Wolfgang Santjer

Gänseblut


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und notierte sich die Adresse. Sie versprach Alting, gleich mit einem Kollegen vorbeizukommen, und beendete das Gespräch. Zur Sicherheit schickte sie über die Leitstelle erst einmal einen Rettungswagen und die Feuerwehr hin.

      »Der arme Mann«, sagte sie.

      Ihr Kollege Stinus Wurps fügte hinzu: »Die schöne Mühle …!«

      Neben ihm stand Taleus Borchers, der Leiter der Polizeidienststelle, von seinen Kollegen Talle genannt. Talle hatte die Haare extrem kurz geschnitten. Er achtete sehr auf sein Äußeres. Perfektes Auftreten von der Uniform bis zum dezent aufgetragenen Rasierwasser.

      Stinus war sozusagen der Kontrast zu seinem Chef. Die Haare trug er im Stil der Siebziger, also ziemlich lang. Sein Erscheinungsbild war eher lässig, die Uniform eine eher gewagte Zusammenstellung und was die Leute von ihm hielten, war ihm wohl schon immer egal gewesen.

      »So so«, sagte Talle, »Menno Altings Modellmühle. Stinus, Swantje, fahrt ihr bitte zur Adresse von Alting und seht euch die Sache erst mal an. Ich halte hier die Stellung.«

      »Machen wir«, sagte Stinus. »Wir melden uns, sobald wir vor Ort sind.«

      Swantje und er packten ihrer Einsatztaschen und gingen zum Streifenwagen. »Hier!« Stinus warf seiner Kollegin die Autoschlüssel zu. »Du fährst, dann lernst du die Gegend am schnellsten kennen.«

      Swantje war erst seit einigen Tagen auf der Dienststelle in Weener. Vorher war sie bei der Autobahnpolizei in Leer gewesen. In Weener wurden zwei Sprachen gesprochen – erstens Plattdeutsch und zweitens Hochdeutsch. Mit dem Plattdeutschen haperte es bei ihr noch ein wenig. Verstehen konnte sie es gut, nur aussprechen … na ja. Stinus unterhielt sich mit ihr deshalb lieber auf Hochdeutsch.

      Sie folgte seiner Fahrwegbeschreibung. »Stinus, der Name Alting … irgendwie kommt der mir bekannt vor.«

      »Hier links abbiegen!« Stinus warf seiner Kollegin einen Blick zu. Ein schöner Anblick. Der blonde Zopf stand ihr gut. In den Siebzigern hatten viele Mädchen die Haare so getragen. Aber nicht nur die Haare gefielen Stinus an seiner neuen Kollegin. Swantje versuchte nicht, wie ein Kerl aufzutreten, und auch nicht wie eine Dame. Die Kollegen von der Autobahnpolizei waren mit ihr sehr zufrieden gewesen. Ihm waren Gerüchte zu Ohren gekommen, dass Swantje bei einem Einsatz sehr handfest zugepackt hatte. Sie hatte ihrem Kollegen bei einer Schlägerei den Rücken freigehalten. Das hatte ihr zwar ein blaues Auge, aber auch Respekt eingebracht.

      »Stinus, Menno Alting!«

      »Also: Menno Alting ist führendes Mitglied im Naturschutzbund. Er stand schon einige Male im Zusammenhang mit der Gänsejagd in den Zeitungen und seine Tochter Gretje, die kann sich sehen lassen. Die sieht richtig toll aus und die hat …«

      »Mich interessiert nicht die Tochter, sondern Menno Alting!«

      Stinus atmete tief durch. »Menno Alting ist begeisterter Naturschützer, insbesondere Gänseschützer, du kannst dir vorstellen, dass er sich nicht besonders gut mit unseren Jägern versteht. Dazu kommt noch seine besondere Art.« Stinus suchte nach den richtigen Worten. »Er greift die Leute immer direkt an, zu laut und zu unsachlich. Alle lassen sich das nicht gefallen und wir hatten schon eine Menge Ärger mit ihm und seinen erklärten Gegnern, den Jägern.«

      Inzwischen hatte er seine Kollegin in eine Wohnsiedlung etwas außerhalb gelotst. Vor einem Einfamilienhaus standen ein Rettungswagen und ein Fahrzeug der Feuerwehr. Ein Feuerwehrmann stand mit einem Wasser­schlauch in der Hand im Vorgarten, der mit bunten Holzsplittern übersät war.

      Swantje parkte hinter dem Rettungswagen. Die beiden Polizisten stiegen aus. Die Schiebetür des RTW stand offen und auf der Liege saß ein großer Mann, dem zwei Sanitäter sehr laut Fragen stellten.

      Einer der Sanitäter bemerkte die Polizisten und sagte: »Knalltrauma … sonst ist er okay.«

      Nun hatte auch der Mann auf der Liege die Polizisten gesehen und sprang auf. Die Sanitäter versuchten vergeblich, ihn im Wagen festzuhalten. »Da sind Sie ja endlich!« Er zeigte anklagend in Richtung Vorgarten. »Da … sehen Sie selber!«

      Stinus legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter, und Swantje sah sich Alting genau an. Groß, kräftig, mit einer Glatze. Der graue Vollbart machte ihn älter. Vermutlich war er um die fünfzig und für Swantje damit ohnehin ein alter Mann.

