Befinden gerade, Margitchen? Also ich bin gerade bei Skala 10. Weißt du …«
»Stopp, Ulli. Wir sind nicht mehr in der Gruppentherapie«, wehre ich mich.
»Aber Margit, wir haben uns doch in der Gruppe so gut verstanden. Und wo ich doch in solchen Schwierigkeiten stecke.«
»Lieber Ulli, deine Probleme fallen nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Dazu habe ich weder Lust noch Zeit. Jetzt ist wieder normales Leben für mich angesagt!«
»Aber Margit …?«
Ich schalte das Telefon auf stumm und hole die Bratpfanne aus dem Küchenschrank.
»Helmut und Klaus-Otto haben nicht angerufen«, stellt mein Mann fest, während ich das Öl in die Pfanne träufele.
»Mir geht es so gut wie noch nie in meinem Leben, Margitchen«, säuselt Helmut Tage später in die Muschel. »Ich habe meine große Liebe gefunden, Margitchen. Meine ganz große Liebe. Endlich!«
Er säuselt. »Wir gleiten auf der gleichen Wellenlinie, Margitchen.«
»Aha?«
»Wir haben die gleichen Hobbys, mögen die gleiche Musik, dasselbe Essen, lieben die gleichen Farben, haben den gleichen Humor und … Ich werde Manfred zu Herberts 60. Geburtstag mitbringen. Er ist ja so ein feiner Kerl. Du wirst ihn mögen, Margit!« Ich wundere mich über diese Neuigkeit nicht all zu sehr, habe
Helmuts Neigung zu Männern schon längst erkannt.
»Das wird eine Gaudi, Margitchen«, sagt er begeistert. »Dann sind wir endlich wieder vereint.«
Er lacht laut über seinen Witz. Ich halte den Hörer weit weg von meinem Ohr.
»Du hast doch auch eine Einladung bekommen, Margitchen?«
Helmut wartet keine Antwort ab. »Bringst du deinen Winfried mit? Bleibt ihr über Nacht? Wir könnten am Morgen danach zusammen wandern gehen. Mein Manfred wandert doch so gerne, Margit. Wir bleiben für drei Tage. Manny hat sich extra Wanderschuhe gekauft. Braunorangenfarbene. Mit rutschfester Gummisohle und Shockabsorber. Du weißt doch, was ein Shockabsorber ist, Margit? Meine Ex trug ja so was als BH.«
Helmut wiehert wie ein Pferd. »Immer wenn sie mit dem Hund Gassi ging. Du weißt doch, dass wir früher einen Hund hatten, Margit. Einen Dackel. Ich habe dir Bilder von unserem Waldi gezeigt …«
Ich versuche Helmuts Redefluss zu stoppen. »Was ist denn aus deiner Frau geworden, Helmut?«, frage ich nach. »Ihr geht’s doch gut?«
»Mach dir da mal keine Sorgen, Margit. Die Gabi macht es sich mit ihrem Mädel in einem Wellness-Hotel in Schwäbisch Hall gemütlich.«
»Aha?«
»Du weißt doch, dass wir eine Paartherapie gemacht haben, Margit. Das habe ich dir doch erzählt. Und da hat es sich herausgestellt, dass wir lieber mit dem eigenen Geschlecht zusammen sind.«
»Aha!«
»Was heißt denn hier aha, Margit?«
»Nun ja, die Regel ist das ja wohl eher nicht, Helmut.«
»Du bist in manchen Dingen so richtig vorgestrig, Margit. Man(n) muss auch anderweitige Erfahrungen sammeln, kann nicht immer den gleichen Trott leben. Mein Gott, Margit. Mit 60 fängt das Leben doch erst richtig an!«
3. Kapitel
Rückblick
Es war am Rosenmontag, ich hatte Nachtdienst und war hundemüde. Eigentlich wollte ich nur noch eines in mein Bett. Das penetrante Klingeln des Telefons erschrickt mich, ich lasse den Kaffeelöffel aus meiner Hand fallen, bücke mich danach und schlage mir den Kopf an der offen stehenden Schranktür an.
