Louise Boije af Gennäs

Blutblume


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eine Scheibe Roggenbrot ab. »Wenn du es packst

      »Natürlich pack ich das«, antwortete ich leicht säuerlich.

      »Gut, dann hol ich dich gegen zehn ab.«

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      Am Abend tauchte Sally pünktlich auf und nahm mich auf dem Moped mit zu Flisan, die mit ihrem Freund in eine Wohnung in der Nähe des Tullängsgymnasiums gezogen war. Dazu mussten wir einmal quer durch Rynninge und nahmen dann die Grenadjärgatan ins Zentrum. Es fühlte sich an wie eine Zeitreise in die Vergangenheit; ich hinten auf Sallys Moped, die Arme um ihren kräftigen Bauch gelegt, eine Flasche Rotwein in der Tasche auf dem Rücken.

      »Totales Flashback, oder?«, rief Sally. »Fühlt sich an, als wären wir wieder auf dem Karro.«

      »Aber hallo«, sagte ich. »Können wir kurz bei der Schule und am Schloss vorbeifahren?«

      »Klar«, gab Sally zurück.

      Wir bogen nach links in die Olaigatan ab, und da lag es, mitten auf der Insel des Svartån: Örebro Schloss, das ich immer geliebt hatte. Rechts glitt unsere frühere Schule, das Karolinska Gymnasium, vorbei. Dafür hegte ich eher gemischte Gefühle.

      »Wie schön das ist«, rief ich.

      »Du klingst ja fast so, als wärst du nach Amerika ausgewandert«, schrie Sally zurück. »Sollen wir noch bei der Bank in der Drottninggatan vorbeifahren, wo ich jeden Tag mein Bestes gebe?«

      »Nee, lass mal! Come on, Barbie, let’s go party!«, grölte ich.

      Also drehte Sally auf, und wir ließen das Zentrum hinter uns.

      Flisan und ihr Freund waren in eine Dreizimmerwohnung in einem Mietshaus in Söder gezogen. Sie gehörten zu den ersten aus unserem Freundeskreis, die diesen Schritt gewagt hatten, aber ich war alles andere als neidisch darauf. Die Wohnung platzte fast aus den Nähten vor lauter Menschen: viele ehemalige Mitschüler, mit denen ich manchmal noch zu tun hatte, wenn die Abstände auch immer größer wurden, aber auch viele, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Flisan ging strahlend und mit einem Weinglas in der Hand herum, auf dem Sofa saß ihr Freund Kevin und trank Wodka-Shots mit seinen Kumpels. Flisan und Kevin waren seit mehreren Jahren zusammen, würden es sicher auch bleiben und bald Kinder bekommen. Ich schaute mich in ihrer Wohnung um und spürte, wie mir der kalte Schweiß auf die Stirn trat. Die gerahmten Poster an den Wänden; die Ikea-Sofas; der Esstisch, auf dem halb gegessene Torten und offene Schnapsflaschen standen.

      Erinnerungen an die Schulzeit überkamen mich. Neben Kevin saß Liam, einer meiner schlimmsten Peiniger aus der Schulzeit. Er trug ein kariertes Flanellhemd über seinem T-Shirt. Ein Bäuchlein ließ sich erahnen, und er sah weniger muskulös aus als früher, war an beiden Armen tätowiert und hatte einen borstigen Schnurrbart, aber er war es definitiv. Während ich ihn betrachtete, stieß er einen lauten Schrei aus, warf den Kopf in den Nacken und stürzte einen Shot hinunter. Anschließend knallte er das Glas vor sich auf den Tisch und stieß einen weiteren Schrei aus – dann erblickte er mich. Er runzelte die Stirn, wohl um sich zu konzentrieren.

      »Shit, dich kenne ich doch!«, rief er und zeigte auf mich. »Komm her.«

      Er klopfte auffordernd neben sich aufs Sofa, aber ich schaute ihn nur ausdruckslos an.

      Jetzt sah auch Kevin mich und lehnte sich zu Liam.

      »Das ist doch nur Sara«, sagte er halblaut. »Fucking boring

      Dann lachte er, dass sein Bauch hüpfte, ohne mich aus den Augen zu lassen.

      »Die war das im Tunnel, weißt du noch?«, fuhr er etwas leiser fort. »Letzten Winter …«

      Seine Stimme verlor sich im allgemeinen Gemurmel. Liam lauschte aufmerksam und pfiff dann durch die Zähne, aber auch er löste den Blick nicht von mir.

      »Oh, shit«, sagte er.

