Gisela Sachs

Vorsicht! Mann in Wechseljahren


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von meinen Wangen, putze meine Nase und schäme mich. Mein Blick verharrt auf dem Blutfleck am Boden.

      »Entschuldigen Sie bitte«, sage ich leise.

      Mein Hausarzt sieht mich an. »Erzählen Sie ruhig weiter, Frau Schneider.«

      »Ich peppe meine alten Kleider mit modischen Accessoires auf, statt mir neue zu kaufen.«

      Dr. Clemens nickt.

      »Ich kaufe weder teure Cremes noch Schminkutensilien, benutze die ausrangierten Tester aus dem Kosmetikstudio meiner Freundin Barbara. Ich spare, wo es nur geht, die Kinder sollen das Haus einmal schuldenfrei erben, außerdem steht die Hochzeit unserer Tochter vor der Tür. Es ist üblich, dass die Brauteltern die Hochzeit bezahlen. Ich habe eine Hochzeit-Sparschachtel angelegt. In Herzform. Eine cremefarbene mit gelben Rosen und zwei Täubchen drauf. Jeden Cent, den ich irgendwo einsparen kann, horte ich in dieser Schachtel. Es ist mir eine Herzenssache.«

      Dr. Clemens nickt.

      »Ich habe aber erst 305,70 Euro zusammen. Und die Hochzeit ist schon in vier Monaten. Bis jetzt reicht das Geld noch nicht einmal für ein Viertel des Brautkleides, das sich meine Tochter im Atelier Noblesse ausgesucht hat. Ein rotes. Ein schönes. Ausgefallen und exklusiv. Mit einem passenden Schirm aus echter Brüssler Spitze dazu. Der Schirm ist ein Muss für jede Braut, die auch nur einigermaßen Stil hat, meint meine Tochter. Aber das würde ich sowieso nicht verstehen, so altbacken wie ich bin.«

      Dr. Clemens zieht seine Stirn zu Furchen. »Meint Ihre Tochter?«

      »Er hat eine Spannweite von 80 cm, das ist so groß wie ein Standard-Kopfkissen, Herr Doktor.«

      »So, so, Frau Schneider.«

      »Und unserem Großen ist letzte Woche der Fernseher kaputtgegangen. Der Bub hat aber kein Geld für einen neuen, die Reise nach Norwegen hat seine allerletzten Ersparnisse verschlungen. Norwegen ist ein teures Land, Herr Doktor. Für acht Tage hat unser Großer 4.000 Euro hinlegen müssen. Und er hat doch in vier Wochen Geburtstag und …«

      Die Wörter schlagen in meinem Mund Purzelbäume und ich spüre wie die Hitze in meinem Herzen den Kopf erreicht. Wie brodelndes Lava. Im Innern wütet der Feuerteufel Gluto.

      »Unser Mittlerer ist von seiner Freundin verlassen worden und kann die teure Wohnung nicht alleine unterhalten. Ich habe ihm versprochen, dass ich ihm jeden Monat eine kleine Summe zukommen lassen werde. So lange jedenfalls, bis er etwas Günstigeres gefunden hat. Aber der Bub fühlt sich in der Wohnung doch so wohl, Herr Doktor. Sie liegt auch so günstig zur Stadtnähe, er kann zu Fuß in sein Büro laufen und …«

      Dr. Clemens greift nach dem Blutdruckmessgerät. Sie steigern sich da gerade in etwas hinein, Frau Schneider. Ihren Arm bitte, Frau Schneider.«

      »Mein Mann sagt, ich sei pessimistisch. Dabei war ich immer eine Frohnatur, Herr Doktor. Ich habe immer alles halb schlimm und doppel gut gefunden.«

      »Ganz ruhig, Frau Schneider.«

      »Er sagt, ich sei rechthaberisch, stellen Sie sich das einmal vor, Herr Doktor. Dabei fresse ich alles in mich rein, weil ich schon lange keine Kraft mehr zum Streiten habe.«

      »190 zu 130«, sagt Dr. Clemens. Er läuft zur Glas-Vitrine und zieht eine Spritze auf.