»Scheiße!«
Ich gebe der Tür einen Fußtritt. Wenn ich übermüdet und hungrig bin, bin ich äußerst schreckhaft und gereizt. Das war schon in meiner Kindheit so. Ich reibe mit den Fingerspitzen meiner rechten Hand über die schmerzende Stelle an meinem Kopf, trinke einen Schluck des noch zu heißen Kaffees.
»Auuu. Heute geht wirklich alles schief.«
Ich knalle die Tasse auf den Spültisch und lasse mich seufzend auf den Küchenstuhl gleiten, lege die Hände gekreuzt auf den Holztisch, meinen Kopf darauf und ergehe mich in Selbstmitleid. Das Telefon läutet immer noch. Genervt stehe ich auf und sehe auf dem Display die Nummer meiner Freundin Barbara. Was will die schon wieder? Die weiß doch, dass ich Nachtdienst hatte.
Ich greife nach dem Hörer. »Ja?«
»Ich bin’s, Margit. Die Barbara.«
»Ich weiß.«
»Ich habe Fasnachtsküchle gebacken, Margit. Lass mal einen Kaffee durch, ich bin in zehn Minuten bei dir!«
»Ich hatte Nachtschicht, Barbara.«
»Ich weiß.«
»Ich will in mein Bett, Barbara!«
»Heute ist Rosenmontag, Margit. Und da gibt es wie jedes Jahr Fettgebackenes. Das magst du doch so gerne.«
»Ja schon, Barbara. Aber nicht zum Frühstück. Und nicht nach der Nachtschicht.«
»Also dann in zehn Minuten, Margit.«
»Ich habe keine Lust auf Fasnachtsküchle, Barbara.«
»Dann komme ich mit einer Brötchentüte bei dir vorbei.«
»Ich bin müde, Barbara!«
»Sie sind in Schmalz ausgebacken, Margit.«
»Was?«
»Die Fasnachtsküchle.«
»Ich gehe jetzt ins Bett, Barbara!«
»Ich dachte, wir frühstücken zusammen, machen danach einen Schneespaziergang. Ich habe dir ja so viel zu erzählen, Margit. Ich habe da einen Mann kennengelernt …«
»Schon wieder?«
»Wir könnten uns aber auch beim Chinesen treffen und ich erzähle dir dann beim Mittagessen von meinem Fisch im Netz, einem ganz dicken Brocken, Margit, höchstwahrscheinlich ein Beamter, vielleicht sogar ein Beamter auf Lebenszeit. Der Horst hat so gepflegte Hände, Margit.«
»Aha.«
»Am Nachmittag habe ich einen Friseurtermin, dann kannst du dich ausruhen und für den Rosenmontagsball aufhübschen, Margit.«
»Ich bin müde, Barbara!«
»Karin, Jutta und Anna gehen auch mit.«
»Aha?«
»Ich habe den Mädels fest zugesagt für heute Abend. Auch für das Hering-Essen am Aschermittwoch. Für uns beide, Margit.«
»Aha?«
»Du hast doch jetzt ein paar Tage frei und …«
»Meine Güte, Barbara, ich will in mein Bett. Lass mir doch einfach meine Ruhe!«
»Oh, du bist wieder einmal überarbeitet, Margit. Dann sehen wir uns aber morgen Abend beim Faschingsdienstagsball in der Stadthalle.«
»Mir ist nicht danach Fasching zu feiern, Barbara.«
»Ich bin dieses Jahr als laszive Nonne unterwegs.«
Barbara lacht wie ein Grünspecht. »Du ziehst wahrscheinlich wieder dein braves Corsagen-Tanz-Kostüm an, habe ich recht, Margit?«
»Ich hole dich sicherheitshalber von zu Hause ab, Margit, damit da mal nichts schief geht. So gegen 19.00 Uhr. Gute Nacht. Bis Morgen dann, Margit.«
Sie räuspert sich. »Und schlaf dir gute Laune an, Liebes.«
»Gute Nacht ist gut, Barbara.«
Ich stöhne. »Du weißt ja, wie hellhörig dieses Haus tagsüber ist.«
»Da