Margarete Schneider

Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald


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der Pfarrer hatte für seine und seiner Familie Versorgung Acker- bzw. Wiesenland und eine Kuh. So schreibt P. S. am 23. Juni 1926, also kurz vor der Hochzeit, an den Schwiegervater: »Sophie hat ein junges, schönes Kühchen, das eine milch- und butterweiche Zukunft verspricht, gegen die alte eingetauscht und verwaltet auch sonst aufs Beste Haus und Wirtschaft.« Am 6. September 1926 freilich schreibt P. S. bezüglich der Kuh: »Wir sind schon am Überlegen, ob wir die Kuh behalten sollen oder nicht.« Am 22. September 1926 meldet er, die Landwirtschaft betreffend, vier Morgen Land würden sie zurückgeben, aber die vier Morgen »Pfarrland« wollten sie weiterbehalten »zur Bewirtschaftung, hauptsächlich wegen der Kuh, die wir einstweilen noch nicht abschaffen mögen.«84

      Der Mainzer Käse wird hier hergestellt, zuerst im häuslichen Betrieb, später entstehen maschinelle Käsereien. Sie nehmen zu unserer Zeit einen großen Aufschwung. Die Frauen des Dorfes reisen mit dem Käse auf die Märkte der Großstädte Hessens und des Rheinlandes, und ihre bäuerliche Tracht, die schöne Hüttenberger Tracht, kommt ihnen dabei sehr zustatten. Was früher mühselig im Schubkarren gefahren wurde, kann nun bald mit dem Auto befördert werden! Das Dorf verändert sich dadurch sehr. Der Jugend gefällt die Bauerntracht nicht mehr, sie wird »vornehm«, d. h. städtisch. Großer Fleiß und große Geschäftigkeit herrschen im Dorf. Durch ihren Handel sind sie den Umgang mit Menschen gewöhnt, und das Wort sitzt lose auf der Zunge. Sie haben einen großen Familiensinn, und es ist bezeichnend, dass sie, die so viel unterwegs sind, bei ihren Familienfesten als Lieblingslied singen: »Ich bin so gern, so gern daheim – das ist mein Himmel auf der Erden!«

      Die erste Strophe dieses Liedes, das heute noch vom Hochelheimer Frauenkreis mit Wonne auswendig gesungen wird, lautet: »Ich wär so gern, so gern daheim, / daheim in meiner stillen Klause. / Wie klingt es doch dem Herzen wohl, / das liebe, traute Wort: zu Hause! / Doch nirgends auf der weiten Welt / fühl ich so frei mich von Beschwerden. / Ein braves Weib, ein herzig Kind, / das ist mein Himmel auf der Erden.« Die dritte Strophe: »Des Abends, wenn ich geh zur Ruh / und ich mich leg zum Schlummer nieder, / dann falt ich meine Hände fromm, / es schließen sich die Augenlider. / Dann bete ich zum Herrn der Welt, / zu dem, der einstens sprach: Es werde!: / O großer Gott, erhalte du / mir meinen Himmel auf der Erde.«

      Mehr und mehr wächst Paul in sein Hirtenamt hinein.85 Nur noch einmal, im November 1927, vertraut er sich seinem Tagebüchlein wieder an, aber er weiß nun, wer Herr wird über seiner »Anfechtung«, seinem »Schmerz«. »Ehemann, Vater und Pfarrer bin ich geworden. Wie viele wandeln in solcher Würde doch auf verkehrtem Wege! Kommt doch auch zu mir noch heutigentages die große Unruhe, dass mein Herz nicht alles verlassen, um Jesus zu dienen.86 Sind mir denn auch die weichen Arme, von denen Kierkegaard 87 schreibt, verhängnisvoll geworden? Habe ich in entscheidungsschweren Augenblicken meines Lebens den rechten Entschluss der Entsagung, des Verzichtes nicht gefunden? Darf ich morgen vor die Gemeinde treten mit der Adventsfreude und Adventsbotschaft? Möchte sie doch heller in meinem Herzen brennen! Möchte Gott mich seine Gnadenfülle wieder reichlich erfahren lassen! O. C.88 tröstete mich, ich habe seit Berlin einen großen Schritt vorwärts gemacht. Sein Hiersein bedeutete, wie ich mir erbeten, Stärkung und Segen. O Gott im Himmel, lass mir nicht alles wieder geraubt werden! Schenk mir Glauben und Frieden. In der Spannung stehend, muss ich hinter all mein Tun und Sagen ein Fragezeichen setzen. Du, Gott, kannst deinen Geist der Liebe über mich ausschütten, dass aus dem Fragezeichen ein freudiges Ja werde. Amen.«

      Paul wird ein Beter, einer, den es im Kämmerlein89 auf die Knie zwingt. Ich darf hier ein Wort aus einer Predigt, die er über Daniel 6 am 27. September 1936 hielt, für ihn persönlich geltend machen: »Das Gebet macht aus Menschen Männer, die sich beugen allein vor Gott und die Gott bekennen vor der Welt. Das Gebet ist die Kraft Gottes für den Lebens- und Glaubenskampf.«

      Pauls Liebe und Fürsorge galt in erster Linie seinen Kranken; er merkte oft, dass bei ihnen die seelische Not weit größer war als ihre leiblichen Nöte. Er mühte sich, ihre Gewissen wachzurufen und ihnen zum Sterben zu helfen. Eine sterbende junge Frau soll gesagt haben: »Eines muss ich euch noch sagen: Eine selige Sterbestunde wiegt’s ganze Leben auf! Das hat mich Pfarrer Schneider gelehrt, den könnt ihr darum fragen.«

