deren Interesse war, zeigt das Beispiel Polen: Der letzte Piastenkönig, Kazimierz III. Wielki (»der Große«, reg. 1333–70), gründete im Durchschnitt fast in jedem Jahr seiner langen Regierungszeit eine Stadt. Zeitlich vorangegangen waren ihm in Schlesien Herzog Heinrich I. Brodaty (»der Bärtige«, reg. 1202–38) und die Breslauer Bischöfe – womit neben der königlichen Gewalt auch Adel und Kirche als Initiativkräfte angesprochen sind.
Für die Städte selbst und den Prozess der Urbanisierung war mit dem »deutschen Recht« zweierlei verbunden: Zum einen wurden neue Städte gegründet, wo noch keine oder keine mehr waren – also Stadtgründungen »aus wilder Wurzel« (a crudo radice); die Besiedlung von loca deserta ist eine immer wieder wörtlich zu nehmende Formulierung in zahlreichen Lokationsprivilegien. Zum anderen bekamen bestehende Siedlungen eine neue Rechtsform, wobei mehrere Wege möglich waren: Es konnte eine »Kolonie« von Fremden (»Gäste« / hospites, oft Kaufleute), innerhalb einer bestehenden Siedlung mit dem »deutschen Recht« ausgestattet werden, die dann zu einer Stadt ausgebaut wurde; oder es konnte eine Siedlung als Ganzes mithilfe des neuen Rechts umstrukturiert werden – wie im Falle Krakaus, wo die Lokation, d. h. die deutschrechtliche Umsetzung der Stadt von 1257 durch Herzog Bolesław von Krakau und Sandomir die bestehende Hauptstadt des Königreichs Polen mit einer neuen Rechtsform ausstattete. In allen Fällen wird deutlich, dass die Vergabe von »deutschem Recht«, ja: »deutsche Kolonisation« überhaupt, zwar einen Wandel der sozialen Ordnung bedeutete, indem sie relative Freiheit herstellte – in Form von klar(er) definierten Abgaben, Erbbesitz und eigener Rechtsprechung sowie kommunaler (städtischer wie ländlicher) Unabhängigkeit; dass es aber letztlich um ein Modell fürstlicher Herrschaft ging, ein Set von Prinzipien, das an lokale Bedürfnisse angepasst wurde. Das »deutsche Recht« als Herzstück der Ostsiedlung war ein Herrschaftsinstrument, das allen Herren gehorchte. Der polnische Herzog Heinrich I. von Breslau machte den Anfang, als er eine Kopie des Privilegs von Erzbischof Wichmann für dessen Stadt Magdeburg erbat und auf dieser Grundlage 1211 dann die Stadt Goldberg/Złotoryja in Schlesien gründete.
Was die sichtbaren Folgen der »deutschen Kolonisation« angeht, so fällt sofort ins Auge, dass es mehr Städte, mehr Dörfer, andere Stadtgrundrisse und neue Dorfformen im östlichen Europa gibt als zuvor. Landesausbau und Binnenkolonisation haben, unabhängig von der ethnischen Zusammensetzung, zu einer Siedlungsverdichtung geführt, aber auch zu einer Übernahme neuer Siedlungsformen. Beides ist bis heute erkennbar. So wird man unschwer ein »Städtenetz« ausmachen können, das aus fürstlicher Planung entsprungen ist, und das, wie im Idealfall Schlesien um 1300, eine gleichmäßige Verteilung der Orte mit Abständen von 15 bis 25 km aufweist. Das bedeutet nicht nur eine Vermehrung von Urbanität, sondern gleichzeitig auch eine Vergrößerung der marktwirtschaftlichen Potenz des flachen Landes: Denn dieses Netz an Städten und Märkten brachte für die Dörfer eine maximale Stadtferne von etwa 12 km mit sich – was hieß, dass die Bauern an einem Tag in die Stadt fahren konnten, um dort ihre Waren zu verkaufen und andere zu kaufen, und am selben Tag den Heimweg schafften. Das allein garantierte eine wesentlich intensivere Wirtschaftsbeziehung zwischen Stadt und Land, sowie eine Produktionsankurbelung für beide Seiten. Schaut man auf die Gestalt der Städte und Dörfer, fällt zunächst der Schachbrettgrundriss bei den deutschrechtlichen Stadtgründungen auf. Zwar liegt die Entstehung dieses wirtschaftlich günstigen und optisch eindringlichen Typs von Stadtgestaltung weiterhin im Dunklen, doch macht es dafür keine Mühe, Beispiele zu finden: Sowohl die schlesischen Hauptorte wie Breslau, Schweidnitz und Glogau, als auch die polnische Hauptstadt Krakau profitierten sichtlich von der Idee der sich überkreuzenden Marktstraßen und dem zentral gelegenen Marktplatz (dt. Ring, poln. rynek). Dabei scheint das regelmäßige Straßennetz in Lokationsstädten tatsächlich ein mitteleuropäisches Phänomen und damit Teil der »Ostkolonisation« gewesen zu sein.