      Als wäre ich gar nicht da. Es kostete mich große Mühe, aber es gelang mir, mich abzuwenden. Und dann entdeckte ich Henke, den Einzigen aus unserer Klasse, der ähnlich viel gebüffelt hatte wie ich. Er war noch genauso dünn, wie ich ihn in Erinnerung hatte, aber noch strenger gekämmt. Und er lächelte mich an, ein Funkeln in den eng stehenden Augen.

      »Sara!«, sagte er und machte einen Schritt auf mich zu.

      Er gab mir einen Kuss auf die Wange und musterte mich von Kopf bis Fuß, während er meine Hand hielt.

      »Wie hübsch du bist!«, sagte er bewundernd. »Anders irgendwie. Größer und … eleganter!«

      Ich hob die Augenbrauen und zeigte ihm einen meiner Absatzschuhe, worüber er lachte.

      »Heftig«, sagte er mit funkelnden Augen. »Wie geht’s dir? Du wohnst doch jetzt in Stockholm, oder?«

      »Ja, ich arbeite bei einer PR-Agentur. Kapier nicht ganz, warum die ausgerechnet mich wollten, aber so ist es jedenfalls. Und wie geht’s dir? Sally hat erzählt, dass ihr bei derselben Bank arbeitet.«

      »Ich kapier’s voll und ganz«, sagte Henke. »Warum sie dich wollten.«

      Etwas entfernt trank Sally direkt aus einer Weinflasche, streckte dann die Arme über den Kopf und jubelte.

      Ich trank selbst einen Schluck aus meinem Glas. Henke lächelte mich breit und irgendwie dämlich an, wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Dann wandelte sich seine Miene, sollte wohl so etwas wie Mitleid darstellen. Ich schaute zu Boden. Er hatte auch noch meine andere Hand genommen.

      »Wie geht es dir denn wirklich?«, fragte er besorgt. »Alles okay? Ich meine, nach dem, was im Winter passiert ist und dann mit deinem Vater?«

      Ich holte tief Luft und lächelte.

      »Absolut«, sagte ich gezwungen. »Alles bestens.«

      Das würde ein sehr langer Abend werden.

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      Am Montagmorgen saß ich schon um halb acht im Büro. Aufgestanden war ich bereits um halb sechs, weil ich um fünf aufgewacht war und nicht wieder hatte einschlafen können. Das Morgenlicht fiel durch die Vorhänge, und mein Bett war plötzlich unbequemer denn je. Lautes Schnarchen drang durch die Wand zu Sixtens Zimmer, und Siv hatte einen Zettel mit der Information in den Flur gehängt, dass die Küche renoviert würde und erst im November wieder benutzbar sei.

      Ich musste an meine Rückfahrt am Sonntagabend denken. An die herbstdunkle Landschaft, durch die der Zug schnellte, an den Nebel über den Feldern und die nassfeuchte Kälte, die durch Mark und Bein zu dringen schien. Der Hauptbahnhof war ruhig und menschenleer gewesen, und in der U-Bahn saß bis Vällingby außer mir nur ein weiterer Passagier. Keine Spur von Zorro oder meinen anderen Hirngespinsten.

      Der Herbst war da, und ich hatte Örebro auf deutlich mehr Arten hinter mir gelassen, als ich mir einzugestehen wagte. Aber richtig angekommen war ich in Stockholm trotzdem noch nicht, egal, was ich meinen früheren Mitschülern auch hatte vormachen wollen. In Wahrheit verabscheute ich das enge, trostlose Zimmer und die gierige Vermieterin und wäre am liebsten sofort aus dem Vorort weggezogen. Die Anfahrt zur Agentur war lang, zu den Hauptverkehrszeiten sogar noch länger. Ich hatte keine Freunde in Stockholm und fühlte mich mutlos und einsam.

      Nicht dass das in Örebro anders gewesen wäre. Zwar war es schön, meine Mutter und Lina zu besuchen, aber kaum kam ich in Kontakt mit meinen früheren Mitschülern und wurde an die Sache im Tunnel erinnert, zeigten sich die ersten Anzeichen einer aufkommenden Depression. Mittlerweile kannte ich das Muster, die Symptome. Die Umgebung verlor jede Farbe, als würde man einen Schwarz-Weiß-Filter vor die Augen legen. Die Welt kam so abrupt zum Stehen wie ein scheuendes Pferd, sodass man über dessen Kopf flog und auf den Boden knallte. Plötzlich schien der Tod sehr verlockend.

       Was konnte ich tun?

      Ich schloss die Tür zur Agentur in dem Glauben auf, ausnahmsweise mal die Erste zu sein. Aber der Flur war schon