unbekannten Duft. Das rosa Poloshirt, das er trägt, ist neu. Er hätte einen ganz dicken Fisch an Land gezogen, erzählt er mir. Er wirkt aufgeregt und streicht sich beim Sprechen mit gespreizten Fingern durch die Haare.
»Ja, ja, ein ganz dicker Fisch. Ich werde Überstunden machen müssen in nächster Zeit. Wenn man so einen fetten Brocken an der Angel hat, muss man sich sehr darum bemühen, das verstehst du doch, Schatz?! Ich muss später noch mal weg.«
Den Fisch kenne ich so dick ist er gar nicht. Ich fühle mich verraten und verkauft.
Mein Mann leistet viele Überstunden, meist kommt er mit den ersten Amselrufen nach Hause. Frau Amsel sitzt täglich zur gleichen Zeit auf dem Giebel des rechten Nachbarhauses und zwitschert. Regelmäßig bekommt sie Antwort aus dem Kirschbaum des linken Reihenhauses.
»Jetzt erst kommt er heim, der Schuft«, gibt Mutter Amsel kund. Die Amsel aus Nachbars Kirschbaum flattert erschreckt auf, als ich aus dem Fenster schaue. Mir ist, als ob ich diesen Schwarzvogelflügelschlag spüren könnte.
Ich höre das empörte Bellen des Nachbarhundes aus dem Reihenhaus von links, der sich bei den vergeblichen Versuchen meines Mannes, die Haustür aufzuschließen, gestört fühlt. Er findet das Schlüsselloch nicht auf Anhieb und flucht leise vor sich hin. Ich schleiche zurück in mein Bett und stelle mich schlafend, doch war diese Vorkehrung umsonst. In dieser Nacht schläf mein Mann in unserem Gästezimmer.
»Ich wollte dich nicht stören, es ist spät geworden«, teilt er mir zur Mittagszeit per Telefon mit.
»Die nächsten Tage wird es wohl nicht anders werden, es könnte sein, dass ich im Büro übernachte«, spricht er nervös weiter. Ich höre jemanden im Hintergrund husten.
»Hat der Fisch sich erkältet?«
Vier Nächte bleibt mein Mann aus. Frau Amsel verkündet wieder seine Ankunft. Wieder bellt empört der Nachbarshund. Ich spähe aus dem Schlafzimmerfenster zu unserem Parkplatz herunter, kann auch ohne Brille erkennen, wie müde und abgeschlafft mein Mann sein muss. Hölzern wie Pinocchio erklimmt er die drei Treppenstufen zu unserer Haustür. Erschrocken lege ich mich in unser Bett und stelle mich schlafend.
Leise legt er sich neben mich und alsbald spüre ich seine kalten Füße an meinen Waden.
Er sei auf Geschäftsreise, stand auf dem Zettel, den ich am nächsten Morgen auf dem Küchentisch finde. Und er wisse nicht, wie lange die Verhandlungen dauern würden. Und anrufen solle ich nicht. Und er habe das Handy nur in Notfällen eingeschaltet. Und, dass er irgendwann mal anrufen werde. Eine leicht verständliche Gebrauchsanweisung.
Aber was ist ein Notfall?
Die nächsten Tage leide ich einsam vor mich hin. Das Mobiltelefon habe ich mir zwischen Bauchnabel und Busen in den Rockbund gesteckt. Ich will keinen Anruf meines Mannes verpassen. Es vibriert nicht, klingelt nicht, bleibt mausetot bis zum siebten Tag. Ich erschrecke, als ich dann die Stimme meines Mannes höre. Aufgeregt wie ein Schulmädchen stottere ich, als ich ihn frage, wann er denn heimkomme.
»Deswegen rufe ich an«, erklärt er.
»Es wird wohl noch ein paar Tage dauern, die Verhandlungspartner sind zäh, die Gespräche fließen träge, es läuft nicht planmäßig.« Das Telefon rauscht und knistert, die Sprache klingt verzerrt und im Hintergrund höre ich ein Hüsteln.
»Der dicke Fisch, was ist mit dem dicken Fisch?«, frage ich ihn.
»An Land gezogen«, höre ich noch. Dann: knister, knister, klack.
Ehe über Bord? Fisch an Land gezogen? Was ist eigentlich los? Was habe ich falsch gemacht? Nun, ich habe zehn Kilo mehr als am Anfang unserer Ehe, vielleicht auch elf, wahrscheinlich sogar zwölf. Auf einer Waage bin ich seit Ewigkeiten nicht mehr gestanden. Ich habe Cellulite an meinen Oberschenkeln und am Po. Meine Beine waren noch nie besonders schön, ich habe keine Storchenbeine wie die Models in den Modeblättern, konnte bisher aber gut damit laufen. Jetzt plagt mich Arthrose in den Zehen und ich laufe in Waldläufer-Schuhen aus dem orthopädischen Fachgeschäft umher. Meine grauen Haare fühlen sich an wie ein Stück Schnur. An beiden Handrücken haben sich unzählige Flecken niedergelassen. Riesengroße in hellbraun, dazwischen kleine Dunkle. Meine Zähne haben Paradontose.