Plan Breslaus von 1562, der die Anlage der Stadt und den zentralen Platz (rynek) erkennen lässt
Die mit der Ostsiedlung verknüpften Fortschritte in der Landwirtschaft, in der Forschung immer wieder als »agrartechnische Revolution« bezeichnet, und auch von den Zeitgenossen als melioratio terrae (»Verbesserung des Landes«) oder aedificatio terrae (»Aufbau des Landes«) im engeren Sinn wahrgenommen, beziehen sich sowohl auf die Intensivierung der bisherigen Anbau- und Verarbeitungsmethoden als auch auf die Einbeziehung neuen Landes in die wirtschaftliche Ausbeutung. Wirksam wurden neue Methoden, wie die Dreifelderwirtschaft, die Grundstückseinteilung mit dem Flächenmaß der Hufe (in verschiedenen Varianten) oder die Vergetreidung (also die einseitige Ausrichtung auf den Anbau von Getreide); aber auch neue Arbeitsinstrumente, wie Wendepflug, Pferdegespann oder langstielige Sense kommen auf. In der »kolonialen Phase« der Grundherrschaft wurde, etwa in Schlesien, von den Landes- und Grundherrn in großem Umfang Wald- und Ödland zur Urbarmachung angewiesen. Das führte dazu, dass auch Gebiete fern von den einheimischen polnischen Dörfern, besonders an den Abhängen der Sudeten, nun besiedelt wurden. Die neu zugewanderten deutschen (und bisweilen aus den romanischen Ländern kommenden) Siedler wurden dabei zwar in das bestehende grundherrschaftliche System eingegliedert – aber eben mit dem Unterschied, dass sie als persönlich freie Leute lebten, und zwar nach »deutschem Recht«.
Hinzu kommen Phänomene, die heute unsichtbar sind, den Zeitgenossen jedoch höchst sichtbar vor Augen standen, und die das Gefüge der Einwanderungsgesellschaft verändert haben. Man könnte beginnen mit den herrscherlichen Intentionen der slawischen Fürsten, Adeligen und Prälaten, die zur »deutschen Kolonisation« genauso dazugehören wie die Wanderung von Deutschen. Wir sehen Herzöge wie Heinrich von Breslau und Władysław von Oppeln im Schlesien des 13. Jahrhunderts, die sehr planmäßig die Stadtgründung in ihren Bereichen vorangetrieben haben; und wir sehen die drei Bischöfe Lorenz, Thomas I. und Thomas II. von Breslau im 13. Jahrhundert, die mit der herzoglichen Gewalt konkurrierten und gerade über den Landesausbau den Griff zur Landesherrschaft wagen konnten. Von keinem der Beteiligten besitzen wir ein intentionales Schriftstück, das uns über die Motive ihres Handelns aufklären würde; aber wir haben immerhin die Urkunden, darin besonders die Arengen (also allgemeine Begründungen von rechtsrelevanten Bestimmungen), in denen das Bestreben nach einer Vermehrung des allgemeinen Nutzens zum Vorschein kommt. Der Breslauer Bischof Thomas II. sprach das in seiner Urkunde für die (Bischofs-)Stadt Neisse/Nysa von 1290 auch explizit an; notabene im selben Jahr, in dem der Bischof die Landeshoheit für sein Bistumsland vom Herzog von Breslau erreichte. Und wir haben die Siedlungen selbst, deren Ausstattung und regionale Anordnung sehr wohl einen Plan erkennen lassen. An den Beispielen von Breslau, Krakau und Posen hat man neben urbanistischen Elementen wie Ring, regelmäßiges Straßennetz, Vorstädte, Stadtviertel und Parzellen auch soziale Organisationsformen wie Zünfte und kirchliche Stiftungen ermittelt. Insgesamt wird man von einer »offensiven Territorialkonzeption« (PETER JOHANEK) der Landesherren sprechen können, bei der zwar die Interessen von Herzog/König/Bischof einerseits und den Bürgern/Siedlern andererseits in dieselbe Richtung gingen, der Wille des Herrschers aber ausschlaggebend war.
Dass es bei der deutschrechtlichen Gründung (Lokation) einer Stadt sehr oft nicht um eine eigentliche Neugründung, sondern um die Erweiterung oder sogar nur rechtliche Andersstellung einer bestehenden Siedlung ging, lässt sich gut am Fallbeispiel der Lokation der schlesischen Stadt Brieg/Brzeg studieren. Der aus der Linie der schlesischen Piasten stammende Herzog Heinrich III. von Breslau übergibt im Jahr 1250 die schon bestehende Stadt Wysoki Brzeg (= »hohes Ufer«) an der Oder dem Schulzen Heinrich von Reichenbach zur Gründung nach deutschem Recht, genauer: nach dem Recht der (schlesischen) Stadt Neumarkt. Und er bestimmt weiterhin:
»Allen, die zu dieser Stadt kommen, um dort wohnen zu bleiben, haben wir die Verfügung über sechs Freijahre gewährt, so dass sie innerhalb dieser Frist weder zu irgendeiner Zahlung noch zur Heerfolge gezwungen werden, außer wenn ein Notstand für das ganze Land ausgerufen wird. Den Siedelunternehmern (locatoribus) steht jeder sechste Hof mit der jährlichen Steuer zu, auch jeder dritte Pfennig bei Gericht, uns dagegen nur zwei. Der Wasserlauf ist oberhalb und unterhalb eine Meile weit für alle dortigen Einwohner frei zum Fischfang. Wir haben auch gestattet, Holz für den Häuserbau zu schlagen, wo immer es sich findet. Wir gewähren, auf dieser Seite der Oder Hasen zu jagen. Auf beiden Seiten des Flusses weisen wir der