Uwe Klausner

Odessa-Komplott


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wär’s, wenn wir es uns ein bisschen bequem machen?«, schlug Hitlers Privatsekretär vor und ließ keinen Zweifel daran, wonach ihm der Sinn stand. »Um den Tag nach Gutsherrenart ausklingen zu lassen, meine ich.« Sprach’s, nahm Lilian das Glas aus der Hand und warf es über die Schulter, wo es laut klirrend an der Wand zerschellte. Dann öffnete er den Gürtel und grinste breit.

      Eingedenk der Erfahrungen, die sie mit Bormann gemacht hatte, zögerte die Stenotypistin nicht lange, schob das Kleid in die Höhe und entledigte sich ihrer Nylons. Anschließend lehnte sie sich zurück auf den Schreibtisch und zog mit laszivem Lächeln ihr Höschen aus, die Mappe mit dem Ledereinband unter sich begraben.

      »Bedienen Sie sich, Reichsführer«, hauchte sie mit gespreizten Beinen. »Wer weiß, vielleicht ist es das letzte Mal.«

      Martin Bormann, Vater, Ehebrecher und Trauzeuge Hitlers in einer Person, wischte sich den Speichel aus dem Mundwinkel und bleckte die Zähne. So etwas wollte er sich natürlich nicht zweimal sagen lassen. Gut möglich, dachte er, dass die miese Nutte da recht behalten wird.

      Ein Grund mehr, es sich noch mal richtig gut gehen zu lassen. »Na, dann wollen wir mal«, grunzte der Sekretär des Führers und ließ seine Hose fallen. »Auf uns beide, Süße.«

      6

      Britisches Hauptquartier in Lüneburg | 23.05.1945,23.14 h

      »Hitler: Selbstmord. Goebbels: Selbstmord. Bormann: Tod durch Giftkapsel, vermutlich Zyankali.« Michael Murphy, Offizier des Secret Service, warf einen Blick in seine Unterlagen, zündete sich eine John Player an und legte eine Kunstpause ein. Dann setzte er das Verhör Himmlers fort. »Pech, dass er anscheinend nur bis zum Lehrter Bahnhof gekommen ist, finden Sie nicht auch, Reichsführer?«

      Himmler verzog keine Miene. »Na, wenn schon«, antwortete er mit einem Achselzucken, bemüht, sich seine Zufriedenheit nicht anmerken zu lassen. »Ein subalterner Speichellecker, nichts weiter.«

      »So subaltern, dass Sie mit ihm aneinandergeraten sind?«

      Himmler nahm seine Brille ab, rieb sie am Ärmel und setzte sie mit demonstrativer Gelassenheit wieder auf. »Und woher wollen Sie das wissen?«

      »Von Ihrem Adjutanten, Reichsführer.«

      »Vorausgesetzt, Sie treiben kein doppeltes Spiel, Colonel – auf einen Verräter mehr oder weniger kommt es doch wohl nicht an.«

      »So, meinen Sie.« Klug genug, sich seinen Groll nicht anmerken zu lassen, fläzte sich Murphy in einen Sessel, schlug die Beine übereinander und zog an seiner Zigarette. »Reichlich merkwürdig, dass gerade Sie dieses Wort in den Mund nehmen.«

      Himmlers Blick verengte sich. »Was wissen Sie denn schon von Treue!«, zischte er, auf dem besten Wege, die aufgesetzte Maske der Jovialität abzustreifen. Und beantwortete seine Frage gleich selbst: »Rein gar nichts.«

      »Immerhin genug, um Ihnen keinen Meter über den Weg zu trauen«, konterte Murphy, streckte sich und stand wieder auf. Dann warf er einen Blick aus dem Erkerzimmer, das sich im Erdgeschoss des Backsteingebäudes in der Uelzener Straße 31a befand. »Anderes Thema, Reichsführer«, warf er abrupt ein. »Ich denke, Sie wissen, weshalb Sie hier sind, oder?«

      Himmler wedelte mit der Hand, um den Zigarettenrauch zu zerstreuen. »Offen gestanden – nein«, gab er zur Antwort und zupfte seine Häftlingskleidung zurecht.

