triumphierend seine Schätze in die Höhe, wenn er mich am Küchenfenster entdeckt.
»Alles vom Vortag und zum halben Preis, Frau«, freut er sich. Wo soll das noch hinführen, sorge ich mich. Mittlerweile bin ich reif für eine Kur.
Er hat 65 Hemden im Schrank. 38 Hemden mit langen Ärmeln und 27 Hemden mit kurzen Ärmeln. Sie hängen farblich sortiert und in abgemessenem Bügelabstand von drei Zentimetern im Schrank. Winfried verringert den Abstand auf zwei Zentimeter. Er ist sichtlich aufgeregt. »Die Boutique Meissner bietet wegen Umbauarbeiten Designerhemden zum halben Preis an. Seit gestern schon.«
Er kratzt seine Stirn. »Ich habe das viel zu spät erfahren, Frau. Hoffentlich bekomme ich noch welche ab. Da werde ich mal ordentlich zuschlagen, Frau, wenn man doch so viel Geld sparen kann.«
»Heute brauche ich das Auto«, sage ich.
»Du brauchst das Auto?«
»Ich habe einen Arzttermin, Winfried.«
»Einen Arzttermin? Weswegen denn, Frau?«
»Die Krebsvorsorge, Winfried …«
»Du kannst den Bus nehmen, Margitchen.«
»Du auch, Winfried«, entgegne ich.
»Mein Gott, Frau, wie bist du doch wieder zickig heute!«
»Gib mir den Autoschlüssel«, sagt mein Mann, als ich Stunden später zurückkomme und streckt verlangend die Hand aus. Er sieht mich strafend an. »Jetzt hast du mich aber lange warten lassen, Frau.«
Er runzelt die Stirn. »Wie viele Dellen hast du reingefahren?«
»Keine«, sage ich, drücke mich an ihm vorbei ins Haus, in die Küche, schalte die Kaffeemaschine ein und decke den Tisch. »Ich habe Kuchen für uns mitgebracht, Winfried«, sage ich versöhnlich.
»Ich muss noch mal ans Auto«, sagt er. Ich beobachte ihn vom Küchenfenster aus.
Er schleicht um das Auto herum, schließt die Fahrertür auf, begutachtet das Polster, zupft etwas weg. Ein Haar vielleicht? Danach öffnet er den Kofferraumdeckel, betrachtet nachdenklich den Innenraum, schließt ihn wieder, dreht nochmals zwei Runden ums Auto. Er atmet tief durch, bevor er ins Haus zurückkehrt.
»Ist ja noch einmal gut gegangen, Frau«, seufzt er und sticht mit der Kuchengabel erleichtert in den Käsekuchen.
»Ich habe den Führerschein länger als du«, bemerke ich.
»Du willst schon wieder streiten, Frau …«
»Bei Obi gibt es gerade eine Farb-Aktionswoche«, erzählt Winfried mir am Telefon. Ich bin für ein paar Tage zu meiner an Grippe erkrankten Schwester in den Odenwald gereist, um deren Haushalt zu schmeißen. Mit dem Zug. Das Auto hat Winfried mir verweigert, weil ich ihn nicht mitnehmen wollte.
Er ruft jeden Tag mindestens fünfmal an.
»Kommt ihr auch wirklich ohne mich klar, Frau?«
Er wartet vergeblich auf eine Antwort von mir, räuspert sich und brüllt noch lauter in die Muschel.
»Ich habe dich gefragt, ob ihr ohne mich klar kommt, Frau?«
»Natürlich kommen wir ohne dich klar, Winfried.«
»Du fehlst mir, Frau«, sagt er leise.
»Hm.«
»Es ist so ruhig hier ohne dich, Frau, fast schon langweilig.«
»Du solltest dir ein Hobby zulegen, Winfried.«
»Aber du bist doch …«
»Ach Winnie«, seufze ich. »Das Thema haben wir doch schon durch.«
Er flötet in die Sprechmuschel. »Wenn du heimkommst, wartet eine Überraschung auf dich, Margit.«
»Wirklich?«
»Wirklich!«
Er hat mich Margit genannt. Und er will mich überraschen so wie früher. Alles wird gut! Ich bin fest davon überzeugt.
Als ich wegen einer Mitfahrgelegenheit einen Tag früher und unangesagt zu Hause ankomme, bleibt mir die Luft in der Röhre stecken. Die rechte Hauswand leuchtet in Sonnengelb, die linke in Schweinchenpink, die Fensterrahmen sind moosgrün. Meine Blicke streifen ungläubig über unser Haus. Ich sehe schemenhaft die Umrisse meines Mannes hinter den Küchenfenstergardinen. Sekunden später reißt er die Haustür auf.
