Hall George

Big Ideas. Das Klassische-Musik-Buch


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indem er die Stimmen einen Kanon mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten singen ließ. Das schwierigste Beispiel dafür ist Johannes Ockeghems Missa Prolationum, bei der jeder der vier Sätze ein anderes Kanonszenario aufweist. Das Intervall, das die Stimmen des Kanons trennt, wird zudem mit jedem Satz länger.

       Musikalische Satzweisen

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      Monophonie Einstimmig von einem Sänger oder Chor gesungen. Beispiele sind der gregorianische Choral und die meisten Minnelieder.

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      Homophonie Melodie mit untergeordneten, akkordisch ausgerichteten Stimmen im selben Rhythmus. Oft bei Chorälen zu finden.

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      Polyphonie Mehrere unabhängige und gleichbedeutende Stimmen. Formen sind der Kanon, die Fuge und die Motette.

      Grade der Komplexität Dank präziseren Notationmethoden und unterstützt von wohlhabenden Gönnern, schufen die Renaissance-komponisten eine zunehmend vielschichtigere Musik.

      Josquin Desprez gelingt in seiner Missa L’Homme armé super voces musicales mit nur einer Melodie eine elegante und abwechslungsreiche dreistimmige Fassung der zweiten Wiederholung des Agnus Dei. Wenn drei Stimmen eine Melodie in unterschiedlichen Geschwindigkeiten singen, entsteht zwar ein beeindruckender Klangteppich, der Text ist dabei allerdings nicht leicht herauszuhören.

       Eine offizielle Reaktion

      Auf die Krise, die Luthers Reformen auslösten, reagierte die katholische Kirche mit einer Reihe von Versammlungen, um zu entscheiden, wie damit umzugehen sei. Nach einigen Verzögerungen traf man sich zum ersten Mal im Jahr 1545 in der Stadt Trient in Norditalien. Zum Zeitpunkt des letzten Treffens (1562/63) unter der Leitung von Papst Pius IV. war jedoch klar, dass die Verhandlungen in einer Sackgasse geraten und eine Versöhnung zwischen Rom und den Reformatoren unmöglich war.

      Dennoch zwangen die protestantischen Reformen auch die katholische Kirche, Veränderungen in Bezug auf Lehre und Praxis vorzunehmen, darunter eine Bereinigung der sakralen Musik. 1562 legte ein Beschluss des Konzils von Trient Richtlinien für Musiker fest: »Es solle in der Tat bestimmt werden, dass die Messen, ob von der Gemeinde oder vom Chor gesungen, die Ohren der Zuhörer erreichen und sanft in ihre Herzen dringen können, wenn alles klar und in der richtigen Geschwindigkeit ausgeführt wird. Bei Messen, die mehrstimmig und mit Orgelbegleitung gefeiert werden, darf sich nichts Profanes daruntermischen, nur göttliche Lobpreisungen.« Die Komponisten mussten dieser neuen Richtlinie folgen.

      »Die Renaissance förderte das Wachstum der Persönlichkeit. Eine Idee, die der Selbstlosigkeit und Objektivität der alten Polyphonie grundlegend widersprach.«

       Zoë Kendrick Pyne Verfasser einer Biografie Palestrinas

       Hervorhebung des Textes

      Giovanni Pierluigi da Palestrina hatte 1554 sein erstes Buch mit Messen veröffentlicht und kehrte im Jahr 1561 als maestro di cappella (Musikalischer Leiter) nach Santa Maria Maggiore zurück, wo er früher als Chorknabe gedient hatte. Er befürchtete wohl eine starke päpstliche Zensur und eine Reduktion der katholischen Kirchenmusik auf den reinen Choralgesang, wie es viele Eiferer forderten. Er hatte deshalb eine vierstimmige Messe vorbereitet, um zu beweisen, dass die Polyphonie den Text in einer Weise unterstreichen konnte, die selbst die schärfsten Kritiker zufriedenstellen würde.