      »Vorschlag zur Güte, Reichsführer: 14 Tage nach Kriegsende wird es langsam Zeit, dass Sie von Ihrem hohen Ross herunterkommen.«

      Heinrich Himmler, Henker von Hitlers Gnaden, nahm den Rüffel mit teilnahmsloser Miene hin. »Und womit könnte ich Ihnen Ihrer Meinung nach zu Diensten sein, Colonel?«

      »Indem Sie zur Abwechslung einmal detaillierte Angaben machen.«

      »Worüber denn?« Mit Blick auf die anwesenden Offiziere, die das Verhör mit skeptischer Miene verfolgten, drückte Murphy seine Kippe aus und räusperte sich. Captain C. J. Wells, ebenfalls anwesender Militärarzt, ließ Himmler keine Sekunde aus den Augen. »Über die eine oder andere Kleinigkeit, Reichsführer«, warf Murphy mit typisch britischem Understatement ein. »So zum Beispiel über die Frage, wohin etliche Mitglieder Ihrer Führungsriege abgetaucht sind.«

      »Keine Ahnung.«

      Murphy nahm das gefälschte Soldbuch zur Hand, das sich bei seinen Unterlagen befand, und hielt es Himmler unter die Nase. »Mit der gleichen Masche wie Sie, Herr Ex-Feldwebel Himmler, dürften es etliche Ihrer ehemaligen Kameraden versucht haben. Aber keine Bange: Wir werden nicht lockerlassen, bis wir das Spinnennetz, dessen Mittelpunkt Sie sind, zertreten haben.«

      »Spinnennetz?«

      Mit der Geduld am Ende, warf Murphy das Soldbuch auf den Schreibtisch, packte den ehemaligen Reichsführer-SS am Kragen und zog ihn in die Höhe. »Du hast richtig gehört, Abschaum«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Wo sind die Henkersknechte abgeblieben, mit denen du deine Verbrechen begangen hast?«

      »Ist das etwa der Dank, dass ich mich so kooperativ wie möglich …«

      »Schon einmal was von Werwölfen gehört, Reichsführer?«, würgte Murphy den Gefangenen barsch ab, stieß ihn von sich und starrte ihn wie ein sprungbereites Raubtier an.

      »Aber, aber, Colonel«, gab sich Himmler mäßig beeindruckt, »wo ist denn bloß Ihre gute Kinderstube geblieben.«

      »Und wie steht es mit der von Ihnen ins Leben gerufenen Terrorgruppe?«, kam Major Whittaker, ein weiterer Offizier, einem neuerlichen Wutausbruch des Secret-Service-Agenten zuvor und schob ihn mit sanftem Druck beiseite. »›Gruppe W 45‹ – was fällt Ihnen dazu ein?«

      »Lügenmärchen, Hirngespinste, Fantasiegebilde.«

      »Trifft das auch auf die Tatsache zu, dass Sie bemüht waren, eine Nachfolgeorganisation der SS aufzubauen?«

      Zum ersten Mal seit Beginn des Verhörs geriet Heinrich Himmlers emotionslose Fassade ins Wanken. »Was …«, begehrte er auf, hatte sich jedoch Zehntelsekunden später wieder im Griff.

      »Was Major Whittaker damit sagen will, wollen Sie wissen?«, machte Murphy wieder auf sich aufmerksam. »Ganz einfach: Nicht jeder Ihrer sogenannten Kameraden, in deren Begleitung Sie uns ins Netz gegangen sind, ist so loyal wie Sie.« Ein süffisantes Lächeln auf den Lippen, fügte der Brite hinzu: »Wenn Sie verstehen, was ich meine.«

      »Verzeihung, Gentlemen«, schaltete sich Dr. Wells mit besorgter Miene ein. »Halten Sie es nicht für besser, die Untersuchung des Gefangenen abzuschließen, bevor das Verhör fortgesetzt wird?« Die Blicke des Militärarztes und des Secret-Service-Agenten trafen sich. »Aus Sicherheitsgründen, meine ich.«

      »Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Doc«, gab Murphy genervt klein bei. »Wenn’s geht, bitte schnell.«

      Der Militärarzt, ein Brite wie aus dem Bilderbuch, ging über die Bemerkung des Colonels einfach hinweg, trat zu Himmler und bedeutete ihm, den Mund zu öffnen. Kein Körperteil des Reichsführers, den er während der vergangenen zwei Tage nicht untersucht hätte. Kein Quadratzoll – außer seinem Mund. Aus naheliegenden Gründen hatte er ihn sich bis zuletzt aufgespart. Wenn diese Bestie eine Zyankali-Kapsel versteckt hatte, dann hier.

      Kaum war Dr. Wells der Gedanke gekommen, durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz, und es kostete ihn große Mühe, den Finger aus Himmlers Mund herauszuziehen. Aber da war es bereits zu spät.

      Mit einem Röcheln, das nichts Menschliches an sich hatte, bäumte sich Heinrich Himmler, Herr der Todes­lager, mehrere Sekunden lang auf. Er wirkte wie erstarrt, und sein Blick irrte ziellos umher. Dann stürzte er zu Boden, wandte, drehte und verkrampfte sich wie ein tollwütiges Tier. Der Geruch von Blausäure durchströmte den Raum, vermischt mit dem Atem des Todes, der durch den halb geöffneten Kiefer drang. Vor Schreck wie gelähmt, starrten die britischen Offiziere den verendenden