      »Wir spritzen etwas zur Beruhigung, Frau Schneider.«

      »Ich würde immer herummotzen, sagt mein Mann. Das tue ich aber nur im Notfall, Herr Doktor. Nur dann, wenn es wirklich gar zu arg mit ihm ist und wenn ich übermüdet und überarbeitet bin.«

      »Ihren Oberarm, bitte Frau Schneider.«

      »Gestern zum Beispiel hat er den Stecker meiner Computertastatur entfernt, weil er meint, dass die Stromkosten zu hoch sind, wenn ich täglich eine Mail an meine Tochter sende. Das ist doch nicht normal, Herr Doktor. Ich habe …«

      Dr. Clemens zückt den Rezeptblock. »Ich schreibe Ihnen noch etwas für die Nacht auf, Frau Schneider. Damit Sie besser schlafen können. Ein ausgeruhter Mensch kann viele Dinge leichter ertragen.«

      »Er sagt, ich sei negativ eingestellt.«

      »Sie nehmen davon eine halbe, kurz vor dem zu Bett gehen, Frau Schneider.«

      »Er bringt mich um Herz und Verstand, Herr Doktor!« Dr. Clemens streicht behutsam über meinen Rücken.

      »Ich gebe Ihnen einen Rat, Frau Schneider.«

      »Ja?«

      »Stürzen Sie sich ins Leben, liebe Frau Schneider. Sie leben nur einmal. Denken Sie ab sofort nur noch an sich. Gehen Sie zum Friseur, Frau Schneider. Zur Massage! Lassen Sie sich verwöhnen, Frau Schneider! Nehmen Sie das Geld aus Ihrer gelben Schachtel und gehen Sie damit shoppen.«

      »Die Schachtel ist cremefarben.«

      Dr. Clemens kratzt seine Stirn. »Äh …«

      »Die Rosen darauf sind gelb, Herr Doktor!«

      »Kaufen Sie sich neue Kleider, Frau Schneider. Gehen Sie ins Theater, ins Konzert, lenken Sie sich ab. Und hören Sie endlich damit auf, sich um das Wohl Anderer zu sorgen!«

      Er sieht mich durchdringend an. »Hören Sie mit dem Sparen auf, Frau Schneider! Ansonsten haben Sie für Ihren Sarg gespart.«

       6. Kapitel

      »Du hast schon wieder zugenommen, Margitchen.«

      Kritisch lässt meine Freundin ihren Blick über meine Taille schweifen.

      »Eigentlich nicht, Barbara.«

      »Die Schokoladencroissants. So ein Ding hat fast 500 Kalorien, Margitchen.«

      Winfried trommelt belustigt auf meine Oberschenkel. »Da ist was dran, Babsi, was?«

      »30% Fettanteil«, nuschelt meine Freundin.

      Barbara und mein Mann blinzeln sich verschwörerisch zu. Sie mögen sich. Sehr sogar. Und das, obwohl er kein Beamter auf Lebenszeit war, sondern Berufskraftfahrer. Barbara war auf Wunsch meines Mannes unsere Trauzeugin und ist die Patin unseres Erstgeborenen. Das ‚Margitchen’ hat Barbara von Winfried übernommen. Meine Freundin findet die Verniedlichung meines Namens süß, mich ödet die gönnerhafte Ansprache an.

      »Das war eine großartige Idee mit dem gemeinsamen Frühstück, lieber Winnie«, gurrt Barbara.

      Mein Mann lächelt wie ein Hamster, Barbara schiebt ihr Frühstücksgedeck zur Tischmitte, wischt sich mit der Serviette die Krümel aus den Mundwinkeln, steht auf und greift nach ihrer Strickjacke, die sie wie immer über die Stuhllehne gehängt hat, obwohl wir über eine Einbaugarderobe verfügen. Sie küsst meinen Mann links und rechts auf die Wangen.

      »Was wäre ich doch glücklich, wenn ich so ein Goldstück wie dich zu Hause hätte, Winnie.«

      Das Hamsterlachen wird breiter. Der beifallheischende Blick meines Mannes trifft mich. Ich schaue auf unseren Plattenboden, Fliesenserie Landschaftsgrüße: Provence.

      »Wie«, sage ich.

      »Was wie?«, fragt Barbara.

      »Es heißt: wie wäre ich doch glücklich und nicht was. Zudem ist Winfried kein Beamter auf Lebenszeit, falls dir das entgangen sein sollte, Barbara.«

      »Mit dir ist heute Morgen wieder einmal nicht gut Kirschen essen, Margitchen.«

      Barbara sieht auf ihre Armbanduhr. »Ich muss los, Leute!«

      Mein Mann begleitet meine Freundin bis zur Haustür. »Jetzt hast du es selbst erlebt, wie aggressiv und rechthaberisch das Margitchen geworden ist, Babsi.«

      Barbara schürzt die Lippen. »Hm, darüber sollten wir uns vielleicht einmal ausführlicher unterhalten, Winfried.«

      »Ich habe mich schon bei unserem Hausarzt informiert, Babsi, hatte letzte Woche ein ausführliches Gespräch mit Dr. Clemens. Eine dreiviertel Stunde lang.«

      »Oho?!«