Gerhart Hauptmann

Vor Sonnenaufgang


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bin mit der Scheinreligion und Scheinmoral und mit noch manchem anderen . . . .

      HOFFMANN.

      Das kann ich Dir ja auch ohne Weiteres zugeben: Wenn ich jetzt doch immerhin ein vorurtheilsloser, aufgeklärter Mensch bin, dann verdanke ich das, wie ich gar nicht leugne, den Tagen unseres Umgangs. – Natürlicherweise! – Ich bin der Letzte, das zu leugnen. – Ich bin überhaupt in keiner Beziehung Unmensch. Nur muß man nicht mit dem Kopfe durch die Wand rennen wollen. – Man muß nicht die Übel, an denen die gegenwärtige Generation, leider Gottes, krankt, durch noch [19]größere verdrängen wollen; man muß – Alles ruhig seinen natürlichen Gang gehen lassen. Was kommen soll, kommt! Praktisch, praktisch muß man verfahren! Erinnere Dich! Ich habe das früher gerade so betont: Und dieser Grundsatz hat sich bezahlt gemacht. – Das ist es ja eben. Ihr Alle – Du mit eingerechnet –, Ihr verfahrt höchst unpraktisch.

      LOTH.

      Erklär’ mir eben mal, wie Du das meinst.

      HOFFMANN.

      Einfach! Ihr nützt Eure Fähigkeiten nicht aus. Zum Beispiel Du: ’n Kerl wie Du, mit Kenntnissen, Energie etc., was hätte Dir nicht offen gestanden! Statt dessen, was machst Du? Com–pro–mit–tirst Dich von vornherein der–art . . . . na, Hand aufs Herz! Hast Du das nicht manchmal bereut?

      LOTH.

      Ich konnte nicht gut bereuen, weil ich ohne Schuld verurtheilt worden bin.

      HOFFMANN.

      Kann ich ja nicht beurtheilen, weißt Du.

      LOTH.

      Du wirst das gleich können, wenn ich Dir sage: die Anklageschrift führte aus, ich hätte unseren Verein Vancouver-Island nur zum Zwecke parteilicher Agitation ins Leben gerufen, dann sollte ich auch Geld zu Parteizwecken gesammelt haben. Du weißt ja nun, daß es uns mit unseren colonialen Bestrebungen Ernst war, und was das Geldsammeln anlangt, so hast Du ja selbst gesagt, daß wir Alle miteinander leere Hände hatten. Die Anklage enthält also kein wahres Wort, und als Mitglied solltest Du das doch . . . .

      HOFFMANN.

      Na – Mitglied war ich doch wohl eigentlich nicht so recht. – Übrigens glaube ich Dir selbstredend. – Die Richter sind halt immer nur Menschen, muß man nehmen. – Jedenfalls hättest Du, um praktisch zu [20]handeln, auch den Schein meiden müssen. Überhaupt: ich habe mich in der Folge manchmal baß gewundert über Dich: Redacteur der Arbeiterkanzel, des obscursten aller Käseblättchen – Reichstagscandidat des süßen Pöbels! Und was hast Du nu davon? – versteh’ mich nicht falsch! Ich bin der Letzte, der es an Mitleid mit dem armen Volke fehlen läßt, aber wenn etwas geschieht, dann mag es von Oben herab geschehen! Es muß sogar von Oben herab geschehen, das Volk weiß nun mal nicht, was ihm noth thut – das »Von-unten-herauf«, siehst Du, das eben nenne ich das »Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-rennen«.

      LOTH.

      Ich bin aus dem, was Du eben gesagt hast, nicht klug geworden.

      HOFFMANN.

      Na, ich meine eben: sieh mich an! ich habe die Hände frei: ich könnte nu schon anfangen, was für die Ideale zu thun. – Ich kann wohl sagen, mein praktisches Programm ist nahezu durchgeführt. Aber Ihr . . . . immer mit leeren Händen, was wollt denn Ihr machen?

      LOTH.

      Ja, wie man so hört: Du segelst stark auf Bleichröder zu.

      HOFFMANN

      (geschmeichelt). Zu viel Ehre – vorläufig noch. Wer sagt das? – Man arbeitet eben seinen soliden Stiefel fort: das belohnt sich naturgemäß – wer sagt das übrigens?

      LOTH.

