kein Wort gesagt und antwortet auch nicht, um sich von ihrer Mutter zu verabschieden. Die kleine Figur trottet traurig in ihren Gruppenraum.
Als Daniela sich umdreht und blitzschnell hinaushasten will, steht Frau Müller-Sorge, die Leiterin des Kindergartens, plötzlich neben ihr. Nur der Mund lächelt, die Augen blicken Daniela kühl und forschend an. Auf der Stelle fühlt Daniela sich unbehaglich.
„Guten Morgen, Frau Fischer, ich sehe, Sie sind in Eile. Haben Sie heute in der Mittagszeit ein paar Minuten Zeit für ein kurzes Gespräch?“
Das Lächeln der Kindergartenleiterin verstärkt sich, doch Daniela fühlt sich sofort verunsichert. Sie bleibt abrupt stehen.
„Natürlich habe ich Zeit, Frau Müller-Sorge. Gibt es Probleme mit Maja?“ Daniela wirkt angespannt, sie beobachtet Frau Müller-Sorge aufmerksam.
„Nein, nein, ich möchte Ihnen nur einige Fragen stellen.“
„Aber?“
„Halb so wild, Frau Fischer, darüber sprechen wir heute Mittag, Sie sind ja jetzt sicher schon spät dran. Auf Wiedersehen!“
„Auf Wiedersehen!“
Daniela verlässt eilig und niedergeschlagen den Kindergarten, viel zu schnell fährt sie Richtung Supermarkt. Sie überschlägt sich fast, um pünktlich an ihrer Kasse zu sitzen. Den ganzen Vormittag über muss sie sich zwingen, nicht mit den Gedanken abzuschweifen. Es hat soviel Energie und Geld gekostet, Maja diesen privaten Kindergartenplatz zu ermöglichen und bis heute weiß Daniela nicht, wie sie es Frank beibringen soll, dass ihr uraltes Sparbuch aus Kindertagen Monat für Monat erheblich für die hohen Beiträge schrumpft. Vor allem die Zusatzangebote belasten das Sparbuch, denn sie hat einfach alles, was der Kindergarten anbietet, für ihre Tochter dazugebucht. Und das ist teuer. Majas Vormittag im Kindergarten wird ergänzt von Englischunterricht, musikalische Früherziehung, begleitet von Blockflötenunterricht und von Rhythmikunterricht. Wenn Frank längere Touren fährt, meldet sie Maja für den ganzen Tag im Kindergarten an und bucht für sie nachmittags noch die Kreativgruppe, die auch extra berechnet wird. An diesen Tagen isst Maja mittags im Kindergarten, Bio-Vollwertkost, die die Erzieherinnen frisch zubereiten. Das bedeutet dann einen weiteren Posten auf Danielas Rechnung. Ganz zu schweigen von den Kosten für die Ausflüge, die die Kleinen schon unternehmen. Aber genau diese Form der frühkindlichen Förderung hat Daniela sich für ihr Kind erträumt.
Sie unterzieht Maja täglich nach dem Abholen einem eingehenden Verhör, um möglichst viele Einzelheiten über den Kindergartenalltag zu erfahren. Aber ihre Tochter wird immer verschlossener, zeigt ihr nur widerwillig die Ergebnisse der Bastelstunden und ihre Bilder, die Daniela sofort überschwänglich lobt. Sie hört selbst, wie falsch ihre Stimme klingt, wenn sie fassungslos die Kastanienmännchen ohne Arme oder die pechschwarzen Bilder betrachtet. Aber irgendwann muss doch dieser hohe pädagogische und finanzielle Aufwand Früchte tragen. Es muss einfach klappen, weil sie, die Mutter, es so will. In der Grundschule soll Maja eine Einser-Schülerin werden und anschließend das Gymnasium besuchen. Vielleicht möchte die Kindergartenleiterin ihr ja gerade heute weitere Fördermöglichkeiten anbieten? Das wäre toll, aber noch teurer. Überstunden sind unmöglich, sicher fällt ihr noch etwas ein, wie sie schnell regelmäßig Geld beschaffen kann. Vor der Kindergartenleiterin hat Daniela riesigen Respekt, nur will sie sich das auf keinen Fall anmerken lassen.
Als sie mittags wieder am Kindergarten ankommt, findet sie diesmal einen Parkplatz, bewusst ruhig betritt Daniela den Kindergarten. Als erstes schaut sie durch das Fenster in Majas Gruppenzimmer. Der Vormittag klingt mit einer Freispielzeit aus. Mit zwei anderen Kindern springt Maja ausgelassen auf einer dicken Matte auf und ab. So hat sie Maja seit Wochen nicht mehr gesehen. Daniela dreht um und geht aufrecht zum Büro der Leiterin, die sie schon erwartet. Nach der Begrüßung setzen sich die beiden Frauen zum Gespräch. Schon nach wenigen Augenblicken bemerkt Daniela, dass hier etwas völlig falsch läuft.