Er strahlt wie ein Honigkuchenpferd am Weihnachtsbaum, drückt mich so fest an sich, dass ich keine Luft mehr bekomme.
»Mein Margitchen. Du hast es keinen Tag mehr länger ausgehalten ohne mich, gell, Frau?!«
Er lässt mich abrupt los. »Hast du unser Haus gesehen, Frau? Das ist eine Überraschung, was? Sind alles Restbestände aus dem Baumarkt«, sagt er mit stolzgeschwellter Brust.
Ich stelle meine Reisetasche im Flur ab, schnappe mein Rad und versuche, meinen Frust abzustrampeln. Als ich von meiner Strampeltour zurückkomme, ist unsere Haustür, die vor ein paar Stunden noch kiefernfarben war, mahagonibraun. Auf der obersten Treppe steht ein leerer Farbeimer. Vorsichtig schließe ich die Haustür auf, laufe durch unser Wohnzimmer in den Garten und falle in die Tiefe.
»Eigentlich wollte ich das Gartenhaus streichen, dafür hat die Farbe aber nicht gereicht, für die Haustür gerade noch, die hat ja auch viel weniger Fläche«, stammelt Winfried, als die Männer vom Rettungsdienst mich auf eine Trage legen und mit einem Gurt festzurren. Mein Blick streift die Schachtabdeckung, die an der Hauswand lehnt.
»Ich möchte nicht, dass mein Mann mich im Krankenwagen begleitet«, mache ich meinen Erstversorgern klar.
»Ich will ihn nicht sehen«, sage ich später zu den Schwestern in der Chirurgischen Abteilung. Drei Rippen habe ich gebrochen, kann mich kaum bewegen und bin stinkesauer auf meinen Mann. Heute noch werde ich eine Kur beantragen.
2. Kapitel
In der Therapiegruppe sind vorwiegend Männer zwischen 50 und 60 Jahren. Alle paar Minuten steht einer auf, um pinkeln zu gehen. Und immer dauert es Ewigkeiten, bis sie wieder in den Raum zurückkommen. Alle vermeiden jeglichen Blickkontakt mit mir, setzen sich verschämt auf ihren Stuhl und starren auf den Fußboden. Phänomenal!
Nach dem Mittagessen sitzen täglich jeweils vier der Herren dicht nebeneinander auf zwei Bänken und beobachten die Enten auf dem Chiemsee. Mit dem Glockenschlag um drei Uhr erheben sich täglich acht Hinterteile synchron von der Holzbank, streichen sich acht Männer synchron mit der rechten Hand über ihren Rücken und watscheln schwerfällig Richtung Klinik. Da gibt es mittags ab drei Uhr Kaffee.
Es ist wohl ein Wink des Schicksals, dass ich mit Männern in der Andropause zusammen sein muss, denke ich. Und um den Schicksalswink anzunehmen, verbringe ich viel Zeit mit den Herren. Wir kochen gemeinsam in der Stationsküche, gehen ins Kino und machen Ausflüge mit dem Boot. Acht Herren rudern fast täglich parallel in zwei Booten synchron zur Fraueninsel rüber. Ich verkneife mir das Lachen, weiß ich doch von zuhause, dass Männer in den Wechseljahren selten einen Spaß verstehen.
Mein Mann besucht mich jedes Wochenende und erteilt den Männern meiner Gruppe regelmäßig Ratschläge über den konsequenten Umgang mit mir, nimmt ihnen jedes Wochenende von Neuem die Ehrenworte ab, unter der Woche gut auf mich aufzupassen. Er würde sich erkenntlich zeigen, meint er. Die Wochenenden sind sehr anstrengend für mich und der mich behandelnde Psychologe hält es für sinnvoll, dass ich meinen Aufenthalt in der Klinik verlängere.
Ich nehme seinen Vorschlag begeistert an, mache meinem Mann klar, dass die wöchentlichen Benzinkosten für die Besuche große Löcher in unsere Haushaltskasse reißen und dass er an den Wochenenden einfach einmal seine Seele baumeln lassen, Musik hören, ein gutes Buch lesen und sich vor allem nicht dem Stress des Wochenendverkehrs aussetzen soll. Die Kostengründe überzeugen ihn letztendlich.
»Danke«, sagt mein Mann zu den Männern, als er