Ich habe Falten im Gesicht und am Hals.
»Mein weißer Schwan«, hast du früher zu mir gesagt und mich auf den Hals geküsst. Dein weißer Schwan zieht sehr einsam dahin ohne dich. Ich zähle die Tage, die Stunden, die Minuten und Sekunden. Endlose Tage werden durch endlose Nächte abgelöst. Träume suchen mich heim, erzählen mir von vergangenen glücklichen Ehe Tagen …
Gerade hat man mich aus dem Kreißsaal geschoben und in ein Zimmer mit zwei anderen Müttern gebracht. Ich habe den Fensterplatz bekommen. Mein kleiner Prinz liegt neben mir und ich staune über seine kleinen Finger, den rötlich goldenen Haarflaum, und vergewissere mich immer wieder von Neuem, dass es wirklich ein Junge ist, staune über das Teil, das später das Leben eines Mannes bestimmen soll. So klein ist das?
Ich zähle die Zehen nach. Ja, wunderbar, es sind fünf. Ich zähle immer wieder nach die Zehen und die Fin-
gerlein, rieche an dem Haarflaum, rieche Baby, nur noch Baby.
Ich bin Mama, welch ein Wunder!
Die Frau neben mir ist Türkin. Es ist ihr fünftes Kind. Sie zeigt mir die Anzahl ihrer Kinder, indem sie die geballte Faust ihrer linken Hand ruckartig in die Luft reißt, ihre fünf Finger spreizt und jeden einzelnen Finger liebevoll drückt, dabei laut und stolz lacht. Ihre Zahnlücken sind deutlich sichtbar, einige Zähne sind mit Gold ausgebessert. Für jedes Kind ein Stück Gold?
Sie spricht kein Deutsch und ich werde es wohl nie erfahren, denke ich. Ihr Mann steht stolz vor dem Bett und strahlt seine »Anne« an.
Anne bekommt viel Besuch von Frauen, die ausnahmslos Kopftücher tragen. Die Frauen sprechen wenig bis gar kein Deutsch, schnattern fröhlich durcheinander, wenn sie täglich mit vollen Tüten in das Krankenzimmer stürmen. Sie erscheinen immer in der gewohnten Fünfergruppe, meist schon morgens nach der Visite. Sie sind sich einig. Eine frisch entbundene Frau hat alle Aufmerksamkeit der Welt verdient. Solidarität, die beeindruckt. Ich kenne bald ihre Namen. Sie heißen Hatice, Ayse, Lative, Nasika und Pinar.
Es könnte sein, dass es ihnen entgangen ist, dass es hier regelmäßig Essen gibt. Wahrscheinlicher scheint es mir aber, dass sie der Krankenhauskost nicht trauen. Die frisch gebackene Mutter soll mit heimischer Kost versorgt werden.
Ich werde von den fürsorglichen Frauen mitversorgt, darf von all ihren Köstlichkeiten der türkischen Küche probieren, bekomme den dazugehörigen Namen gesagt und werde anschließend von der ganzen Meute beobachtet.
Sage ich »oh«, freuen sich alle, lachen und klatschen in die Hände, verziehe ich das Gesicht, wiederholen sie den Namen des Gerichts, lachen noch mehr und klatschen noch lauter in ihre Hände. Verständnis ohne Worte.
Die Solidarität gefällt mir. Als sie mir aber mein Tablett mit meinem Mittagessen wegnehmen, dieses kopfschüttelnd auf den Klinikflur hinaustragen und auf dem bereitgestellten Wagen für Schmutzgeschirr abstellen, wehre ich mich entschieden.
»Ich will mein Schweineschnitzel mit den Spätzle wieder haben!«, rufe ich laut.
Das war das Ende unserer Freundschaft.
Zeitlupengleich öffnet sich später die Tür, die Frauen starren gebannt darauf, vergessen zu kauen und erschrecken sehr, als ein Bärenkopf ins Zimmer schaut. Zuerst lugt ein brauner Kopf mit riesengroßen Knopfaugen, danach eine grüßende Hand, später ein frech wippender Fuß ins Zimmer. Letztendlich ist der Mensch sichtbar, der mit ausgefransten Jeans und Turnschuhen solche Narreteien treibt und den Riesenbären wie eine Trophäe vor sich herschleppt.
»Den habe ich im Spielzeugladen in unserer Straße gekauft. Er stand zu lange im Schaufenster und hat ein paar helle Flecken von der Sonne abbekommen, deshalb konnte ich den Preis runter handeln. Ein echtes Schnäppchen«, sagt mein Mann begeistert, als er mit diesem Riesenvieh an meinem Bett angekommen ist. Meine Müttergenossinnen verziehen ihre Gesichter. Ausnahmslos.