      Die Missa Papae Marcelli stammt wahrscheinlich von 1562, dem Jahr des Konzilbeschlusses, der die Musik betraf. Es heißt, dass die Kardinäle großen Gefallen an dieser Messe fanden, und dieser Zuspruch bescherte Palestrina den Status als Retter der Polyphonie. Vermutlich wurde die Messe für die Karwoche geschrieben und entsprach dem Wunsch Papst Marcellus II. nach einer zurückhaltenden, klar verständlichen Umsetzung. Klarheit der Deklamation, ein umsichtiger Einsatz von Dissonanzen und eine geläuterte Form der Mehrstimmigkeit: Damit erfüllte Palestrina viele der Anforderungen, die nach dem Konzil von Trient an die polyphone Musik gestellt wurden. Dennoch scheute er sich nicht, die Grenzen dieser neuen Vorgaben ausgiebig auszuloten. Seine 1570 erschienene fünfstimmige Messe Repleatur os meum zeigt die meisterhafte Beherrschung des virtuosen »kanonischen« Stils, jedoch mit einer solcher Klarheit des Texts, dass sogar Cirillo einverstanden gewesen wäre.

      In seinem 1584 komponierten Canticum canticorum, einem gefeierten Zyklus von 29 Motetten auf Grundlage des alttestamentarischen Hohelieds, war Palestrina noch wagemutiger. Obwohl es sich um Sakralmusik handelte, waren sie von einem unverhohlen leidenschaftlichen Stil. In seiner Widmung an Papst Gregor XIII. erklärte er, dass dies mit dem Thema vereinbar sei.

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      Palestrina verbrachte fünf Jahre als musikalischer Direktor der Lateranbasilika in Rom, dargestellt auf diesem Druck aus dem 17. Jahrhundert.

       Anderswo in Europa

      Giovanni Pierluigi da Palestrina war ein heller Stern in einer Konstellation großer Polyphonisten der Gegenreformation. In Spanien förderte der orthodoxe Eifer Philipps II. eine starke polyphone Strömung in der Sakralmusik. Tomás Luis de Victoria, ein produktiver Komponist geistlicher Musik, war bekannt für die Dramaturgie seiner Werke. Er war Chorknabe und Organist in Ávila, bevor er nach Rom ging, wo er möglicherweise mit Palestrina studierte. Später kehrte er nach Spanien zurück und verbrachte den Großteil seines Arbeitslebens am Konvent der Descalzas Reales in Madrid.

      Die deutschen Länder waren in ihrer Religionszugehörigkeit stark gespalten. So hielten die südlichen Herrschaftsgebiete fest zu Rom. Herzog Albrecht V. von Bayern beispielsweise beschäftigte viele Musiker, darunter Orlando di Lasso, einen flämischen Komponisten. Unter der Schirmherrschaft des Herzogs dirigierte Lasso die Hofkapelle. Zu den Sängern gesellten sich Violinen, Gamben, Lauten, Blech- und Holzblasinstrumente und sogar ein Rackett (ein neu erfundenes, sanft summendes Bass-Rohrblatt-instrument). Ein solches Ensemble beinahe orchestralen Ausmaßes war für die damalige Zeit höchst ungewöhnlich. Scheinbar waren die Richtlinien der Kirche offen für lokale Abweichungen. image

       Giovanni P. da Palestrina

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      Giovanni Pierluigi da Palestrina wurde wahrscheinlich 1525 im italienischen Palestrina geboren und hatte enge familiäre Verbindungen ins nahe Rom. Im Alter von etwa elf Jahren wurde er nach dem Tod seiner Mutter Chorknabe in der Kirche Santa Maria Maggiore in Rom. Als junger Erwachsener kehrte Palestrina in seine Heimatstadt zurück, um Organist in der Kathedrale zu werden. Als der Bischof von Palestrina, Kardinal Giovanni Maria del Monte, 1550 zu Papst Julius III. gewählt wurde, ging der Komponist als Leiter der Cappella Giulia wieder nach Rom. 1554 widmete er Julius III. seine Missa Ecce sacerdos magnus. Im nächsten Jahr erhielt er einen Platz im päpstlichen Chor der Sixtinischen Kapelle und hielt in der Folge mehrere musikalische Spitzenpositionen. Seine Musik umfasst Madrigale und mehr als 105 Messen und 50 Motetten.

       Weitere Hauptwerke

      1562 Missa Papae Marcelli

      1570 Missa Brevis

      1572 Missa Tu es Petrus

      1584 Pulchra es (Motette)