„Frau Fischer, alles in Ordnung? Geht es Ihnen nicht gut?“
„Doch, doch, alles gut! Ich frage mich nur, ob ich das gerade richtig verstanden habe? Wir sprechen doch über Maja?“
„Aber natürlich sprechen wir über Maja. Frau Fischer, Majas Gruppenleiterin, hat mir erzählt, welche Pläne Sie in nächster Zeit mit Maja haben. Deshalb haben wir Maja regelmäßig Bilder und Basteleien mit nach Hause gegeben, damit Sie einen Eindruck von dem Entwicklungsverlauf Ihrer Tochter bekommen. Wir vermuten, dass alles zusammen einfach viel zu viel Förderung für Maja darstellt. Wir sind der Meinung, dass Maja wesentlich mehr Zeit braucht, die pädagogischen Angebote zu verarbeiten. Sie blüht im freien Spiel auf. Ich vermute, das haben Sie gerade auch beobachtet. Frau Fischer, ich lade Sie herzlich ein, hospitieren Sie mal einen Vormittag bei uns und Sie werden mich verstehen. An einem solchen Vormittag kann ich Ihnen auch in Ruhe Einzelheiten erklären. Jetzt kann ich nur sagen, Sie verlangen zu schnell Ergebnisse von Maja.“
„Hospitieren?“
„Ja, verbringen Sie einen Vormittag als Gast in der Gruppe Ihrer Tochter. Das hat sich wirklich bewährt.“
Daniela runzelt die Stirn, sie versteht die Problematik noch immer nicht.
„Auf keinen Fall! Maja wird im Sommer eingeschult, schreibt gute Noten und besucht dann das Gymnasium!“
„Frau Fischer, Sie haben mich immer noch nicht ganz verstanden, wir bezweifeln stark, dass Maja bis zum Sommer die Schulreife erreichen kann!“
Daniela wird blass, richtet sich aber kerzengerade auf. Sie schreit „Nein, nein, Sie haben ja keine Ahnung, überhaupt keine!“
„Frau Fischer, es ist ausgeschlossen, dass Maja bis dahin zur Schulreife gelangt! Das brauchen wir gar nicht zu diskutieren. Bitte überlegen Sie zu Hause noch einmal in Ruhe, ob Sie nicht doch in der Gruppe hospitieren möchten, um sich selbst zu überzeugen. Wir freuen uns. So, und jetzt muss ich sehen, dass alle unsere Kinder gut nach Hause kommen. Wann lernen wir eigentlich mal Ihren Mann kennen?“
Daniela blickt bei dieser Frage entsetzt auf und murmelt etwas Unverständliches. Verstört verlässt sie das Büro und holt ihre Tochter ab. Frau Müller-Sorge wartet schon an der Ausgangstür auf sie.
„Auf Wiedersehen, Frau Fischer, tschüss Maja, bis morgen. Hattest du einen schönen Vormittag, ja? Frau Fischer, bitte lassen Sie sich unser Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen und nutzen Sie das Angebot. Vielleicht möchten Sie ja auch noch eine andere professionelle Meinung hören oder Sie besprechen sich mit Ihrem Kinderarzt? Wie wäre das? Also, bis dann, Frau Fischer, alles Gute!“
Daniela blickt die Kindergartenleiterin leer an. Sie nickt ihr zum Abschied nur zu und zerrt Maja ungeduldig hinter sich her.
Zuhause angekommen, parkt Daniela hastig auf dem Parkplatz vor ihrer Wohnanlage. Im Treppenhaus sind ihre Nachbarinnen, Frau Leitinger und Frau Michel, die mit ihrer Familie erst vor ein paar Wochen in das Sechsfamilienhaus eingezogen ist, in ein Gespräch vertieft und grüßen nur flüchtig, als Daniela und Maja vorübergehen. Im ersten Stock, vor ihrer Wohnungstür, steht Daniela und sucht wieder einmal aufgeregt in ihrer Handtasche nach dem Wohnungsschlüssel. Die Haustür unten war nur angelehnt. Plötzlich horcht sie auf, weil unten ihr Namen fällt.
„Ja, die Frau Fischer, müssen Sie wissen, Frau Michel, ist so eine moderne, ehrgeizige Supermutter. Das kleine Mädchen kann einem Leid tun. Das Kind geht ja in so einen teuren, privaten Kindergarten. Wenn Sie mich fragen, hat das kleine Mädchen da nur Stress. Jedenfalls ist das Kind total verändert, seit es in diesen Kindergarten geht, überhaupt nicht mehr fröhlich, spricht nicht mehr, lacht nicht mehr, wirkt richtig verstört. Aber kann man das richtig beurteilen, so von außen? Und die Frau Fischer arbeitet ja im Supermarkt, an der Kasse. Und wissen Sie was? Die kauft doch tatsächlich dieses neumodische Essen für das Kind. damit es besser lernt. Na, wie heißt das noch? Brain food, genau. Bringt sie natürlich aus dem Supermarkt mit, billiger. Kraftfutter für das Kind, sag' ich immer. Kann doch nicht gut sein. Ich frage mich, was wohl der Herr Fischer dazu sagt. So ein netter Mann, und so bodenständig. LKW-Fahrer ist der, richtiger Trucker. Und gut sieht der aus …“
Jetzt kichern sie auch noch.
Mit