Anett Theisen

Charlys Sommer


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hielt sie den Atem an.

      „Geben Sie mir Ihre Visitenkarte und ich werde ihr ans Herz legen, sich bei Ihnen zu melden.“

      Sie hörte Gereon seufzen, dann verabschiedete er sich. Als sie den Porsche starten hörte, atmete sie auf und trat aus ihrem Kämmerchen.

      „Vielleicht geht es mit Familie schneller als gedacht – du hast einen Verehrer“, schmunzelte ihr Chef und reichte ihr Gereons Karte.

      Sie drehte sie um.

      ‚Ich möchte Sie treffen. Bitte. G’, las sie.

      „Sieht ganz so aus.“

      ***

      Charly fuhr in Schrittgeschwindigkeit auf das Gelände des Reitvereins. Eine junge Frau führte eine Fuchsstute mit auffällig gekrümmter Blesse zum Außenreitplatz, Charly grüßte und parkte ihr Motorrad vor dem Büro. Die Tür war nur angelehnt und sie klopfte. Sie rechnete mit keiner Antwort, aber es ertönte gleich darauf ein kräftiges „Herein“.

      Sie trat ein. Der Chef des Reitvereins war etwa im Alter ihres Vaters, ein mittelgroßer, schlanker Mann mit ruhigem Naturell. Sie kannte ihn flüchtig vom Sehen.

      „Was kann ich für Sie tun?“ Er legte die Papiere, in denen er geblättert hatte, beiseite, und winkte sie zu einem Sessel der Besuchersitzgruppe.

      „Ich möchte ein etwas ungewöhnliches Anliegen besprechen“, begann Charly.

      Mit ermutigender Handbewegung setzte er sich ebenfalls.

      „Ich habe ein Fohlen und brauche einen Spielkameraden für ihn. Die Mutterstute stammt von einem Schlachttransport, der vor einiger Zeit vom Tierschutzverein unterbrochen wurde.“

      „Also noch nicht alt?“

      „Anderthalb Wochen. Die Mutter ist schon ziemlich betagt und noch sehr dünn, trotz Zufütterung, und bräuchte ab und an etwas Ruhe vor dem Quälgeist.“

      Nachdenklich strich er sich über den grau melierten Drei-Tage-Bart. Er sah müde aus. „Ich dachte schon, Sie seien die Antwort auf ein dringendes Problem, aber der zweite Teil ihrer Erklärung hört sich eher nach weiteren Schwierigkeiten an. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen, was ich meine.“

      Sie verließen das Bürogebäude über eine rückwärtige Tür und gingen zu einem der kleineren Nebenställe. In der letzten Box lag ein sehr kleines Fohlen zu einem Oval eingeringelt unter einer Wärmelampe und rührte sich auch bei ihrer Annäherung kaum.

      „Der ‚Kleine Prinz’ wurde viel zu früh geboren, die Stute war gestürzt und musste nach der Geburt eingeschläfert werden. Wider Erwarten hat er die ersten Tage überlebt. Im Moment füttern wir ihn mit der Flasche und Ersatzmilch. Wir bräuchten dringend eine Ammenstute, aber bisher hat keine den Kleinen angenommen.“

      Charly überlegte. „Ich würde es ja darauf ankommen lassen…“, dachte sie laut.

      „Aber?“, soufflierte er.

      „In dem Transport war ein Hengst, der ganz eifersüchtig über die Stute und ihr Fohlen wacht. Selbst wenn die Stute willig wäre, bleibt die Frage, wie der Hengst reagiert und ob man bei Schwierigkeiten an den Kleinen wieder herankäme, wenn der Hengst ihn akzeptieren sollte. Vom Transportproblem ganz abgesehen. Das Fohlen und die Stute bekäme ich noch in einen Hänger, aber den Hengst?“, äußerte Charly ihre Bedenken.

      „Also müssten wir den Kleinen zu Ihnen bringen?“

      „Ich müsste die Koppeln tauschen, dann könnte der Kleine in den Unterstand. Ich bin allerdings über Nacht unterwegs, kann also die Bande nicht beobachten“, überlegte Charly weiter.

      Er schmunzelte. „Das kriege ich grade noch geregelt. ‚Versuch macht klug’, heißt es so schön. Dann packen wir den Burschen ein und schauen, was Ihre Stute dazu sagt.“

      Er reichte ihr einen Autoschlüssel, trat in die Box und hob das Fohlen auf seine Arme. Sie hielt ihm die Türen auf und er wies auf einen großen Geländewagen. Im Heck des Wagens stand eine weich ausgepolsterte Wanne, in die er das Fohlen vorsichtig hineinsetzte.

