als jüngstes Kind einer niedrigen Adelsfamilie geboren, verbrachte Hildegard ihre ersten Lebensjahre in Bermersheim, südlich von Mainz. Sie war von kränklicher Natur, und bevor sie fünf Jahre alt war, suchten sie bereits erste Visionen heim. Ihre Familie wurde darauf aufmerksam, als sie die Farbe eines ungeborenen Kalbes vorhersagte. Mit etwa acht Jahren wurde sie Schützling von Jutta von Sponheim, einer Visionärin, die als Einsiedlerin bei der Abtei am Disibodenberg lebte.
Die Klause der Frauen wurde später für Aspirantinnen geöffnet, und mit 14 Jahren wurde Hildegard Benediktinernonne. Nach Juttas Tod 1136 wurde Hildegard mit 38 Jahren Leiterin der religiösen Gemeinschaft. Sie behielt diese Rolle bis zu ihrem Tod 1179, fand jedoch auch Zeit, drei Bücher über visionäre Theologie, wissenschaftliche Werke und religiöse Verse zu schreiben.
Weitere Hauptwerke
Um 1150 Symphonia armonie celestium revelationum
WER SINGT, BETET DOPPELT
MAGNUS LIBER ORGANI (UM 1170), LEONIN
IM KONTEXT
SCHWERPUNKT
Entwicklung des mehrstimmigen Gesangs
FRÜHER
Um 1000 Über 160 Organa, wahrscheinlich verfasst von Wulfstan, dem Kantor von Winchester, sind im Winchester Tropar enthalten.
Um 1140 Der Codex Calixtinus erwähnt einen Magister Albertus Parisiensis als Komponisten des ersten notierten Werks für drei Stimmen.
SPÄTER
Um 1200 Perotin überarbeitet und erweitert Leonins Magnus liber organi.
Die Entwicklung der Polyphonie im 12. Jahrhundert ist eng mit der prachtvollen Kathedrale Notre Dame in Paris verbunden, die Maurice de Sully errichten ließ, nachdem er 1160 Bischof von Paris wurde. Etwa um diese Zeit lebte dort der französische Komponist Leonin und brachte der Mehrstimmigkeit neue Impulse. Im Umfeld der Kathedrale begründeten er und eine Reihe anderer innovativer Komponisten die sogenannte Notre-Dame-Schule.
Entwicklung des mehrstimmigen
Bester Organa-Komponist
Die ersten Aufzeichnungen über Leonin verfasste erst hundert Jahre später ein in Paris studierender unbekannter Engländer (als »Anonymus IV« bekannt), der ihn Meister Leonin nannte. Er bezeichnete ihn als optimus organista (bester Komponist von Organa) und als Autor der Anthologie Magnus liber organi (»Großes Buch des Organums«), die in der Kathedrale bei der Liturgie verwendet wurde.
Das Kirchenschiff von Notre Dame in Paris wurde 1196, kurz nach dem Tod von Maurice de Sully, fertig. Leonin und Perotin schufen ihre Musik in oder nahe bei der neuen Kathedrale.
Anonymus IV zufolge war Leonins Großes Buch bis zur Zeit von Perotin (um 1160–nach 1200) im Einsatz, der als optimus discantor, bester Komponist von Discantussätzen galt. Laut Anonymus IV war Perotins Musik in Notre Dame zu seiner Zeit (um 1280) noch in Verwendung.
Erste Harmonien
Vor Leonin war vokale Mehrstimmigkeit sehr viel simpler. Theoretiker zeigten zwar bereits ab der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ein gewisses Interesse daran, aber die einzelnen Entwicklungsstufen des Harmoniegesangs sind nicht bekannt. Die päpstliche Schola cantorum (Chor) des 7. Jahrhunderts bestand aus sieben Sängern, inklusive drei scholae (Gelehrte), einem archiparaphonista (Sänger vierten Ranges) and drei paraphonistae, dem griechischen Begriff für jemanden, der »neben dem Gesang singt«. Einige Musikwissenschaftler nehmen dies als Hinweis darauf, dass einer der Sänger auf Harmoniegesang spezialisiert war.
Die einfachste Form der Mehrstimmigkeit war das Halten des Haupttons (Finalis) als Dauerton parallel zur Melodie. Dieser Ton wurde auf einem Vokal gesungen und zeitweilig auf eine angrenzende Tonhöhe verschoben, um in Verbindung mit der Hauptmelodie gefälliger zu klingen. Auch heute noch gibt es Traditionen mit einem gleichbleibenden Ton als Begleitung, wie die sufistische Qawwali-Musik in Indien und Pakistan oder die Dudelsackmusik.
Zisterziensermönche des Stifts Zwettl in Österreich beim Chorgesang. Die Miniatur ziert das Graduale Cisterciense, ein um 1268 entstandenes Buch für die Liturgie.
Sündhafte Klänge
Die Hinwendung zur Polyphonie wurde nicht überall gutgeheißen. Einige Kleriker protestierten heftig dagegen – vor allem der englische Kardinal Robert de Courçon, der die neue Form für weibisch hielt. In seiner Summa schrieb er: »Wenn ein lüsterner Prälat solch schamlose Sänger fördert, damit diese Art von frevelhafter Straßenmusik in seiner Kirche zu hören sei, glaube ich, dass er mit der Krankheit der Simonie infiziert ist.« Andere assoziierten die ineinander verschlungenen Männerstimmen der Polyphonie mit Sodomie und erklärten den neuen Musikstil als sündhaft.
Perotins Alleluia nativitas ist für drei Stimmen geschrieben. Wie man hier sieht, variiert die Anzahl der Notenlinien im Unterschied zu unserem heutigen Fünfliniensystem.
Zwei Handbücher
Die ersten Werke, die den mehrstimmigen Gesang zu erklären versuchten, waren um 900 die Musica enchiriadis (»Handbuch zur Musiklehre«) und ihr Begleittext Scholia enchiriadis. Als einfachste Form der Mehrstimmigkeit stellen die Verfasser des Handbuchs das Singen in verschiedenen Oktavlagen vor. Diese Technik, die man im alten Griechenland »magadisieren« nannte, wird auf natürliche Weise beim Unisono-Gesang von Männern und Knaben angewendet.
Neben dem Singen in Oktaven konnte eine Melodie auch durch parallele Quinten ergänzt werden. Außerdem wurde eine Hybridtechnik vorgestellt, bei der die Begleitstimme (Vox organalis) einstimmig mit der Hauptstimme (Vox principalis) beginnt, dann so lange auf dem Ton beharrt, bis die Hauptstimme sich bis zum Quartabstand entfernt hat, dann beide Stimmen parallel in Quarten geführt werden, ehe sie sich am Ende wieder unisono vereinen. Die Vox principalis ist ein gregorianischer Choral und liegt über der Begleitstimme.
»Magister des Organum … setzen junge und ahnungslose Personen weibischen Bardengesängen aus.«
Robert de Courçon Englischer Kardinal (um 1160–1219)
Obwohl das einfache Organum mehr als eine Stimme umfasst, wird diese Art Gesang von modernen Autoren nicht als »Polyphonie« bezeichnet, da beide Parts nicht voneinander unabhängig sind. Mehrstimmigkeit zu erzeugen, indem man einfach der Hauptmelodie in einer anderen Oktave folgt, bereichert zwar den Klang des Gesangs, macht die zweite Stimme jedoch, was Form und Bewegung angeht, zu einer Sklavin der Hauptstimme. Musiktheoretiker sprechen deshalb eher von »Heterophonie« (Ausschmückung der Melodielinie).