hervor, die sie Frank diskret über den Tisch zuschiebt. Ihrer Meinung nach kommt es nur auf umfassende Informationen an, dann wird ihr Mann seine Meinung schon ändern. Als Frank die letzte Seite ansieht, auf der interessierte Paare unverbindlich zu Club-Parties eingeladen werden, fühlt sie eine gewisse Aufregung. Frank sieht seine Frau völlig verstört an, es ist ihr tatsächlich ernst. Jetzt strahlt sie auch noch.
„Ich habe uns schon sexy Outfits besorgt, Frank, in Schwarz, was meinst du?“
„Zahlen, bitte! Sofort!“ Er verspürt eine heftige Übelkeit, die gewiss nicht das exzellente Essen verursacht hat.
Ein Besuch im Swinger-Club bildet jetzt das regelmäßige Thema beim Abendessen - und im Schlafzimmer. Das empfindet Frank nicht nur unangenehm, sondern auch peinlich. Manchmal bleibt der Ton locker, dann gibt es schon fast „Was-wäre-wenn-Bilder“ und manchmal enden die Gespräche in einem handfesten Streit. Nämlich dann, wenn Frank sich strikt weigert, an einer Club-Party teilzunehmen. Andreas jahrelang erfolgreich angewandte Durchhalte-Strategie, die auf der Erfahrung basiert, dass Frank am Ende Andrea Alles zu liebe tut, scheint in diesem Fall nicht zu funktionieren. So ruht das Thema nur an den wenigen Wochenenden, an denen Nadine nach Hause kommt.
Kurz vor einer großen Jubiläums-Party im Swinger-Club erreicht Andrea endlich ihr Ziel. Entnervt gibt Frank seine Blockadehaltung auf und stimmt zu, wenigstens ein einziges Mal mit seiner Frau eine Swinger-Party zu besuchen. Sie vereinbaren, lediglich als Zaungäste das Partygeschehen zu beobachten, nur etwas zu trinken. Ein einziges Mal. Völlig irrational erhofft sich Andrea, die allgemeine Krisenstimmung mit einem außergewöhnlichen Event zu überwinden. Der Partyabend verläuft genau wie verabredet, beschwipst kommen die beiden nach Hause. Beim Abschminken gesteht Andrea zerknirscht, dass sie von der Party maßlos enttäuscht ist, sich sogar angewidert fühlt. Auf keinen Fall wünscht sie eine Wiederholung, sie hat immer noch diese Bilder im Kopf. Frank lächelt unbestimmt und geht wortlos zu Bett. Dankbar lächelnd sieht Andrea ihrem todmüden Mann nach. Danach kehrt das Alltagsleben wie von allein zurück. Sogar die Freude an ihrem Arbeitsplatz findet Andrea wieder und meldet sich zu einem mehrtägigen Fortbildungsseminar über effiziente Verkaufsgespräche im Buchhandel an.
Ein paar Monate später erhält Andrea einen Anruf. Regina, die langjährige Lebensgefährtin von Ralf, Franks engstem Kollegen und Freund, meldet sich fast unverständlich. Frank und Ralf sind gerade von einer anstrengenden Dienstreise zurückgekehrt und entspannen an diesem Abend beim Squash spielen.
Regina weint laut und erzählt etwas von Betrug auf dieser Dienstreise. Andrea hört erst still zu, denn Ralf betrügt Regina nicht zum ersten Mal. Doch dann schreckt sie jäh auf.
„Die beiden waren in einem dieser mega freien Swinger-Clubs, ich fasse das nicht. Und sie besuchen solche Clubs schon seit Monaten. Hörst du überhaupt zu, Andrea? Andrea? Die beiden betrügen uns seit Monaten in diesen Clubs und ich habe keine Ahnung davon. Keinen Schimmer! Ich weiß ja, dass Ralf kein Kind von Traurigkeit ist, aber so was, das ist ganz neu. Ich bin nur durch Zufall dahinter gekommen, weil er sich verplappert hat. Und weiß du, wie er sich rausgeredet hat?“ Sie schluchzt jetzt völlig hemmungslos. „Er sagt, das ist dein Geheimrezept, gegen ein Stimmungstief. Ist das zu fassen?“
Behutsam, als ob es noch etwas zu zerschlagen gäbe, unterbricht Andrea das Gespräch und schlägt die Hände vors Gesicht. Es kommen keine Tränen, ihre Augen bleiben trocken.
Frank betritt fröhlich pfeifend das Haus.
Daniela
Frank startet den nagelneuen, roten Firmen-Truck und macht sich auf den Heimweg. Er ist heilfroh, wieder seine regelmäßige Lieblingsroute von Rosenheim nach Bergen in Norwegen und zurück zu fahren. Die Veränderungen der Landschaft bereiten ihm Freude, er kann stundenlang Radio hören und seinen Gedanken nachhängen. Doch die sind seit einiger Zeit so trübsinnig, dass er sich richtig deprimiert fühlt. Dabei könnte alles so schön sein.