      „Es ist nicht seine erste Fahrt.“ Er deckte das Fohlen mit einer weiteren Decke zu und klappte einen Gitterdeckel über die Wanne. „Auf geht’s.“

      Charly fuhr langsam voraus. Auf ihrem Hof angekommen trugen sie das Fohlen auf die Koppel und stellten es auf die Beine. Sie mussten es stützen, damit es nicht umfiel. Der Hengst kam als Erster heran, um zu erkunden, was auf seiner Koppel vor sich ging, und beschnupperte das Fohlen ausgiebig. Der Kleine wurde etwas lebendiger, wandte sich dem Hengst zu und machte leise, quietschende Geräusche. Der Hengst wandte sich ab und schob die Stute auf das Fohlen zu. Auch sie beschnupperte den Kleinen. Dann wandte sie ihm die Flanke zu. Sie dirigierten das Fohlen zu ihrem Euter und gleich darauf hörten sie schmatzende Geräusche, die auf der anderen Seite Nachahmung fanden. Charly legte die Hand auf den zarten Körper des Fohlens und fühlte, wie dessen Bauch rund wurde. Dann ließ sich der kleine Hengst erschöpft auf den Boden sinken. Die Mutterstute trat daneben und begann das Fohlen abzulecken.

      „Das ging ja fast zu einfach“, stellte der Chef des Reitstalles fest. Er hielt ihr die Hand hin. „Bernd.“

      „Charly. – Dann bringen wir den Kleinen in den Unterstand. Ich gehe davon aus, dass Phoenix“, sie deutete auf den Schimmel, „die Stute und ihr Fohlen hinter uns herscheuchen wird.“

      Er nickte und hob den Kleinen Prinz wieder auf seine Arme, die Mutterstute folgte aus eigenem Antrieb, dann ihr Fohlen, der Hengst bildete das Schlusslicht. Im Gänsemarsch gingen sie durch das alte Törchen bis zum Eingang der alten Koppel. Charly schlüpfte durch den Zaun, schnappte aus dem Unterstand Halfter und Führstricke und hatte binnen kurzem Napoleon, Freddy und die beiden Esel außen am Zaun angebunden. Die kleine Kavalkade marschierte auf die Koppel und Charly schloss aufatmend den Zaun. Sie polsterten gemeinsam ein kuscheliges Strohnest aus und hoben das Fohlen hinein.

      „Ich hole die Wärmelampe. Sie sollten derweil außerhalb der Koppel warten, der Hengst ist unberechenbar bis offen aggressiv gegenüber Männern.“

      Er wandte sich um und musterte den gleichgültig hinter ihm stehenden Schimmel erstaunt, folgte jedoch ihrem Vorschlag. Sie installierte die Wärmelampe, währenddessen telefonierte er und organisierte die Beobachtung der Pferde. Schließlich brachte sie noch ihre Tiere auf der improvisierten Koppel auf Peters Grundstück unter. Als sie zurückkehrte, lag Pollux neben dem neuen Fohlen. Der Hengst stand eine Armeslänge vor Bernd und schien mit ihm Zwiesprache zu halten.

      „Die Überraschungen nehmen kein Ende“, stellte sie fest.

      Er antwortete nicht sofort. Erst, als der Hengst seine Aufmerksamkeit von ihm abwandte, sah er Charly an. „Man weiß nie, was Tiere auf einem solchen Transport erlebt haben, oder, wie die Stute, in ihrem langen Leben davor. Wie verhalten sie sich dir gegenüber?“

      „Ich lasse sie weitgehend in Ruhe. An die Stute habe ich mich noch nicht herangewagt, außer zum Füttern. Sie ist nicht direkt scheu, eher zurückhaltend, mitunter desinteressiert. Als wolle sie möglichst keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Der Hengst ist mir gegenüber recht aufgeschlossen, wachsam zwar, und schreckhaft, aber nicht aggressiv. Lässt sich auch gerne putzen. Den Männern, die ihn und die anderen Pferde aus dem Transporter geholt haben, hat er jedoch ziemliche Schwierigkeiten bereitet, gebissen und geschlagen. Wie mir berichtet wurde, konnten sie ihn nur zu viert und mit Führstangen handhaben. Von meinem Nachbarn nimmt er Leckerchen, meiner Nachbarin begegnet er in etwa wie mir. Mehr Erfahrungen haben wir noch nicht miteinander, von meinem blauen Auge abgesehen. Aber das war ein Unfall, und ich denke, es tat ihm leid, wenn man das so nennen kann.“ Sie erzählte die Begebenheit.

      „Er hat einen starken Beschützerinstinkt und er scheint dir zu vertrauen – oder dich als Teil seiner Herde zu betrachten. Was ich von ihm gesehen habe, weist auf einen umgänglichen Grundcharakter hin, der von dir beschriebenen Aggressivität würde ich schlechte Erfahrungen mit Männern zugrunde legen. Vorsicht im Umgang mit ihm ist sicher angebracht, aber als gefährlich