allergie«, sage ich und fange an zu weinen. Meine Freundin schaut sich ratlos in meiner Wohnung um, betrachtet mich von Kopf bis Fuß.

      »Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?«, fragt sie, während sie die Fenster öffnet.

      »Keine Ahnung.«

      »Mach dich hübsch, wir gehen essen«, fordert Ulla.

      »Ja, Mama«, sage ich und zehn Minuten später sitzen wir schon in Ullas Auto.

      »Mensch Mädchen, bei dir kann man die Rippen zählen.

      Ich nehme mal an, deine Allergie heißt Hans?! Nach dem Essen gehen wir einkaufen.

      Keine Lebensmittel, erstmal Klamotten, so wie du rum läufst …, das geht einfach nicht, so kann man sich nicht hängen lassen, auch nicht mit einer Ehe-Allergie. Wie lange bist du eigentlich schon verheiratet?«

      Ulla weiß es ganz genau, sie war unsere Trauzeugin, hatte aber den ‚Hans im Glück‘, wie sie meinen Mann nennt, noch nie gemocht. Das beruht auf Gegenseitigkeit, er kann Ulla nicht ausstehen. Ihre gegenseitige Abneigung ist die verlässlichste Sache der Welt.

      Ulla sei eine dumme Gans, meinte mein Mann beim Abendessen im Restaurant. Sie sei unweiblich, hätte keinen Hintern, keinen Busen, nur ein großes Mundwerk, wenn die an den richtigen Mann rankommt, der wird es ihr schon stopfen. Die muss mal gehörig … werden.«

      »Jetzt reicht es aber«, sagte ich damals zu meinem jetzigen Mann und »das mit unserer Hochzeit werde ich mir noch einmal überlegen.« Kühl wie Grace Kelly und hoch erhobenen Hauptes verließ ich das Lokal. Neben meinen unberührten Vorspeiseteller, es waren Lachsröllchen mit Rosmarinbaguette, hatte ich einen viel zu großen Geldschein hingelegt.

      »Ich zahle für uns beide, der Rest ist Trinkgeld«, sagte ich zu dem Ober.

      »Das geht nicht gut«, meinte Ulla zu mir. Andere Mütter haben schönere Söhne, vielleicht sogar mit mehr Geld, der Typ hat nichts zu bieten …« Wir haben nicht gehört, dass Hans den Garten betrat, wo wir uns mit Kaffee und Schnittchen unter dem alten Kastanienbaum niedergelassen hatten. Erst sein Niesen er ist allergisch gegen Kastanienbäume in der Blüte hat uns auf ihn aufmerksam gemacht. Der Lauscher an der Wand …

      Mit zusammengekniffenen Augen schaute er Ulla an, fuhr sich mit weit gespreizten Fingern durch die Haare, schaute ihr permanent in die Augen und wartete, bis sie den Blick senken würde. In welchem Film hat er das gesehen? Der Auftritt ist gigantisch. Fasziniert schaue ich auf diese Szene. Was macht er jetzt? denke ich, als er an seiner Jogginghose rumfummelt. Hat er da ein Gewehr drin? Natürlich hält meine Freundin den Blick, schaut genauso stur wie mein Kater Felix. Der würde nie den Blick als Erster senken. Das war der Tag, an dem Ulla ihre Patenschaft für meine zukünftigen Kinder einbüßte.

      Nach der standesamtlichen Trauung bedachte mein Mann meine Freundin mit Siegerblicken. Wie Michael Schumacher auf der Siegertreppe stand er da. Es gab sogar Champagner. Meine Freundin zog die Augenbrauen hoch, das bedeutet Alarmstufe eins, und ich kniff sie in den Arm.

      »Aua«, sagte sie. »Ich werde für den restlichen Tag zum Lamm. Großes Ehrenwort.« Damit sie in kein Fettnäpfchen treten würde, hatte sie dann geschwiegen den ganzen Tag. Mein Mann empfand das Benehmen meiner Freundin als eine Frechheit.

      »Eine unerhörte Rebellion ist das. Schließlich ist sie unsere Trauzeugin und trägt doch eine gewisse Verantwortung.«

      »Was für eine Verantwortung?«, frage ich nach, bekomme auf diese Frage aber keine Antwort.

      »Wenn die sich bei der kirchlichen Trauung auch so anstellt, drehe ich hohl«, brummelt er in seiner ersten Nacht als Ehemann im neuen Bett, überzogen mit kirschroter Seidenbettwäsche zum Wenden ein Geschenk meiner Patentante -, außen schwarz, innen rot, strapazierfähig. Ich, die goldene Beilage, werde bei dieser Aussage überstrapaziert, drehe mich auf die andere Seite und sage: »Gute Nacht.«

      Michael Schumacher hat das Rennen nicht gewonnen.

       3

      »Jetzt reicht es«, sagt Ulla zu mir.

      »Hör endlich auf mit diesem blöden Geflenne, pack ein paar Sachen zusammen, schnappe deinen Kater und ziehe vorübergehend zu mir. Katzenfutter habe ich in Hülle und Fülle. Ich musste meinen Willi vor einigen Tagen im Garten begraben. Altersschwäche. Er hat es einfach nicht mehr gepackt. Das hast du gar nicht mitbekommen.«

      Ullas Keller ist sauber und penibel aufgeräumt. Ich sehe gleich schon nach dem Öffnen der Tür das Katzenschlemmerregal. Übersichtlich, aufgereiht nach Farbe und Größe, schauen mir viele Katzenkinder auf unterschiedlichen Dosengrößen entgegen. Diese sind vom Feinsten und versprechen ein gesundes, glückliches Katzenleben: Ein buntes Fleischtöpfchen, Rindstopf mit Biomöhren und Hefeflocken, Fleischtöpfchen mit Pute, Geflügelschmaus mit Naturreis und Lachs mit Rosmarin.

      Auf dem silbernen Metallregal daneben liegen drei Dosen Ungezieferschutz und eine vanillefarbene Katzenleine, verziert mit echten ‚Swarovski‘-Steinen.

      Es gibt ein extra Regal für Katzenspielzeug. Loopie Man, nennt sich ein Wurfund Zerrspielzeug. Loopie Igel ist zum Fangen und zum Greifen. Ein Rugby aus Naturgummi für tolle Spiele und saubere Zähne, lese ich gerade auf einem Karton, als mein Blick auf das gegenüberliegende Regal fällt. Hier liegen Reihenweise Rotweinflaschen verschiedener Winzer. Wahrlich eine wunderbare Kater-Frauchen-Auffangstation.

      Ulla arbeitet als Chefsekretärin bei einem Automobilzulieferer und ist beruflich sehr eingespannt. Manchmal muss sie ihren Chef auf Reisen ins Ausland begleiten.