Seine Frau Daniela und er haben sich jahrelang auf die Geburt ihres ersten Kindes gefreut und alles liebevoll, bis ins kleinste Detail, vorbereitet. Als Daniela dann endlich mit Maja schwanger war, hat sie Schritt für Schritt begonnen, ihr gemeinsames Leben auf den Kopf zu stellen. In welchem Ausmaß, wird ihm erst jetzt bewusst, als er den LKW vorsichtig durch einen skandinavischen Schneesturm lenkt, doch er mag diese Witterung, die den Trucker ganz fordert.
Nach ihren hektischen Arbeitstagen an einer Discounterkasse hat Daniela schon während der Schwangerschaft alle Freizeitaktivitäten auf Babypflege und Kleinkinderziehung ausgerichtet. Frank verschweigt ihr seine Meinung bis heute, doch sie hat sie eine viel zu teure Elternzeitschrift abonniert und überflüssige, teilweise sogar esoterische Volkshochschulkurse besucht. Er kann nicht einmal genau beschreiben, was seine Frau im Einzelnen gelernt hat. Die Schwangerschaftsgymnastik war für sie absoluter Kult. Vorsichtig wagt er erst zu protestieren, und zwar vergebens, als Daniela ihre gemeinsame Ernährung radikal umstellt. Sie kauft nur noch biologisch erzeugte Lebensmittel und kocht vegetarisch. Eigentlich eine tolle Idee. Insgeheim hofft Frank, langfristig seine Ernährungssünden etwas ausgleichen zu können. Vielleicht nimmt er ja auch etwas ab? Und er gibt auch gerne zu, dass die Fotos in dem Kochbuch, das Daniela im Internet bestellt hat, frisch und richtig appetitlich aussehen. Im Eingangskapitel steht außerdem etwas von Genießerküche. Nur die Kreationen, die Daniela daraus produziert, sind das absolute Gegenteil. Jedes Mal aufs Neue stellen sie sich als fade und völlig ungenießbar heraus. Lässt sie die Gewürze weg oder verdoppelt sie die Garzeit? Er hat keine Ahnung, warum sie plötzlich so ungenießbar kocht. Mittlerweile freut er sich heimlich auf Currywurst und Pommes frites oder einen großen Cheeseburger während seiner langen Touren.
Wenn er jetzt so darüber nachdenkt, hat sich Danielas außergewöhnliches Verhalten seit Majas Geburt noch weit extremer entwickelt. Dazu fällt ihm sofort diese schreckliche Szene ein, die seine Frau sofort nach der Entbindung ihren beiden jüngeren Schwestern, Heike und Andrea, im Krankenhaus gemacht hat. Während des ersten Besuches hat Daniela ihnen eröffnet, dass sie die kiffenden Zwillinge nicht in der Nähe ihrer kleinen Maja dulden wird. Nie wird Frank die entsetzten Gesichter von Heike und Andrea vergessen und er ist heute noch wütend, dass Daniela Familienangelegenheiten einfach alleine entscheidet, denn die Zwillinge sollten die Patinnen der kleinen Maja werden.
Auch die Auswahl des Kindergartens hat Daniela nur wenige Wochen später selbst in die Hand genommen. Obwohl gerade sie es sich während der Schwangerschaft ausgemalt hatte, wie schön es wäre, zusammen für ihr Kind einen geeigneten Kindergarten auszuwählen. Frank kann sich an diese Gespräche ganz genau erinnern. „Wir werden gemütlich auf unserem Sofa sitzen, bei Kaffee und Keksen und alle Info-Blätter durchsehen, die ich bekommen kann. Und natürlich recherchieren wir im Internet. Bis dahin nehme ich auch alle TV-Dokumentationen zu dem Thema auf, die sehen wir uns dann abends an und ich kann auch noch nach einer speziellen Elternzeitschrift suchen, vielleicht gibt's ja ein Sonderheft zu dem Thema? Was meinst du, Frank?“
„Ich find die Kekse super! Und übertreibst du nicht? Sollten wir uns nicht zuerst den Kindergarten hier im Viertel ansehen, vielleicht ist der ja schon okay?“ Erst im Rückblick bemerkt er, dass sie schon während dieser Gespräche aneinander vorbeigeredet haben. Und er fragt sich, während er langsam durch die Winterlandschaft fährt, zu langsam, denn der Kunde in Rosenheim hat sich schon zweimal telefonisch erkundigt, wann die Waren endlich ankommen, ob Daniela auch die Termine für die Vorsorgeuntersuchungen absichtlich in die Wochen seiner längeren Touren gelegt hat.
„Die Kinderärztin ist super beliebt. Und die Termine sind ganz schnell vergeben. Maja und ich schaffen das schon, sie macht die Tests mit links, ich bereite sie gut vor.“
„Du bereitest ein Kleinkind auf eine Vorsorgeuntersuchung vor? Spinnst du?“
Seit der Geburt der kleinen Maja scheint Daniela in einer Parallelwelt zu leben, ohne dass Frank es bisher realisiert hat. Das geht ihm erst hier in der weißen, weiten Schneelandschaft so richtig auf.
Daniela ist in Eile. Sie parkt das Auto im Halteverbot, nimmt Maja schnell aus dem Kindersitz und rennt mit ihrer Tochter auf dem Arm den bunt gepflasterten Weg hinauf zum Eingang des privaten Kindergartens „Bienenkorb“. Für Daniela ist das der