      Ich hörte drüben in Jauer zwei Herren am Nebentisch davon reden.

      HOFFMANN.

      Ä! Du! – Ich habe Feinde! – Was sagten die denn übrigens?

      LOTH.

      Nichts Besonderes. Durch sie erfuhr ich: daß Du [21]Dich zur Zeit eben hier auf das Gut Deiner Schwiegereltern zurückgezogen hast.

      HOFFMANN.

      Was die Menschen nicht alles ausschnüffeln! Lieber Freund! Du glaubst nicht, wie ein Mann in meiner Stellung auf Schritt und Tritt beobachtet wird: Das ist auch so ’n Übelstand des Reich . . . . – Die Sache ist nämlich die: ich erwarte der größeren Ruhe und gesünderen Luft wegen die Niederkunft meiner Frau hier.

      LOTH.

      Wie paßt denn das aber mit dem Arzt? Ein guter Arzt ist doch in solchen Fällen von allergrößter Wichtigkeit. Und hier auf dem Dorfe . . . .

      HOFFMANN.

      Das ist es eben, der Arzt hier ist ganz besonders tüchtig; und, weißt Du, so viel habe ich bereits weg: Gewissenhaftigkeit geht beim Arzt über Genie.

      LOTH.

      Vielleicht ist sie eine Begleiterscheinung des Genie’s im Arzt.

      HOFFMANN.

      Mein’twegen, jedenfalls hat unser Arzt Gewissen. Er ist nämlich auch so’n Stück Ideologe, halb und halb unser Schlag – reussirt schauderhaft unter Bergleuten und auch unter dem Bauernvolk. Man vergöttert ihn geradezu. Zu Zeiten übrigens ’n recht unverdaulicher Patron, ’n Mischmasch von Härte und Sentimentalität. Aber, wie gesagt, Gewissenhaftigkeit weiß ich zu schätzen! – Unbedingt! – Eh’ ich’s vergesse . . . . es ist mir nämlich darum zu thun . . . man muß immer wissen, wessen man sich zu versehen hat . . . . Höre! . . . . sage mir doch . . . . ich seh’ Dir’s an, die Herren am Nebentische haben nichts Gutes über mich gesprochen. – Sag’ mir doch, bitte! was sie gesprochen haben.

      [22]LOTH.

      Das sollte ich wohl nicht thun, denn ich will Dich nachher um zweihundert Mark bitten, geradezu bitten, denn ich werde sie Dir wohl kaum je wiedergeben können.

      HOFFMANN

      (zieht ein Checbuch aus der Brusttasche, füllt Chec aus, übergiebt ihn Loth). Bei irgend einer Reichsbankfiliale . . . . Es ist mir ’n Vergnügen . . . .

      LOTH.

      Deine Fixigkeit übertrifft alle meine Erwartungen. – Na! – ich nehm’ es dankbar an und Du weißt ja, übel angewandt ist es auch nicht.

      HOFFMANN

      (mit Anflug von Pathos). Ein Arbeiter ist seines Lohnes werth! – doch jetzt, Loth! sei so gut, sag mir, was die Herren am Nebentisch . . . .

      LOTH.

      Sie haben wohl Unsinn gesprochen.

      HOFFMANN.

      Sag mir’s trotzdem, bitte! – Es ist mir lediglich interessant, ledig-lich interessant –

      LOTH.

      Es war davon die Rede, daß Du hier einen Anderen aus der Position verdrängt hättest, – einen Bauunternehmer Müller.

      HOFFMANN.

      Na-tür-lich! diese Geschichte!

      LOTH.

      Ich glaube, der Mann sollte mit Deiner jetzigen Frau verlobt gewesen sein.

      HOFFMANN.

      War er auch. – Und was weiter?

      LOTH.

      Ich erzähle Dir Alles, wie ich es hörte, weil ich annehme: es kommt Dir darauf an, die Verleumdung möglichst getreu kennen zu lernen.

      HOFFMANN.

      Ganz recht! Also?

      LOTH.

      So viel ich heraus hörte, soll dieser Müller den Bau einer Strecke der hiesigen Gebirgsbahn übernommen haben.

      HOFFMANN.

      Ja! Mit lumpigen zehntausend Thalern [23]Vermögen. Als er einsah, daß dieses Geld nicht zureichte, wollte er schnell eine Witzdorfer Bauerntochter fischen; meine jetzige