      Stinus beging einen verhängnisvollen Fehler, als er sagte: »Herr Alting, regen Sie sich doch nicht so auf, es ist ja nur die Mühle draufgegangen.« Zum Glück erschien in diesem Moment Gretje Alting, um ihren Vater zu beruhigen. Mit sanfter Gewalt dirigierte sie ihn zurück in den Rettungswagen.

      Swantje warf ihrem Kollegen einen Blick zu und verdrehte die Augen himmelwärts.

      Gretje Alting stieg wieder aus dem RTW. Ihr Gesicht war sehr blass, wodurch die Sommersprossen deutlich hervortraten. Swantje fand, dass sie ein bisschen aussah wie eine ältere Version von Pippi Langstrumpf. Die langen roten Zöpfe machten jedenfalls Eindruck bei ihrem Kollegen. Stinus sah Gretje mit schmachtendem Blick an, wie unter Hypnose. Swantje zog eine Schnute und blickte hilfesuchend in den blauen ostfriesischen Himmel. Typisch Männer.

      Menno Altings Tochter erzählte, dass sie gerade von der Nachtschicht im Krankenhaus kam. Sie hatte sich fast zu Tode erschrocken, als sie die Einsatzfahrzeuge vor ihrem Haus gesehen hatte. »Irgendwann musste das hier mal passieren.« Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. »Diese Wut … und Hass … Ich verstehe das nicht!«

      »Ich kann Ihnen jetzt nicht folgen.« Swantje schaute sie fragend an.

      »Am Anfang haben sie ja noch miteinander gesprochen«, sagte Gretje.

      »Wer ist ›sie‹, wer hat noch miteinander gesprochen?«, hakte Swantje nach.

      »Oh, bitte entschuldigen Sie mich, ich bin noch so aufgeregt …« Gretje lächelte sie kurz an. »Die Umweltschützer, insbesondere mein Vater, und die Jäger meine ich. Anfangs haben sie noch zusammen an einem Tisch gesessen und diskutiert. Aber jetzt …« Wieder schüttelte Gretje Alting den Kopf. »Sie sehen ja: Nur noch Wut und Hass.«

      Deichvorland bei Pogum

      Piep … Piep. Der Schatzsucher Peter Kowalski aus Bochum sah auf das Display des Metallsuchgerätes. Der Zeiger schlug wild aus. Seit einer Stunde war Peter unterwegs im Deichvorland am Dollart. Seinen Wagen hatte er am Aussichtspunkt Emsblick in Pogum geparkt. Von dort aus hatte er mit der Schatzsuche begonnen. Inzwischen lag der Dollart rechts und der Deich links von ihm. Voraus konnte er die Bohrinsel Dyksterhusen sehen. Er befand sich auf den sogenannten Salzwiesen, einem Grünstreifen mit spärlichem Bewuchs zwischen dem Deich und den grau-bräunlichen Wattflächen des Dollarts.

      Vorsichtig legte er das empfindliche lange Metallsuchgerät auf der Salzwiese ab und nahm ein handliches kleineres aus seinem Rucksack. Er hatte sich den Bereich auf dem Boden gemerkt, wo das große Gerät ausgeschlagen hatte. Das Schatzfieber hatte ihn jetzt voll im Griff. Die nächsten Gegenstände, die Peter aus dem Rucksack nahm, waren eine kleine Schaufel, ein Klappspaten und ein Kniepolster.

      Er kniete sich auf den Boden und schob sich das weiche Polster unter. Dann schaltete er das kleine Suchgerät an, das wie eine Taschenlampe aussah, und kreiste damit den im Boden verborgenen Gegenstand ein. Mit der linken Hand hielt er die Schaufel und grub vorsichtig kleine Grassoden und Erde zur Seite. Immer wieder schlug das Suchgerät aus. Inzwischen hatte er die kleine Schaufel gegen den Klappspaten getauscht.

      In Gedanken sah er sich schon als Entdecker des versunkenen Ortes Torum. Schliemann war auch ein Hobbyarchäologe gewesen und hatte trotzdem angeblich Troja entdeckt. Die Geschichte der versunkenen Dörfer im Dollart hatte Peter schon immer fasziniert und jetzt stand er selbst kurz vor einer sensationellen Entdeckung.

      Klong … Der Spaten war auf einen harten Gegenstand gestoßen. Das kleine Suchgerät zeigte einen länglichen Gegenstand aus Metall an. Peter Kowalski legte den Klappspaten zur Seite und nahm wieder die kleine Schaufel.

      Den langen Gegenstand konnte er deutlich fühlen. Während er ihn vorsichtig freilegte, konnte er ihn immer besser erkennen. Hatte es in Torum damals schon