      Unsere Gemeindeschwester berichtet: »Ich denke an einen jungen Epileptiker, der von einem schweren Anfall gepackt wurde, der drei Tage und drei Nächte andauerte. Der Körper wurde hin und her gezerrt, so furchtbar, dass wir alle – eingeschlossen der Arzt – machtlos an seinem Bett standen und trotz schwerster Betäubungsmittel ihn nicht zur Ruhe bringen konnten. Der Teufel grinste uns an in diesem gequälten Menschen. Da trat Pfarrer Schneider an sein Bett, und wir lagen lange mit ihm auf den Knien und flehten zu Gott um Erbarmen. Dann nahm Pfarrer Schneider den Kranken in die Arme, redete ihm gut zu. Was keiner von den Pflegenden fertiggebracht hatte, das wurde Pfarrer Schneider geschenkt: Der Kranke wurde unter seiner Hand ruhiger und schlief ein. Wenn ich nachts an diesem Krankenbette stand und selber fast verzweifelte bei dieser schweren Pflege, dann hörte ich plötzlich das Motorrad von Pfarrer Schneider, und er kam in die Krankenstube und sagte: ›Ich wusste, dass ich hier nötig war‹, und er war es im wahrsten Sinn des Wortes. Nicht selten kam mir in diesen Tagen der Gedanke an Pfarrer Blumhardt90. Alle, die dies Lager umstanden, erlebten die Kraft des Gebetes. Der junge Arzt sagte zu mir: ›Es ist doch etwas Seltsames um Pfarrer Schneider!‹ Als es mit dem jungen Mann zum Sterben ging, wurden plötzlich seine Sinne noch einmal ganz klar. Er setzte sich in seinem Bette hoch auf und sagte: ›Ich danke euch allen, dass ich aber selig sterben kann und keine Angst habe vor dem dunklen Grab, das danke ich Ihnen, Herr Pfarrer! Nun bin ich mit meinem Gott im Reinen, und der Teufel hat keine Gewalt mehr über mich!‹ Er legte sich um und starb in Pfarrer Schneiders Armen ruhig und friedlich.

      Die gefährdeten Familien ließ er nicht aus dem Auge, und er redete oft sehr eindeutig, und bei aller Liebe und Güte konnte er grob werden, sodass er zum Beispiel zu einem Trinker, bei dessen Familie er bis spät in die Nacht hinein saß, sagte: ›Sie sind ein Lump!‹ Als dieser aufbrauste, da sagte er es nochmals: ›Es wird erst dann mit Ihnen besser, wenn Sie zu mir sagen: Herr Pfarrer, ich bin wirklich ein Lump!‹

      Eines Tages brachte Pfarrer Schneider einen Schützling aus der Berliner Stadtmission zu einem Urlaub in unser Haus. Als er mir aus seinem Leben erzählte und ich in Abgründe hineinschaute, da sagte ich zu Pfarrer Schneider: ›Aber Herr Pfarrer, was haben Sie mir denn da für einen Menschen gebracht?‹ Da sah er mich ganz traurig an: ›Was soll denn der Herr Christus mit uns machen, wenn wir so von unserem Bruder denken? Ich hatte gedacht, Sie könnten mir beten helfen.‹ Ich schämte mich und war entwaffnet.

      Am 30. Januar 1934 schreibt mir Pfarrer Schneider: ›Wir wollen es immer besser lernen, dass das meiste, was uns zu schaffen machen soll, worüber wir uns zu bekümmern haben, unsere Sünde sein soll, um so auch besser die Sünden anderer priesterlich tragen zu lernen.‹ – Und im April 1937: ›Nur im Geiste rechter Buße können wir mit Vollmacht beten um Gottes Segen für unsere jungen Paare, um Gottes Hilfe gegen die Geister der Krankheit und der Seelennot. Wir wollen bei uns selber anfangen, uns gewiss nicht besser halten als andere. Dass alle menschliche Gerechtigkeit und aller menschlicher Ruhm zunichte werde und ganz allein übrig bleibe Christi Gerechtigkeit, die er uns am Kreuz erworben. Darin allein findet unsere Blöße und Fluchwürdigkeit ihre Deckung. Solange wir noch fromme und tüchtige und gerechte Leute sein wollen, geht uns Christi Gerechtigkeit nichts an.‹«

      Auffallend wenig berichtet Margarete Schneider über ihre Kinder, von denen vier in Hochelheim geboren wurden: Dieterich, genannt Dieter, am 20. April 1927; Eva-Maria, genannt Evmarie, am 1. September 1929; Paul Hermann, genannt Hermann, am 6. Dezember 1930; Gerhard am 8. Februar 1933. Das rührt daher, dass M. S. gern sich und ihr eigenes Erleben in den Hintergrund rückt. Sie will ja ein Buch über den Weg ihres Mannes schreiben. Doch zeigen alle Berichte über das Aufwachsen der Kinder – etwa in den »Rundbüchern« an die Geschwister91 –, dass nicht nur sie, sondern auch ihr Mann Paul mit großer Freude an den Kindern hingen. Wir bringen, um diesen Aspekt nicht untergehen zu lassen, einiges über die Kinder, das in den »Rundbüchern« zu finden ist.

      Über das erste Kind Dieter schreibt M. S. am 3. Januar 1928, wie er es nicht lang im »Stühlchen« aushält und ständig auf ihren Schoß